"S 21"-Chronologie Teil III: Baubeginn seit 2009

Die Ereignisse vor Baubeginn sind in zwei Kapiteln dokumentiert:


Darin geht es um die Planung, die Finanzierungsvereinbarungen sowie um die ersten Versuche der Bürger, politischen Einfluss zu nehmen.

Seit es "Stuttgart 21" gibt, sind die Kosten rasant gestiegen. Einen Überblick aller Kostensteigerungen gibt es hier.

Der offizielle Baustart

02.02.2010

Baustart für Stuttgart 21: Ex-Ministerpräsident Günther OETTINGER (CDU), Verkehrsminister Peter RAMSAUER (CSU), Oberbürgermeister Wolfgang SCHUSTER (CDU), Bahn-Chef Rüdiger GRUBE und Projektsprecher Wolfgang DREXLER heben – medienträchtig - den Gleisprellbock 049 aus den Schienen.


27.02.2010

Die Stuttgarter Zeitung zitiert den Ressortleiter für Außenpolitik bei der Stuttgarter Zeitung, Adrian ZIELCKE, wie folgt: “Ohne die Zustimmung der Stuttgarter Zeitung zu diesem Großprojekt würde, so vermute ich einfach einmal, 'Stuttgart 21' nie gebaut werden."


08.03.2010

Am 17. Februar 2010 stellen die Grünen im Bundestag eine Kleine Anfrage zur Neubaustrecke Wendlingen-Ulm an die Bundesregierung, die diese am 08. März 2009 beantwortet. Die Drucksache 17/995 enthält unter anderem folgende Kernaussagen der Bundesregierung, die ausweichend antwortet:

Festhalten an Kostenstand von 2004 für die NBS Wendlingen-Ulm
Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) hält weiterhin an den Kosten von 2,025 Mrd. Euro für die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm fest, auch wenn diese auf Basis des Preis- und Planungsstandes von 2004 ermittelt wurden. Die Begründung der Bundesregierung, weshalb die NBS Wendlingen-Ulm nicht wie Stuttgart 21 an den Kostenstand von 2009 angepasst wird, lautet: „Bei Stuttgart 21 handelt es sich nicht um ein Projekt des Bedarfsplans für die Schienenwege des Bundes, sondern um ein eigenwirtschaftliches Projekt der DB AG“.

Zur Erinnerung:
„Am 2. April 2009 wurde eine Finanzierungsvereinbarung über den Bau der NBS Wendlingen–Ulm abgeschlossen. Diese sieht öffentliche Investitionen in Höhe von 2,025 Mrd. Euro vor. Das Land Baden-Württemberg übernimmt davon einen Anteil in Höhe von 950 Mio. Euro, damit der Bau der NBS Wendlingen–Ulm vorzeitig begonnen werden kann. Die Deutsche Bahn AG (DB AG) sieht das Neubaustrecken-Projekt Wendlingen–Ulm als einen integralen Bestandteil des Projektes Stuttgart 21 an. Die NBS Wendlingen–Ulm wurde im Rahmen der aktuellen Bedarfsplanüberprüfung noch nicht untersucht. Kostensteigerungen wie sie beim Projekt Stuttgart 21 aufgetreten sind, können daher auch für die NBS nicht ausgeschlossen werden.“ (Auszug aus Drucksache 17/955, S.1)


Auszug aus der Projektübersicht zur Streckenführung NBS Wendlingen-Ulm:

(Grafik: DB)

Die Baumaßnahmen für die Streckenführung und die Bahnhöfe der NBS Wendlingen-Ulm lassen sich in der Finanzierungsvereinbarung nachlesen.

Erneute Kostensteigerung von 1 Milliarde Euro für Stuttgart 21 – transparente Darstellung der DB gegenüber dem Bund?
Auf die Frage der Grünen, ob die Deutsche Bahn dem Bund als Eigentümer der Eisenbahninfrastruktur die erneute Kostensteigerung von insgesamt einer Milliarden Euro detailliert offengelegt habe, heißt es nur von Seiten der Bundesregierung: „Der Aufsichtsrat der DB AG wurde informiert.“


April/Mai 2010

Widerstand wird stärker: Die Anzahl der Teilnehmer an den Montagsdemos gegen Stuttgart 21 liegt zwischen 4.000 und 5.000.


