Wie die "Schmutzige Geschichte" entstand: das Making-of des Tölzer Kurier

Die Redakteurin des TK, Christiane MÜHLBAUER, erinnert sich

Für die Aufdeckung dieser Vorgänge kam mir zugute, dass ich die Gemeindepolitik in Benediktbeuern und Bichl seit vielen Jahren verfolge und über die zahlreichen Sitzungen und Versammlungen berichte. Und so stach mir ins Auge, dass die Betriebskosten auf der neu gebauten Kläranlage der Verwaltungsgemeinschaft (VG) Jahr für Jahr auf ungewöhnliche Weise stiegen.

Wie beginnt man eine solche Recherche?

Ich forderte im Spätsommer 2015 einige Zahlen von der Verwaltung an, konnte sie aber nicht so recht einordnen. Und ich merkte, dass meine Fragen skeptisch beäugt wurden. Allerdings zogen sie Kreise. Denn plötzlich kam ein anonymer Brief in die Redaktion. Darin war die Rede von Schlampereien im Rathaus und davon, dass bis vor Kurzem über einen längeren Zeitraum hinweg Schlüssel von der Kläranlage in Umlauf waren. Immer wieder habe es größere Anlieferungen und Einleitungen von Fäkalien gegeben, wenn kein Aufsichtspersonal auf der Anlage war.  

Mein erster Anruf galt dem neuen VG-Vorsitzenden und Bürgermeister in Benediktbeuern, Hans Kiefersauer, der beteuerte, alles sei in bester Ordnung.

Wenige Tage später bestätigte mir jedoch die Staatsanwaltschaft in München, dass man Ermittlungen aufgenommen habe. Mir wurde nahegelegt, nichts zu veröffentlichen. Es sei "eine große und komplexe Angelegenheit", hieß es von Seiten der Staatsanwaltschaft, man habe Sorge, dass weitere Beweismittel vernichtet werden, wenn ich jetzt über die Sache berichten würde. Aber vielleicht könnte man in ein, zwei Monaten mehr zu diesem Thema sagen.

Letztlich wurden es acht Monate. Stets bekam ich die gleiche Antwort zu hören. Angesichts dieser Tatsache und weil ich gewappnet sein wollte, was  auf mich zukommt, begann ich selbst zu recherchieren, beschäftigte mich intensiv mit dem Thema Abwasserentsorgung und baute mir ein Netzwerk von Informanten auf. In dieser Zeit erfuhr ich von groben Verstößen auf der Anlage und bei der Verwaltungsarbeit im Rathaus sowie davon, dass übergeordnete Behörden von der Misere in den vergangenen Jahren zwar wussten, aber nicht ausreichend eingeschritten waren.

Im Juni 2016 teilte mir die Staatsanwaltschaft mit, die Ermittlungen seien eingestellt worden, weil die Indizien nicht ausreichen. Rückblickend war das ein entscheidender Tag.  Mir wurde in diesem Augenblick bewusst, dass nur unsere Zeitung diese komplexe Sache ans Licht bringen kann. Und dass man nun nicht nur die Arbeit in Verwaltung und Behörden kritisch hinterfragen muss, sondern auch die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft. Was mich angetrieben hat, war der Gedanke an die Bürger in drei Gemeinden, die bislang keine Ahnung davon hatten, was sich hinter den Gebührenbescheiden ihrer Abwasserrechnung alles verbirgt.

In der Folge begann ein systematisches Vorgehen. Ich vergleiche die Recherche gerne mit einem Puzzle, in dem ich alle Teile langsam zusammensetzen musste. Eine große Herausforderung war die Zeit. Wir sind eine kleine Lokalredaktion, recherchieren und schreiben sehr viele Texte selbst. Sich neben dem laufenden Betrieb in ein so komplexes und auch technisch anspruchsvolles Thema einzuarbeiten, war mühsam. Ich bin meinen Kollegen beim Tölzer Kurier sehr dankbar, dass sie mir Freiräume gaben und mich immer ermutigten, die Sache weiterzuverfolgen.

Eine Herausforderung war und ist auch noch immer der Umgang mit den damals verantwortlichen Personen in der Verwaltungsgemeinschaft. Ich kenne die Betroffenen durch meine Arbeit als Redakteurin seit vielen Jahren persönlich und war über die Dinge, die ich  nun Zug um Zug aufdeckte, fassungslos. Meine Recherche hat für sie weitreichende  Konsequenzen. Und ich weiß, dass auch neu hinzugekommene Verwaltungsmitarbeiter unter der Angelegenheit leiden, je länger sich die endgültige Aufklärung hinzieht. Denn es sind noch immer Fragen offen.

Im Sommer 2016 begann also das gegliederte Vorgehen, aufgeteilt in die Bereiche "Rathaus", "Technik", "übergeordnete Behörden" und "Staatsanwaltschaft". Unterstützt und begleitet von meiner Redaktionsleiterin Veronika Ahn-Tauchnitz, wurden die Verantwortlichen bei mehreren Treffen mit den Vorwürfen konfrontiert. Einige Versäumnisse wurden eingeräumt.

Als im Herbst 2016 eine E-Mail mit mehreren Fragen an die Verwaltungsgemeinschaft, unter anderem  zu Klärschlammmengen, Fremdanlieferungen und Auftragsvergabe, wochenlang unbeantwortet blieb, setzten wir eine Anwältin ein, um unseren Anspruch auf Auskunft geltend zu machen. Ähnlich verhielt es sich bei einer Anfrage ans Tölzer Landratsamt, der zuständigen Aufsichtsbehörde. Auch hier mussten wir die Antwort auf eine Frage mit Hilfe der Anwältin einfordern.

