Die Berichte des Tölzer Kurier, 03.06.2018
Kläranlage: "Es passt nicht alles zusammen"
Benediktbeuern/Bichl/Sindelsdorf – Die drei Gemeinden Benediktbeuern, Bichl und Sindelsdorf sind bei der Aufarbeitung der Kläranlagen-Affäre einen großen Schritt weiter gekommen. Ein Gutachten, veranlasst auf Druck der Gemeinde Bichl und erstellt von einem Sachverständigen für Wasserwirtschaft, belegt nun schwarz auf weiß, dass es auf der Anlage in früheren Jahren zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist. Damit bestätigen sich erneut Recherchen unserer Zeitung, erstmals veröffentlicht im März 2017.
An dem Gutachten, erstellt von Professor Gerald Steinmann aus Würzburg, wurde längere Zeit gearbeitet. Steinmann hatte den Auftrag, den Schlammanfall in der neu gebauten Anlage seit Inbetriebnahme 2010 fachlich auf seine Plausibilität zu überprüfen. Als Grundlage dienten Betriebstagebücher von 2010 bis 2017, zur Verfügung gestellt von der Verwaltungsgemeinschaft (VG) und von der Firma Sedlmeier, die die Anlage nun seit Ende 2015 betreut. Zudem besuchte der Experte die Anlage vor Ort. Eine erste Version des Gutachtens war im Juli 2017 fertig, in der Folge durfte der ehemalige Klärwerksleiter Stellung nehmen. Das ergänzte Gutachten wurde im Februar 2018 fertig.
In der Sitzung durften auch weitere Gemeinderäte, die nicht dem VG-Ausschuss angehören, sowie die Presse Fragen stellen. Steinmann erklärte ausführlich die Art und Weise seiner Untersuchungen. Sein abschließendes Fazit fiel nicht gut aus: Es gebe „signifikante Lücken“ zwischen tatsächlich entsorgter und berechneter Schlammmenge, sagte der Gutachter. „Bezogen auf die in den Betriebsunterlagen dokumentierten Belastungen sind die laut Aufstellung entsorgten Mengen zu hoch.“ Konkret geht es um den Zeitraum von 2010 bis Mitte 2015. „Ungewöhnlich hohe Schlammmengen“ habe es zwischen Juni 2014 und Juni 2015 gegeben. Es „passe nicht alles wirklich gut zusammen“, sagte der Professor. Mit Betriebsübernahme der Firma Sedlmeier sei hingegen alles „vollständig erfasst und vorbildlich dokumentiert“.
In den Jahren zuvor hatte es jedoch mehrere Probleme beziehungsweise Ungereimtheiten gegeben. So war laut Gutachter der Probenehmer im Zulauf defekt – wie lange, lässt sich im Nachhinein nicht mehr sagen, womöglich aber über einen längeren Zeitraum. Die neue Betreiberfirma machte auf das Problem aufmerksam. Selbst, wenn man zur Ermittlung der Schlammmenge Fachliteratur heranziehe, sagte Steinmann, „deckt sich diese Menge immer noch nicht mit den Angaben der VG“.
Zum Hintergrund: Wenn in einer Kläranlage Fäkalien verarbeitet, sprich geklärt, werden, braucht man dafür beispielsweise Strom. Die Stromkosten fließen wiederum in die Betriebskosten ein, die herangezogen werden, wenn eine Gemeinde in regelmäßigen Abständen die Abwassergebühr neu kalkuliert. Wie berichtet, hat es in den Jahren 2010 bis 2015 sowohl in Bichl als auch in Benediktbeuern keine ausreichende Kalkulation gegeben, festgestellt nach umfangreicher staatlicher Rechnungsprüfung, ausgelöst durch die Berichterstattung im Tölzer Kurier.