20.05.2010

Die Urheberrechtsklage des Bonatz-Enkels Peter DÜBBERS gegen den Teilabriss des Stuttgarter Bahnhofs wird vom Landgericht Stuttgart abgelehnt. Die im Oktober eingelegte Berufung von DÜBBERS beim Oberlandesgericht scheitert ebenfalls.


21.06.2010

Gegen die Bedenken der obersten Genehmigungsbehörde, dem Eisenbahn-Bundesamt, stimmt Bundesverkehrsminister Peter RAMSAUER (CSU) dem künftigen ICE-Verkehr in den deutlich weniger voluminösen bzw. stabilen S-Bahn Tunneln in Echterdingen zu. Der Grund: Dies erspart der Bahn langwierige Umplanungen und Umbauten in Höhe von 80 Millionen Euro. Die ohnehin steigenden Kosten von 4,1 Milliarden Euro sollen nicht noch weiter in die Höhe schnellen.
Doch die Bedenken wiegen schwer, dies schrieb die Stuttgarter Zeitung schon am 18. März 2010. Durch die Ausnahmegenehmigung sollen die deutlich größeren Fernverkehrszüge durch die S-Bahntunnel fahren. Dadurch gibt es nicht ausreichend Fluchtraum für die Fahrgäste und das Bahnpersonal. Und somit kein tragendes Evakuierungskonzept der Bahn.


Geheime Studie: Inhalte sind brisant

07.07.2010

Der stern veröffentlicht die Recherchen des Stern-Autor Arno LUIK zum Fahrplankonzept von Stuttgart 21. Basis des Artikels sind Auszüge aus einer 60-seitigen Studie der Züricher Firma "SMA+Partner", die der Illustrierten vorliegt und seit Juni 2008 geheim gehalten wird. SMA+Partner gehört zu den wenigen Ingenieurunternehmen weltweit, die die sehr komplexen Strukturen eines Fahrbetriebs exakt analysieren können. Auftraggeber war das Baden-württembergische Innenministerium.

Hier ist die SMA-Studie in drei Teilen abrufbar:


Die Inhalte sind brisant: Durch Stuttgart 21 würden "Infrastrukturenpässe" entstehen und "Konflikte zwischen Hauptbahnhof und Flughafen mit dem Regionalverkehr" seien "nicht kompatibel mit den angenommenen Fernverkehrszügen in Stuttgart". Weiterhin ist die Rede von einem "hohen Stabilitätsrisiko" und einer "knapp dimensionierten Infrastuktur".

Einige der in der SMA-Studie identifizierten Schwachstellen:

Fazit der Studie: Die Fahrplangestaltung sei nur in geringem Maße einzuhalten und Fahrzeitverlängerungen zu befürchten. Die Studie soll dringlichst unter Verschluss bleiben, denn das Ergebnis würde Stuttgart 21 gänzlich in Frage stellen.

"Aufgrund der Brisanz der vorliegenden Resultate ist absolutes Stillschweigen erforderlich"

heißt es in dem SMA-Gutachten vom 05. Juni 2008

Von Juli bis September erscheinen im stern mehrere Artikel von Arno LUIK: Viele geheime Details über das Milliardenprojekts Stuttgart 21.


10.07.2010

20.000 Menschen protestieren bei der landesweiten Großdemo gegen Stuttgart 21 im Schlossgarten.


26.07.2010

Im Anschluss an die Montagsdemo wollen S21-Gegner den Nordflügel des Stuttgarter Bahnhofs besetzen, die Polizei räumt.


