Die Berichte des Tölzer Kurier, 09.06.2017
Kläranlage: Neue Details kommen ans Licht
Betriebskosten sinken, seit eine Fachfirma das Werk betreut – Hitzige Diskussionen bei Rechnungsprüfung
Benediktbeuern/Bichl – Die Verwaltungsgemeinschaft (VG) Benediktbeuern-Bichl hat nun ihren Haushalt für 2017 beschlossen. Bei der Vorstellung vergangene Woche im Benediktbeurer Rathaus war die Kläranlage, die von der VG betrieben wird, beherrschendes Thema. Aus dem Haushalt geht nämlich hervor, dass die Kosten im Abwasserbereich, genauer gesagt für den Betrieb der Anlage, gesunken sind, seit eine externe Fachfirma die Anlage betreut. In der Sitzung, an der die beiden Bürgermeister Hans Kiefersauer (Benediktbeuern; zugleich VG-Vorsitzender) und Benedikt Pössenbacher (Bichl; stellvertretender VGVorsitzender) sowie Mitglieder der beiden Gemeinderäte teilnahmen, herrschte keine gute Stimmung. Streitpunkt war unter anderem die Rechnungsprüfung. Zudem äußerte sich Kiefersauer erstmals über den Gutachter, den die VG mit Untersuchungen beauftragt hat. Außerdem ging es um die ausstehenden Zahlungen der Gemeinde Sindelsdorf, die ihr Abwasser auch in diese Anlage einleitet. Sindelsdorf ist aber nicht Teil der VG (siehe unten).
Haushalt: Zum Hintergrund: Erstmals seit Bestehen der neuen Anlage sinkt die Betriebskostenumlage um 68 000 Euro. Hintergrund sind zurückgehende Ausgaben im Abwasserbereich, etwa beim Klärschlamm. „Für diese Entsorgung dürften im Haushaltsjahr wesentlich weniger Kosten entstehen“, sagte Kämmerer Hans Fischhaber. Veranschlagt sind 81 000 Euro, das sind 44 000 Euro weniger als im Jahr zuvor. „Sowohl der Trockensubstanz-Gehalt als auch die Mengen sind rückläufig.“
Hintergrund: Zur Erklärung: Der Trockensubstanz- Gehalt (TS-Gehalt) ist ein wichtiger Faktor bei der Entsorgung von Klärschlamm und ausschlaggebend für den Preis. Je höher der TS-Gehalt, desto höher ist auch der Kubikmeter-Preis, den die Entsorgungsfirma in Rechnung stellt. Wie unsere Zeitung schon im Winter recherchiert hat, war der TS-Gehalt in den vergangenen Jahren auf der Anlage ungewöhnlich hoch: Er lag 2013, 2014 und 2015 bei sechs Prozent. Zum Vergleich: 2016 ist der TS-Gehalt auf vier Prozent gesunken. Die Feststellung, dass der Gehalt nun sinkt, ist ein weiterer wichtiger Baustein dafür, das äußerst komplexe „Puzzle Kläranlage“ zusammenzusetzen und aufzuklären.
Viele Daten aus den vergangenen Jahren gab die Verwaltung erst auf den massiven Druck unserer Zeitung bekannt. Wie im März berichtet, soll es auf der Kläranlage und bei der Auftragsvergabe im Rathaus bis 2015 jahrelang zu größeren Unregelmäßigkeiten gekommen sein. Es waren 13 Kläranlagen-Schlüssel in Umlauf, so dass werksfremde Personen auch außerhalb der Anlieferungszeit auf das Areal gelangen konnten.
Allem Anschein nach ist es zu unkontrollierten Einleitungen von Fäkalien gekommen. Der Werksleiter wurde nach Bekanntwerden versetzt und ist jetzt bei der Verwaltungsgemeinschaft unter anderem für die Kanalbetreuung zuständig.
Neue Investitionen: Zurück zur Haushalts-Sitzung: Laut Kämmerer Fischhaber werden unter anderem auch die Kosten für den Unterhalt des Grundstücks, für die baulichen Anlagen und den Strom sinken. Die VG wird auf der Anlage jedoch auch investieren müssen – nämlich in eine neue Fällmittelstation. Diese ist wichtig, um das Phosphat zu binden. Kosten: 100 000 Euro. Diese Investition wirft erneut Fragen auf, nämlich nach dem baulichen Zustand der Anlage. Fällmittel ist ein wassergefährdender Stoff, der sachgemäß gelagert werden muss.
