Die Berichte der MAIN-POST, 22.01.2002

von Andreas JUNGBAUER

Gericht bestätigt "Opfer-Rede" vor Hitlerjugend – wird Halle umbenannt?

Würzburg: Soll die Carl-Diem-Halle wegen der zwielichtigen Rolle ihres Namensgebers im "Dritten Reich" umbenannt werden? Ein Urteil des Landgerichtes Darmstadt hat die Debatte neu angeheizt.
Würzburg und Carl Diem. Das ist eine mehr als schwierige Beziehung. In kontroversen Debatten wurde sie wiederholt auf den Prüfstand gestellt. Anlass zu Streit gibt Diems Haltung und Wirken in der Zeit des Nationalsozialismus. Die einen würdigen den von 1882 bis 1887 in Würzburg aufgewachsenen Diem als großen Sportfunktionär, der Jugendliche begeisterte, als Organisator der Olympischen Spiele 1936 und als "Erfinder" von Sportabzeichen und Bundesjugendspielen. Andere verurteilen ihn als prominenten und aktiven Repräsentanten des menschenverachtenden Nazi-Regimes.

Schon 1989, also gerade einmal acht Jahre nach der feierlichen Eröffnung, forderten die Würzburger Grünen eine Umbenennung der Carl-Diem-Halle. Im Stadtrat fanden sie für ihren Vorstoß aber keine Mehrheit. 1996 dann ein erneuter Anlauf: In der Sendung "Monitor" hatte sich Ex-ZDF-Chefredakteur Reinhard Appel an eine "flammende Rede" Diems in den letzten Kriegstagen erinnert. Der Sportführer habe damit junge Menschen in den Tod geschickt. Vor versammelten Mitgliedern des Volkssturms und der Hitlerjugend soll er zum "finalen Opfergang für den Führer und das Vaterland" aufgerufen haben.

Just diese "Opfer-Rede" ist vergangene Woche vom Landgericht Darmstadt bestätigt worden. Geklagt hatte Diems Sohn Carl-Jürgen (66), und zwar gegen die beiden Vizepräsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Theo Rous und Rüdiger Nickel bezeichnen Diems Grundeinstellung als "undemokratisch, nationalistisch, inhuman und rassistisch" und beziehen sich in ihrer Einschätzung insbesondere auf die "Opfer-Rede". Der DLV hat den von ihm vergebenen Carl-Diem-Schild mittlerweile in einen "DLV-Ehrenschild" umgetauft. Reagiert hat man auch in einigen deutschen Kommunen. Im Berliner Stadtbezirk Steglitz-Zehlendorf heißt die frühere Carl-Diem-Halle in der Zwischenzeit Sochos-Halle, benannt nach der Partnergemeinde. Im hessischen Hanau denkt man über eine Umbenennung des Carl-Diem-Weges nach. Und in Würzburg, das dem "großen Sohn der Stadt" 1957 die Sportplakette in Gold verliehen hatte?

Nach MAIN-POST-Informationen hat Grünen-Stadträtin Benita Stolz die Frage einer Umbenennung vor einigen Monaten in den Sportbeirat gebracht. "Wir sind für eine ernsthafte Prüfung der Geschichte mit allen Argumenten. Würzburg darf sich nicht um das Thema herumdrücken", sagte sie gestern auf Anfrage. Gerne sähe sie einen historisch versierten Fachmann vor dem Sportbeirat, am liebsten einen der beiden Diem-Biografen. Im Rathaus orientiert man sich ganz an der Linie des Deutschen Sportbundes. Und der hat nach dem Urteil erst einmal eine neuerliche Biografie über Carl Diem in Auftrag gegeben. "Wir wollen diese Prüfung abwarten", so Sportreferent Reiner Hartenstein gestern zur MAIN-POST. Sollten sich daraus neue Erkenntnisse ergeben, "sind wir jederzeit zu einer Reaktion bereit." Wie Stolz warnt Hartenstein vor einer Thematisierung der Angelegenheit im emotionsgeladenen Wahlkampf.

Einen neuen Namen bräuchte im Übrigen nicht nur die Carl-Diem-Halle, sondern ebenso die nach ihm benannte Plakette, die von der Stadt für besondere Sport-Verdienste vergeben wird. Wenig von einer Umbenennung hält der Würzburger Historiker Werner Dettelbacher. Er charakterisiert Carl Diem zwar als "verblendet und irregeleitet, aber er war kein Fanatiker". Er habe sich in die Idee verrannt, Deutschland zur Sport-Nation Nummer eins zu machen. Zwar habe er das Hitler-System durch seine Funktion unterstützt, aber in erster Linie sei es ihm um den Sport gegangen. Dettelbacher: "Diem war kein Parteimitglied und politisch nicht sehr beschlagen."