27.07.2010

Bahnchef GRUBE gibt bekannt, dass der Neubau der Strecke Wendlingen-Ulm um 865 Millionen Euro teurer wird als im Jahr 2004 geschätzt. Die Gesamtkosten dieser Strecke belaufen sich damit auf 2,9 Milliarden Euro. Zuletzt waren es 2,0 Milliarden.


Abriss, Kostenexplosion und Protest

30.07.2010

Die Abrissarbeiten am Nordflügel des Stuttgarter Bahnhofs werden vorbereitet: Der erste Bagger rollt an und ein Bauzaun wird errichtet.


07.08.2010

Zehntausende Demonstrierende fordern einen Baustopp.


11.08.2010

Jetzt meldet sich das Umweltbundesamt mit einem Gutachten zu Wort. Tenor: eine Kostenexplosion droht - bis zu elf Milliarden Euro könne das Projekt kosten. Außerdem sagen Die Verkehrsexperten Verkehrsprobleme voraus. Das Gutachten gibt es hier zu lesen: in einer Langfassung und einer Kurzfassung.


13.08.2010

Als die Bagger beginnen, das Dach des Stuttgarter Hauptbahnhofs abzureißen, bilden 20.000 Bürger eine Kette um Teile des Bahnhofes. Sie fordern einen Baustopp. Davor unterzeichneten 20.000 Bürger einen "Stuttgarter Appell" gegen Stuttgart 21.

Zudem wird bekannt, dass der Stuttgarter Finanzbürgermeister FÖLL im Beirat des Abbruchunternehmens sitzt. Daraufhin lässt FÖLL seinen Job im Beirat fallen.


16.08.2010

Am 16. August berichtet DER SPIEGEL kritisch über ein Stuttgarter Geschäftle. Bei diesem fragwürdigen Geschäft verpflichtete sich das Land zur Vorfinanzierung des Projekts der Bahn Bahnflächen abzukaufen (siehe Februar 2000).


20.08.2010

Zwischen 20.000 und 30.000 Demonstranten nehmen an einem Protestmarsch teil.


25.08.2010

Bagger reißen den historischen Teil des Nordflügels ein. Doch der Abriss währt nicht lange. Sieben Aktivisten besetzen das Dach des Nordflügels 22 Stunden lang, bevor ein Sonderkommando der Polizei die Aktivisten vom Dach entfernt. Der Abriss wird wieder aufgenommen. Doch der Protest vonseiten der Bürger geht weiter. Oberbürgermeister SCHUSTER verteidigt das Milliardenprojekt in einem Offenen Brief an die Bürger: Stuttgart 21 sei zwar "kompliziert, langwierig, kostenaufwendig und mit baulichen Erschwernissen verbunden", dennoch wegweisend für die "Zukunftsfähigkeit" der Stadt. Außerdem diene Stuttgart 21 ja den "Kindern und Enkelkindern". Schuster schiebt hinterher: "Seien Sie versichert: ob Sie Stuttgart 21 gut finden oder ablehnen, wir sind Tag für Tag für Sie alle da."


27.08.2010

Erneut protestieren zehntausende Bürger. Es ist die bislang größte Demonstration der Protest-Geschichte in Stuttgart. Eröffnet wird die Kundgebung mit dem lautstarken Schwabenstreich: Eine Minute lang machen die Teilnehmer der Protestaktion mit Trillerpfeifen oder Topfdeckeln so viel Lärm wie möglich. Anschließend bilden die Protestler eine Menschenkette. Hunderte Polizisten aus dem ganzen Bundesland sind im Einsatz. Die Gegner wollen einen Baustopp und eine Bürgerbefragung erreichen.

Bahn-Chef Rüdiger GRUBE plädiert für ein Spitzengespräch mit den Projektgegnern. Bedingung sei allerdings, dass keine Seite Vorbedingungen stelle. Ein einstiger Mitschöpfer von Stuttgart 21 fordert indes einen Baustopp. Der renommierte Architekt Otto FREI hatte für den Architekten des neuen Tiefbahnhofs, Christoph INGENHOVEN, die Lichtaugen über den Bahnsteigen entworfen. Nun fürchtet er, der Neubau könne "wie ein U-Boot aus dem Meer" auftauchen. Grund für die Misere seien geologische Gegebenheiten. Die Verantwortlichen müssen "die Notbremse ziehen", so FREI. Es gehe um "Leib und Leben".
INGENHOVEN dagegen dementiert die Aussage FREI's. Dieser sei weder qualifiziert noch habe er die Erfahrung für statische Berechnungen.