In der Sitzung wurde erstmals auch bekannt, dass das von der VG beauftragte Gutachten zur Aufklärung der Angelegenheit (wir berichteten) 20 000 Euro kostet. Laut Hans Kiefersauer soll es „in drei Wochen“ fertig sein.
Rechnungsprüfung: Thema der Sitzung war auch die Prüfung der Rechnungen aus dem Jahr 2015, durchgeführt unter Vorsitz von Bürgermeister Pössenbacher. In seinem Bericht kritisierte er verschiedene Punkte, unter anderem Fehler bei der Vergabe der Klärschlammpressung. Auffallend sei auch gewesen, dass man eine Rechnung für Arbeitskleidung entdeckt habe, ausgestellt von einem örtlichen Trachtengeschäft. „Das verkauft auch Arbeitskleidung“, sagte daraufhin Kiefersauer.
Arbeitszeiten: Pössenbacher hinterfragte außerdem die Verrechnung von Arbeitszeiten. Es geht darum, dass die Arbeitszeit des Benediktbeurer Bürgermeisters für VG-Arbeiten bezahlt wird. Laut Pössenbacher ist das in anderen Gemeinden „absolut unüblich“. Laut Kämmerer Fischhaber stammt dieser Beschluss aus dem Jahr 1986. Der Betrag werde von der VG an die Gemeinde und nicht an den Bürgermeister überwiesen. Pössenbacher stellte den Antrag, diesen Beschluss aufzuheben. Das Thema wurde dann kurzerhand in den nichtöffentlichen Sitzungsteil verlegt. Um welchen Betrag es sich handelt, wurde nicht gesagt. Auf Nachfrage unserer Zeitung am folgenden Tag erklärte Kiefersauer, man habe nichtöffentlich nicht darüber gesprochen und werde es in der nächsten VG-Sitzung öffentlich besprechen. Einen Termin dafür gibt es noch nicht.
Dienstanweisungen: Bei der Zusammenkunft wurde auch noch über ein anderes Thema, das indirekt in Zusammenhang mit der Kläranlage steht, hitzig diskutiert. Es geht um Folgendes: Der Bichler Bürgermeister, zugleich Zweiter VG-Vorsitzender, ist rein rechtlich den Mitarbeitern der VG gegenüber nicht weisungsbefugt. Das heißt: Er kann einem Mitarbeiter keine Anweisung geben, sollte jemand sich weigern, seine Arbeit auszuführen. Pössenbacher machte in der Sitzung deutlich, dass sich das ändern muss. „Wir sind dran“, sagte Kiefersauer. „Aber solange die Sache nicht abgeschlossen ist, bin ich weisungsbefugt.“ Pössenbacher konterte, dieses Thema habe er schon im November 2016 angesprochen und eingefordert. Den Vorwurf von Pössenbacher und dem Bichler Gemeinderat Michael Eberl, in der Verwaltung werde „gewurschtelt“, wollte sich Kiefersauer nicht machen lassen: „Unsere Verwaltung arbeitet sauber.“ Darauf Pössenbacher: „Aber du hast zu Beginn deiner Amtszeit selbst gesagt, dass es hier Bereiche gibt, in denen geschludert wird.“
Die anderen Räte waren von dem Thema Dienstanweisungen sichtlich überrascht. „Besprecht ihr das alle nur unter euch? Ich weiß von nichts“, sagte Rudi Mühlhans aus Benediktbeuern. Auf seine Vermittlung einigten sich Pössenbacher und Kiefersauer immerhin darauf, diese Sache bis Jahresende geklärt zu haben. Pössenbacher, der bis dato gedroht hatte, er werde dem Haushalt nicht zustimmen, wenn das Thema nicht geklärt werde, rang sich dann nach kurzem Zögern doch zur Zustimmung durch.
Der Haushalt ging also einstimmig durch – nochmal versehen mit den mahnenden Worten von Kilian Streidl aus Bichl, die Verwaltungsumlage im Blick zu behalten, die in den vergangenen zehn Jahren stark gestiegen sei.