Der Fachmann gab in der Sitzung außerdem Einblicke in die Betriebstagebücher des ehemaligen Klärwerksleiters. Daraus geht hervor, dass die erforderliche Dokumentation lückenhaft ist. „Die Protokolle sind leider nicht ganz vollständig“, sagte Steinmann und zeigte unter anderem Wiegescheine und handschriftliche Notizen. „Wir wissen nicht, ob die Tonnen-Angaben stimmen.“ Sindelsdorfs Bürgermeister Josef Buchner monierte das stark. Nun zeige sich, sagte er, dass es unter dem ehemaligen Klärwerksleiter keine ordnungsgemäße Betriebsführung gegeben habe, wie sie laut kommunalem Haushaltsrecht vorgeschrieben sei.
„Wir wissen, dass es in den vergangenen Jahren unkontrollierte Einschüttungen in diese Anlage gegeben hat“, sagte Bichls Bürgermeister Benedikt Pössenbacher. Diese seien allem Anschein nach zwischen Grob- und Feinrechen, also im weiteren Arbeitsverlauf der Anlage, eingekippt worden. Wie berichtet, waren in früheren Jahren 13 Kläranlagen-Schlüssel in Umlauf, wie die VG im Sommer 2016 eingeräumt hatte. Einen Schlüssel hatte allem Anschein nach ein regionales Entsorgungsunternehmen, das außerhalb der Öffnungszeiten auf die Anlage kam.
Pössenbacher wollte nun von dem Fachmann wissen, welche Auswirkungen diese mutmaßlichen Einschüttungen gehabt haben könnten. Steinmann antwortete ausweichend. Solche Einleitungen könnten „vielfältige Auswirkungen haben“, hier komme man in den Bereich der Spekulation. Eine Zuordnung der Quellen sei nach so vielen Jahren einfach nicht mehr möglich, sagte der Professor. Fest stehe jedoch, dass die Ablaufwerte der Anlage seit Jahren in Ordnung seien.
Professor Gerald Steinmanns Untersuchungen zeigen indes deutlich, dass die neu gebaute Anlage, ausgelegt auf 14 500 Einwohnergleichwerte (EW), seit Beginn seiner Studie mit einer durchschnittlichen Belastung von nur 7000 bis 8000 EW läuft. Die Jahreszuflüsse sind stabil. Wie berichtet, wird die Anlage seit März 2017 „einstraßig“ betrieben, obwohl sie eigentlich „zweistraßig“ gebaut wurde. Zum Vergleich: Selbst die Kläranlage Oberammergaus, die tausende Kultur- und Festspielbesucher jedes Jahr zu bewerkstelligen hat, ist kleiner.
„Diese Neubau-Empfehlung kam vom Wasserwirtschaftsamt“, sagte Kilian Streidl, Bichls Dritter Bürgermeister. Eine große Anlage erhöhe „natürlich die Betriebssicherheit“, entgegnete Steinmann. „Fällt eine Straße aus, kann man in der anderen weiter klären.“ Trotzdem, monierte Pössenbacher, „hätte hier das Wasserwirtschaftsamt darauf hinweisen müssen. Die bekommen doch alle Tabellen.“ Darauf Steinmann: „Wasserwirtschaftsämter werden nicht von sich aus aktiv – nur, wenn sie auf etwas hingewiesen werden.“ Die Ämter kontrollierten in erster Linie die Ablaufwerte einer Kläranlage.
Nach der Planung eines Münchner Ingenieurbüros vor rund zehn Jahren hatte das Wasserwirtschaftsamt in Weilheim den Neubau der Anlage in dieser Größe genehmigt. „Eine Gemeinde ist hier auf Fachbehörden angewiesen. So eine komplexe Materie kann kein Gemeinderat alleine verstehen“, sagte Rudi Mühlhans (Benediktbeuern). Angesichts des Bevölkerungswachstums von Benediktbeuern und Bichl sei es jedoch sinnvoll, „dass wir eine Kläranlage ausreichend groß bauen“.