Gegner lassen Gespräche mit Befürwortern platzen

6.09.2010

Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 lässt ein Spitzengespräch mit Ministerpräsident MAPPUS (CDU) und Grünen Fraktionschef in Baden-Württemberg Winfried KRETSCHMANN platzen. Die Projektgegner fordern als Gesprächsvoraussetzung einen Baustopp. Der Ministerpräsident lehnt ab.


Die SPD wird vom Befürworter zum Gegner

7.09.2010

Die SPD räumt ein, die Bürger sollen über Stuttgart 21 entscheiden. Bisher stand sie, genau wie CDU und FDP, hinter dem Projekt. Um den "inneren Frieden" in Stuttgart zu sichern, fordert der frühere Landesvorsitzende der SPD Erhard EPPLER einen Baustopp und einen Volksentscheid. Ein Tag später bekennt sich dazu auch die SPD-Spitze. Dass Stuttgart 21 ein mitentscheidendes Thema bei den Landtagswahlen im März 2011 sein wird, zeigt eine Umfrage von Infratest Dimap. Demnach läge die CDU dann bei 35 Prozent (44,2 in 2006), die SPD bei 21 (25,2 in 2006) Prozent. Die Grünen, die eine deutliche Gegenposition in Stuttgart 21 eingenommen hat, würden demnach ihr Ergebnis von 11,7 auf 27 Prozent mehr als verdoppeln.


10.09.2010

Ein weiteres Gutachten bescheinigt eine drohende Kostenexplosion bei Stuttgart 21. Das Gutachten, errechnet von dem Münchner Ingenieurbüro Vieregg-Rössler im Auftrag der Grünen, bestätigte die These, die Strecke könne im ungünstigsten Fall sogar zehn Milliarden Euro kosten. Allein die Ausgaben für die ICE-Trasse beliefen sich laut Gutachten nicht wie von der Bahn berechnet auf 2,9 Milliarden, sondern auf mindestens 5,3 Milliarden Euro. Für die Neuordnung des Banknotens haben sie 6,7 bis 8,7 Milliarden Euro berechnet.


11.09.2010

Bahnchef Rüdiger GRUBE sinniert in der Wirtschaftswoche: "Bei Infrastrukturprojekten kann man nie sagen, was am Ende auf Heller und Pfennig herauskommt."


15.09.2010

Stuttgart 21 erreicht die Politik auf Bundesebene. Bundeskanzlerin Angela MERKEL (CDU) erklärt am 15. September im Bundestag die baden-württembergischen Landtagswahl am 27. März 2011 zur "Volksabtsimmung" über das Milliardenprojekt. Eine Bürgerbefragung zu Stuttgart 21 lehnt die Kanzlerin ab.
Sie wird sich ein halbes Jahr später wundern ...


17.09.2010

Im Bundestag nimmt Peter RAMSAUER, der Bundesverkehrsminister das umstrittene Projekt in Schutz. Es gebe schließlich keinerlei Zweifel an der Legitimation des Projekts, verkündet er. Stuttgart 21 sei schließlich "über 15 bis 20 Jahre nach allen Regeln rechtsstaatlicher Kunst" zustande gekommen.


Stuttgart 21 - Sprecher Drexler tritt zurück

17.09.2010

Der erste Rücktritt. Der SPD-Landtagsabgeordnete Wolfgang DREXLER tritt zurück. Er war bis dato Sprecher des Projekts. Doch seine Partei sei umgeschwenkt und so habe er die Glaubhaftigkeit verloren. Dies gibt er in einer Presse- bzw. Rücktrittserklärung bekannt.