Die Recherche dauerte bis Januar 2017. Der erste große, zusammenfassende Bericht, eine Sonderseite mit dem Titel "Eine schmutzige Geschichte", erschien im März 2017 (siehe Faksimile: Anklicken öffnet den ganzseitigen Artikel im Original als PDF).

Sie sorgte für große Aufmerksamkeit und Bestürzung in der Region, vor allem natürlich in der Verwaltungsgemeinschaft Benediktbeuern-Bichl und in Sindelsdorf. Sindelsdorf ist die kleinste der drei betroffenen Gemeinden und  leitet das Abwasser erst seit dem Neubau der Anlage dort ein.

Zwei Wochen später konnte ich berichten, dass die Kläranlage nun im reduzierten Betrieb läuft und sich das Wasserwirtschaftsamt Weilheim den deutlichen Rückgang der Belastung nicht erklären kann. Jetzt muss untersucht werden, ob die neue Anlage (Kosten; 3,7 Millionen Euro) womöglich überdimensioniert gebaut wurde.

Zug um Zug bestätigten sich weitere Details. Nach Beendigung der „Schlüssel-Affäre“ sanken die Betriebskosten der Anlage, und die Belastung ging auf ein Normalmaß zurück. Aufgrund der Berichterstattung im Tölzer Kurier nahm die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wieder auf -  so ziemlich genau ein Jahr später, nachdem sie den Fall eigentlich schon zu den Akten gelegt hatte. Schwerpunkt der Ermittlungen sind mutmaßlich unkontrollierte Einleitungen von Dritten, deren Abrechnung sowie die jahrelange telefonische Vergabe von Aufträgen zur Klärschlammentsorgung im Wert von mehreren zehntausend Euro an immer das gleiche Unternehmen.

Aufgrund des öffentlichen Drucks nahm die Staatliche Rechnungsprüfungsstelle im Landratsamt Bad Tölz die Kämmerei der Verwaltungsgemeinschaft im Sommer 2017 genau unter die Lupe. Zuvor, und auch das hatte in der Region für Aufsehen gesorgt, war bekannt geworden, dass es jahrelang überhaupt keine Rechnungsprüfung gegeben hatte. Geprüft wurde jetzt der Zeitraum von 2010 bis 2015. Dabei bestätigte sich, was unsere Zeitung schon gemutmaßt hatte, nämlich, dass die Kalkulation der Wasser-  und Abwassergebühren in diesem Zeitraum mangelhaft war.  Durch die gesunkenen Betriebskosten auf der Anlage konnte jetzt zum Beispiel in Bichl die Abwassergebühr ab Januar 2018 gesenkt werden.

Die Gemeinde Benediktbeuern, Sitz der Verwaltungsgemeinschaft, nahm trotz beharrlicher Nachfrage nach Veröffentlichung der Sonderseite monatelang nicht konkret Stellung zu diesem Thema, erst bei der Bürgerversammlung im November 2017. Der Bürgermeister und VG-Vorsitzende räumte ein, dass ein Entsorgungsunternehmen "leichtsinniger Weise" einen Schlüssel für die Kläranlage erhalten hatte. Nun sei eine "Umstrukturierung aus betriebswirtschaftlichen Gründen" in Gang. Unserer Zeitung warf er vor, "eine Sau durchs Dorf zu treiben".  

Ende Mai, wenige Tage vor der Verleihung des Wächterpreises am 4. Juni, wurde das lange erwartete Gutachten von der Verwaltungsgemeinschaft öffentlich vorgestellt. Darin wird belegt, dass es auf der Anlage zwischen 2010 und 2015 zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist. Es gebe signifikante Lücken zwischen tatsächlich entsorgter und berechneter Schlammmenge,  erklärte der Ersteller des Gutachtens, ein Professor für Wasserwirtschaft. Zudem wurde nachgewiesen, dass es auf der Anlage technische Probleme gab, und die erforderliche Betriebs-Dokumentation des ehemaligen Klärwerksleiters lückenhaft war. Das Gutachten zeigt auch, dass die Kläranlage weiterhin im reduzierten Betrieb laufen kann. Damit bestätigten sich die Recherchen unserer Zeitung.

Noch laufen die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft, die sich auch mit den schweren Versäumnissen im Benediktbeurer Rathaus in vergangenen Jahren beschäftigen.

Diese Kläranlagen-Recherche hat viele Facetten. In dieser aufwändigen Arbeit ist es unserer Zeitung gelungen, Missstände aufzudecken und den betroffenen Bürgern Hintergründe zu erklären, welche Faktoren bei der Erstellung ihrer Abwasser-Gebührenbescheide eine Rolle spielen.

Das Thema ist noch längst nicht vom Tisch. Selbst wenn es gelingen sollte, alle Fragen aus der Vergangenheit zu klären, muss man jetzt die künftige Entwicklung der Anlage beobachten und der Abwasserentsorgung beobachten.

Es geht aber auch darum, wie die Arbeit von Behörden besser überwacht und wie Abläufe in Verwaltungs- und Gemeinderatsarbeit verändert werden müssen, um ein so breites Versagen künftig durch bessere Kontrolle verhindern zu können.