„Nach Bekanntwerden der Vorwürfe hat die Verwaltungsgemeinschaft sofort reagiert und alles unternommen, um die Fehler abzustellen“, beteuerte Benediktbeuerns Bürgermeister und VG-Vorsitzender Hans Kiefersauer. Eine Kläranlage sei „häufig ein Staat im Staate“, eine Einrichtung, die in einer Kommune an einer „exponierten Stelle stehe“: „Wenn alle Werte passen, fragt keiner nach, aber bei Fehlern wird man hellhörig.“ Der entstandne Schaden ist laut Kiefersauer allerdings „nicht so hoch, wie man mal gerechnet hatte“. Konkrete Zahlen nannte er nicht.
Man sei froh, dass dieses Gutachten gemacht wurde, sagte Hans Kiefersauer nun. Man werde die Anlage, die jetzt konstant und zufriedenstellend funktioniere, optimieren, und zwar auf Basis der nun gewonnen Erkenntnisse. Als nächster Schritt müssten die Belüfter erneuert werden. Kosten: zirka 100 000 Euro.
Einige Vorfälle aus den vergangenen Jahren werde man nicht mehr aufklären können, sagte Bichls Bürgermeister Benedikt Pössenbacher, Zweiter Vorsitzender der Verwaltungsgemeinschaft. „Über die Ursachen können wir nur spekulieren.“ Es sei jetzt an der Zeit, nach vorne zu schauen.
Kommentar:
Das Wegschauen beenden
Auf der Kläranlage haben sich in den vergangenen Jahren im Betriebsablauf Dinge abgespielt, die wohl kaum noch zu 100 Prozent aufgeklärt werden können. Das ist bitter. Zugleich hat es im Rathaus in der Amtszeit von Altbürgermeister Georg Rauchenberger schwere Versäumnisse gegeben. Hier waren Aufträge zur Klärschlammentsorgung im Wert von mehreren zehntausend Euro jahrelang nicht schriftlich ausgeschrieben, geschweige denn von den VG-Räten genehmigt worden. Man hatte die Aufträge telefonisch vergeben, wie Rauchenberger gegenüber dem Tölzer Kurier einräumte. Hierzu – und auch zu den Vorgängen auf der Anlage – laufen noch Untersuchungen der Staatsanwaltschaft. Es ist zu bezweifeln, ob nach so vielen Jahren alles vollständig aufgeklärt werden kann. Für die fehlerhaften Abrechnungen für die Gemeinde Sindelsdorf laufen unterdessen Gespräche.
Unsere Zeitung hat das Versagen, das auf verschiedenen Ebenen passierte, recherchiert und umfangreich dokumentiert. In den vergangenen Jahren gab es eine „Kultur des Wegschauens“, die sich hoffentlich nicht wiederholen wird. Leidtragende der ganzen Misere sind nicht nur die Bürger von Bichl, Benediktbeuern und Sindelsdorf, sondern auch die heutigen Mitarbeiter der Verwaltungsgemeinschaft, die größtenteils mit diesen Vorgängen nichts zu tun haben.
Es ist an der Zeit, nach vorne zu schauen und Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen: Bei Ungereimtheiten gleich nachzuforschen, alle Karten auf den Tisch zu legen und transparent zu arbeiten. Nur so lässt sich das verloren gegangene Vertrauen der Bevölkerung wieder gewinnen.
Christiane Mühlbauer
Online am: 03.06.2018
Aktualisiert am: 03.06.2018
Inhalt:
- Wie sich Missstände abstellen lassen: Öffentlichkeit durch eine Tageszeitung. Eine kleine Chronologie
- Wie die "Schmutzige Geschichte" entstand: das Making-of des Tölzer Kurier
- Was nach dem Gutachten von 2018 ("Es passt nicht alles zusammen") geschieht
- Was eine "saubere Verwaltung", Effizienz, Qualitätssicherung und Whistleblowing miteinander zu tun haben
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