18.09.2010

Erneut demonstrieren Zehntausende im Schlossgarten.


24.09.2010

Die Nachfolger werden von DREXLER bekannt gegeben. Sprecher des Projekts sind nun der ehemalige Stuttgarter Regierungspräsident Udo ANDRIOF (CDU) sowie der Unternehmensberater Wolfgang DIETRICH. An diesem Tag setzen sich Gegner und Befürworter sich erstmals zusammen an einen Tisch. Deutsche Bahn und Landesregierung lehnen einen Baustopp allerdings weiterhin ab.


27.09.2010

Doch der Gesprächsfaden zwischen Gegnern und Befürwortern reißt wieder ab. Gangolf STOCKER, Chef der Bürgerinitiative "Leben in Stuttgart - Kein Stuttgart 21", beendet die Gespräche mit den Befürwortern, bevor sie begonnen haben: Weitere Gespräche mit den Projektträgern seien nur dann sinnvoll, wenn der Südflügel des Hauptbahnhofs nicht abgerissen werde und auch der Schlosspark unversehrt bleibe. Dort sollen rund 300 teilweise über hundert Jahre alte Bäume der Planung zum Opfer fallen.


Protest erreicht traurigen Höhepunkt

30.09.2010

An diesem Tag eskaliert das Projekt gegen Stuttgart 21. Auf die Massenproteste der Demonstranten reagiert die Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas. 400 Verletzte soll die Protestaktion hervorgerufen haben. D. WAGNER (66 Jahre) erblindet auf einem Auge. Der OB von Tübingen Boris PALMER (Grüne): "Das war kalkulierte Gewalt und wohlbedachte Inszenierung". Noch in der gleichen Nacht werden die ersten von insgesamt 300 Bäumen im Schlossgarten gefällt. Zum Teil sind diese Jahrzehnte alt.


1.10.2010

An diesem Tage erreicht der Protest einen neuen Höhepunkt. Noch nie demonstrierten so viele Menschen gegen Stuttgart 21: über 100.000 Menschen. Kurz nach Mitternacht werden die ersten Bäume gefällt.


Vorübergehender Baustopp

5.10.2010

Die baden-württembergische Landesregierung sieht sich gezwungen, auf die andauernden Demonstrationen zu reagieren. Der Abriss des Südflügels wird gestoppt. Ein genereller Baustopp ist allerdings nicht in Sicht.


6.10.2010

Eine Lösung muss her. Oder zumindest ein Weg dorthin. Heiner GEIßLER, früherer Generalsekretär der CDU, wird als Schlichter des Projekts einberufen. SPD, Grüne und das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 akzeptieren dessen Einsatz. Als Vorbedingung für erneute Gespräche fordern die Projektgegner allerdings den Baustopp.


9.10.2010

Mehr als 120.000 Menschen demonstrieren gegen die Ablehnung des Baustopps der Landesregierung und Bahn.


10.10.2010

Die Stuttgarter Umweltministerin Tanja GÖNNER (CDU), bekannt als enge Vertraute von Stefan MAPPUS (CDU), gerät in die Kritik. Am 10. Oktober beschreibt das Handelsblatt Online einen möglichen Interessenskonflikt in Zusammenhang mit Stuttgart 21: Gemeinsam mit dem Architekten Christoph INGENHOVEN gehört die Landesministerin für Umwelt, Naturschutz und Verkehr der Stiftung "Lebendige Stadt" des Hamburger Shoppingcenter-Betreibers ECE an, die von dem Einkaufscenter auf dem freiwerdenden Stuttgarter Gelände profitiert

Bei der Stiftung handelt es sich um ein Projekt von Kommunen und sich engagierender Wirtschaftsvertretern. Ihr Ziel ist es, kreative und umsetzbare Ideen zur Stadtgestaltung zu prämieren. Die Stiftung entstammt aus der Firma ECE Projektmanagement. Diese entwickelt, vermietet und betreibt gewerbliche Großimmobilien.