__________________________________________________
Sehen sich die Gemeinden vor Gericht?
Dass die Stimmung zwischen den drei Gemeinden Bichl, Benediktbeuern und Sindelsdorf wegen der Kläranlage im Keller ist, ist kein Geheimnis mehr. Wie im März berichtet, hat Sindelsdorf derzeit Zahlungen an die VG eingestellt. Laut Bürgermeister Josef Buchner wurden Sindelsdorf für die Jahre 2012 bis 2015 zu viel Betriebskosten durch Zugrundelegung falscher Abrechnungsdaten in Rechnung gestellt. Seinen Angaben zufolge wurde die Abrechnung für 2015 korrigiert, nicht jedoch jene von 2012 bis 2014. „Eine Erstattung ist bis heute nicht erfolgt“, beklagt Buchner. Es geht um fehlende 35 000 Euro, die Buchner nun schlichtweg mit dem laufenden Betriebskostenanteil verrechnet, den Sindelsdorf an die VG zu zahlen hat. In der jüngsten VG-Sitzung drohte nun Vorsitzender Hans Kiefersauer erstmals „Rechtsmittel“ an, wenn Sindelsdorf nicht zahle. Buchner zeigt ihm die kalte Schulter: „Ich warte nach wie vor auf eine abschließende Regelung der zu Unrecht erhobenen und bezahlten Betriebskosten für die vergangenen Jahre“, sagt der Sindelsdorfer Bürgermeister. Das sei sogar mehrfach besprochen und vereinbart worden. „Insofern erschließt sich mir nicht, was der Kollege Kiefersauer rechtlich durchsetzen will.“ (müh)
Kommentar: Vertrauen wird verspielt
In der Kläranlagen-Affäre sind immer noch viele Fragen offen. Es ist unverständlich, warum sich die Gemeinde Benediktbeuern bis heute nicht detailliert öffentlich dazu äußert, obwohl dies nach dem ersten umfangreichen Bericht in unserer Zeitung im März angekündigt wurde. Mehrere Anfragen verliefen bislang im Sand. Selbst Gemeinderäte, die sich in einer Sitzung kritisch zu Wort melden, werden auf den nichtöffentlichen Teil vertröstet. Man muss mal ganz klar sagen: Mit jedem Tag, an dem sich die Gemeinde Benediktbeuern, die gleichzeitig die VG führt, nicht dazu äußert, steigt das Misstrauen gegenüber der Arbeit der Verwaltung. Denn die Rathausspitze vermittelt keinesfalls den Eindruck, die Lage im Griff zu haben und sich der Tragweite der Angelegenheit bewusst zu sein. Es geht hier um 7000 Bürger, die sich darauf verlassen können müssen, dass die kommunale Abwasserbeseitigung einwandfrei läuft. Doch noch sind viele Fragen offen. Zum Beispiel: Welchen Arbeitsauftrag hat eigentlich der Gutachter genau? Welche Unterlagen werden ihm zur Verfügung gestellt? Wie unabhängig kann er arbeiten? Die Angelegenheit ist sehr komplex und betrifft nicht nur die VG, sondern auch übergeordnete (Kontroll-)Behörden. Denn möglicherweise wurde diese Anlage zu groß gebaut. Wer übernimmt die Verantwortung? Wer kommt für den Schaden auf? Es ist Zeit, endlich lückenlos alles aufzuklären. (Christiane Mühlbauer)
Online am: 09.06.2017
Aktualisiert am: 24.05.2018
Inhalt:
- Wie sich Missstände abstellen lassen: Öffentlichkeit durch eine Tageszeitung. Eine kleine Chronologie
- Wie die "Schmutzige Geschichte" entstand: das Making-of des Tölzer Kurier
- Was nach dem Gutachten von 2018 ("Es passt nicht alles zusammen") geschieht
- Was eine "saubere Verwaltung", Effizienz, Qualitätssicherung und Whistleblowing miteinander zu tun haben
Tags:
Auskunftsrechte von Journalisten | Bayern | investigativ | Missmanagement | Pressefreiheit | Quellenschutz | Rathaus | Staatsanwalt | Transparenz

Auszeichnungen:
"Wächterpreis der Tagespresse" 2018

Whistleblower
Dies ist die Geschichte eines Whistleblowers