26.10.2010

Rund 650 S21-Gegner fahren mit einem Sonderzug von Stuttgart nach Berlin und demonstrieren vor dem Bundestag und dem Bahntower am Potsdamer Platz.


Die Gegner und Befürworter sollen sich näher kommen

28.10.2010

Die Schlichtungsrunde mit Projektbefürwortern und -gegnern geht in die erste Runde. Hier sollen öffentlich Fakten ausgetauscht werden. Anwesend sind Experten, Gegner und Befürworter. Von den Gegnern: unter anderem Gangolf STOCKER, Vertreter der Grünen und Architekten. Von den Befürwortern kommen Vertreter von Bahn, Stadt und Land. Gegner und Befürworter nähern sich in den Gesprächen allerdings nicht oder nur etwas an.


29.10.2010

Die zweite Schlichtungsrunde wird einberufen. Auf der Tagesordnung steht unter anderem die Leistungsfähigkeit des geplanten Tiefenbahnhofs.


4.11.2010

Bei der dritten Schlichtungsrunde geht es um Alternativen zum geplanten unterirdischen Durchgangsbahnhof.


November 2010

Es folgen fünf weitere Schlichtungsrunden. Inhalte sind vor allem Kostenschätzungen, die Leistungsfähigkeit des Alternativkonzeptes Kopfbahnhof, die Auswirkungen des Bahnhofsumbaus auf den Regional- und Fernverkehr sowie mögliche Ausstiegskosten.
An der Baustelle herrscht, wie vereinbart, während der Schlichtungsrunden Stillstand. Am Dienstag, den 30. November soll GEIßLER sein Schlichterurteil fällen. Doch auch nach der letzten Schlichtungsrunde hält er weder eine Einigung noch einen Volksentscheid für möglich. "Es wäre schön, wenn man sich annähern könnte", seufzt GEIßLER nur.

Die zuvor in Kritik geratene Tanja GÖNNER (CDU), die baden-württembergische Verkehrsministerin und engste Vertraute von Ministerpräsident MAPPUS, meint im Interview mit dem ZDF heute Journal, dass die Schlichtungsrunde in dieser "emotionalisierten Debatte” wichtig gewesen sei "um zur Sachlichkeit zurückzukehren". Eine Volksabstimmung, wie es die Grünen und die SPD fordern "geht rechtlich nicht", sagt GEIßLER im ZDF-heute Journal. Er könne ja in Baden-Württemberg nichts vorschlagen, "was rechtlich nicht möglich ist".


Schlichterspruch - Gegner enttäuscht

30.01.2011

Heiner GEIßLER fällt seinen Schlichterspruch. Er betont, dass es im vorherein klar war, dass durch die Ergebnisse der Schlichtung "keine rechtliche Bindung entstehen konnte, wohl aber eine psychologische und politische". Er unterstützt die Umsetzung des Projekts, fordert aber in mehreren Punkten Korrekturen an den Bahn-Plänen. Er räumt ein, dass die Information der Öffentlichkeit über den Stand des Großprojekts einer der größten Schwachpunkte von Stuttgart 21 gewesen sei. Die Stuttgart 21 Gegner zeigen sich mit dem Schlichterspruch unzufrieden.
Und die Bahn muss ihr Projekt jetzt einem Stresstest unterziehen.
Hier geht es zum Schlichterspruch von Heiner GEIßLER.


27. März 2011

Der Wahlsonntag in Baden-Württemberg wird zur "Volksabstimmung", wie von Angela MERKEL im November im Deutschen Bundestag angekündigt. Allerdings mit anderem Ergebnis als von ihr erwartet:
Die CDU wird zwar nach wie vor stärkste Partei - trotz massiver Verluste von 44 auf auf 39%, aber sie kann zusammen mit der FDP die Macht nicht halten: Auch die Freien Demokraten erleben in ihrem Heimatland ein Wahldebakel und können mit 5,3% gerade noch in den Landtag einziehen.
Das Wunder geschieht: Das schwarze Baden-Württemberg, seit 58 Jahren fest in CDU-Hand, wird künftig als erstes Bundesland von einem grünen Ministerpräsidenten regiert. Die Grünen ziehen mit 24% noch vor der SPD (23%) siegreich in den Landtag ein.

Die Koalitionsverhandlungen zwischen Grün und Rot kommen insgesamt gut voran, man ist sich in fast allen Punkten schnell einig, ausgenommen das Projekt Stuttgart21. Man einigt sich auf einen Kompromiss:

  • Wenn der Stresstest des Projekts S21 ergibt, dass alles viel teurer wird als bisher geplant und kommuniziert, wird Baden-Württemberg keine weiteren Gelder bereitstellen
  • im Oktober 2011 soll der Volkssouverän, die Wähler, endgültig über Stuttgart 21 entscheiden. Fällt das Votum negativ aus, ist Stuttgart21 gestorben. Kommt es zu einem positiven Votum wird Stuttgart 21 weiter und zu Ende gebaut - in Baden-Württemberg ist das Zeitalter der "Basta-Politik" mit dem Abtreten von CDU und FDP endgültig zu Ende gegangen

Sommer 2011

Nach einem kurzen Baustopp bis zur Regierungsbildung im Mai scheitert im Baden-Württembergischen Landtag im Juli ein Antrag der Regierungskoalition, die Hürde bei Volksabtimmungen niedriger zu setzen. Dies scheitert an den inzwischen auf den Oppositionsplätzen sitzenden ehemaligen Regierungsfraktionen.

Ende Juli wird der angekündigte Stresstest vorgestellt. Das schweizerische und international renommierte Verkehrsplanerbüro SMA aus Zürich hat berechnet, dass der künftige Bahnhof allen versprochenen Erwartungen gerecht werden wird.

Parallel dazu stellt Heiner GEIßLER ein Kompromissmodell vor: eine Kombination aus unterirdischem Fernbahnhof und überirdischem Bahnhof wie bisher für den Regionalverkehr. Das würde bedeuten, dass niemand alles und niemand nichts bekäme. Außerdem käme diese kombinierte Lösung weitaus billiger als der komplette Ausbau des unterirdischen Bahnhofsausbau. Und die Bauzeiten würden sich verkürzen.
Bundesverkehrsminister erteilt dieser Idee von vorneherein ein Absage. Auch die Deutsche Bahn kann sich mit dem Vorschlag nicht anfreunden. Der Vorschlag wird schnell ad acta gelegt.


07.11.2011

DER SPIEGEL wartet in seinem Artikel Schwäbische Rechnung mit Neuigkeiten auf: Die Vorgängerregierung hat offenbar aktuellere Kostenschätzungen der Öffentlichkeit vorenthalten. Und dies bereits im Jahre 2009. Controller des schwäbischen Innenministeriums kamen zu dem Ergebnis, dass Stuttgart 21 im günstigsten Falle mit 4,9 Mrd. Euro um mehr als die Hälfte teurer werden dürfte, als mit der Bahn ursprünglich vereinbart. Die Beamten hatten auch gleich eine Lösung zur Hand: Die Zahlen nicht bekannt werden zu lassen, weil "die SPD bei Bekanntwerden der Kostenentwicklung von dem Projekt abrücken wird".


27.11.2011

In der Volksabstimmung im ganzen Bundesland sprechen sich 58,5% der teilnehmenden Bürger Baden-Württembergs für den Weiterbau des bis dahin umstrittenen Bahnhofs in Stuttgart aus. Nur 41,2 % votierten für das vorbereitete "Ausstiegsgesetz".
Die Hürden für die Bahnhofsgegener liegen in dem Bundesland sehr hoch, weil Volksabstimmungen bzw. Bürgerbeteiligung in dem über 50 Jahre schwarz regierten Land keine Rolle gespielt hatten. Eine Herabsetzung des notwendigen Quorums hatten CDU und FDP nach ihrem Wahldebakel im März verhindert.
Um den Bahnhofsbau zu stoppen,

  • hätte nicht nur eine Mehrheit bei der Volksabstimmung gereicht
  • sondern es hätten auch mindestens ein ganzes Drittel aller Wahlbeteiligten für das Ausstiegsgesetz votieren müssen: rund 2,5 Millionen von insgesamt 7.6 Millionen Wahlbürgern.

Jetzt hat das Volk gesprochen - es hatte zum ersten Mal die Möglichkeit, sich zu dem seit rund 25 Jahren diskutierten Plan direkt äußern zu dürfen. Für das demokratische Gemeinwesen im sogenannten Musterländle ein gewaltiger Fortschritt.
Für Ministerpräsident Winfried KRETSCHMANN ist das Votum zwar "eine harte Entscheidung", aber es war sein Plan, dass letztlich der Volkssouverän, die Zivilgesellschaft, den Ausschlag geben sollte.

Wie das Bahnprojekt aussehen wird - unabhängig davon, ob die Kostengrenze von 4,5 Mrd. Euro eingehalten werden kann, können Sie auf der Website www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de nachvollziehen:


Kosten steigen immer weiter

März 2012

Die Bahn teilt mit, dass der Bahnhof voraussichtlich  im Jahr 2020 in Betrieb geht (d.h. mit einem Jahr Verzögerung). Sie nennt auch die Bausumme nach wichtigen Vergaben: 4,3 Milliarden Euro.


Oktober 2012

Der Flughafenbahnhof wird teurer. Die Bahn beziffert die Kosten für den sogenannten "Filderbahnhof plus" auf 760 Millionen Euro, 224 Millionen Euro mehr als bisher genannt.

Die Aktuelle Kostenplanung beträgt somit 4,5 Milliarden Euro.


Dezember 2012

osten steigen 2012 auf  5,6 Mrd. + 1,2 Mrd. weiterer Risiken. Einer der Gründe ist aufsteigendes Grundwasser.  Nun hat sich herausgestellt, dass die Bahn weitaus mehr Grundwasser umwälzen muss, als im Planfeststellungsverfahren genehmigt wurde.


Die Bahn kann max 1,87 Milliarden für das Projekt stemmen. "Die bereits angebotenen 1,1 Milliarden Euro wären abgedeckt, die für weitere Risiken berechneten 1,2 Milliarden Euro dagegen nicht vollständig,"  so Bahnvorstand Volker KEFER. Bei einem Ausstieg aus dem Prijekt entstünden zwei Milliarden Euro Schaden. Die Bahnhofgegner indes nennen geringere Zahlen. So schätzt Anton HOFREITER (GRÜNE), Vorsitzender des Bundestagsverkehrsausschusses, es würden 500 bis 600 Millionen Euro für einen Ausstieg reichen. Wenn man aber Alternativprojekte ins Spiel brächte, würde es allerding bei ihrer Umsetzung 4 bis 6 Jahre dauern.

Das ist der - vorläufig - letzte bzw. aktuelle Kostenstand Ende 2012:


2019

Sieben Jahre später liegen die Kosten erneut höher:

  • Die Bahn selbst rechnet mit mindestens 8,2 Milliarden Euro
  • der Bundesrechnungshof geht von 10 Mrd. aus.

In einer hinter verschlossenen Türen abgehaltene Sitzung des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages musste der Bahnvorstand Richard LUTZ einräumen, dass das Projekt "Stuttgart 21" unwirtschaftlich sein wird. Und dass der Bahnhof nicht vor 2025 fertig sein wird.

Damit ist das eingetreten, was Kritiker Jahre zuvor erwartet und bemängelt hatten. "Stuttgart 21" erweist sich als typischer Fall dafür, was passiert, wenn Politiker die Zukunft planen (dürfen), ohne später die Verantwortung dafür tragen zu müssen. Und was geschieht, wenn man dabei die Betroffenen, die Zivilgesellschaft außen vor lässt.


(LM; LU; MB; RB; SB; JL)