Die Berichte des Tagesspiegel, 01.02.2008

von Frank JANSEN

Farce in zwei Akten

Es ist Mittwoch, 11 Uhr 14, die Verteidiger der Angeklagten und die Anwälte der Nebenkläger zanken sich heftig. Da passiert etwas, das in deutschen Gerichtssälen unvorstellbar scheint: Der Richter, die beisitzende Richterin, die Schöffin und der Schöffe stehen wortlos auf - und gehen. Die Tür hinter dem Richterpodium fällt ins Schloss, die Anwälte blicken auf ihre Tische. Einer berichtet später, die Zwangspause sei bereits die zweite im Prozess, "damit sich die Stimmung abkühlt". Um 11 Uhr 32 kommen Richter und Schöffen zurück. Es dauert keine halbe Stunde, da gibt es wieder Krach, weil eine Anwältin der Nebenklage in einer Pause mit einem Zeugen gesprochen hat. Ein Verteidiger ruft "das ist unerträglich", die Anwältin wehrt sich, der Richter faucht sie an, "wollen Sie die Verhandlungsführung übernehmen?Dann kann ich nach Hause gehen". Er bleibt dann aber doch.

Der Prozess zum Angriff auf Theaterschauspieler in Halberstadt mutiert zur Farce. Das passt auf makabere Weise zum Versagen der Polizei bei der Gewalttat vom Juni 2007. Sie hatte weit über Sachsen-Anhalt hinaus Empörung hervorgerufen wegen der Brutalität der Schläger und der Passivität der herbeigerufenen Polizisten, die Täter entkommen ließen. Und es sieht so aus, dass der im Oktober begonnene Prozess gegen vier junge Männer, den das Amtsgericht Halberstadt wegen des großen Interesses der Medien in den wuchtigen Komplex des Landgerichts Magdeburg verlegt hat, ins Leere läuft. Auch wenn das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Holger Selig bis in den August hinein Verhandlungstage angesetzt hat. Journalisten kommen übrigens kaum noch. Die markant kurzhaarigen Angeklagten gähnen oft oder grinsen.

Welches Urteil sie zu erwarten haben, zeichnet sich schon ab. Im Dezember hob das Gericht den Haftbefehl gegen die Angeklagten David O., Tobias L. und Stephan L. auf, da nach den nur vagen Aussagen der Hauptbelastungszeugen kein dringender Tatverdacht mehr zu erkennen sei. Auch Christian W., der als einziger Angeklagter ein Teilgeständnis abgelegt hatte, kam aus der Untersuchungshaft heraus. Im Umfeld der Staatsanwaltschaft wird nun prophezeit: W. erhält eine Strafe, die anderen drei spricht das Gericht frei. Damit bliebe eine rechte Gewalttat, die wie kaum eine andere den Ruf des Landes Sachsen-Anhalt beschädigt hat, weitgehend ungesühnt.

Richter Selig hat bereits angedeutet, dass er das Trauerspiel abkürzen möchte. Mitte Januar schlug er den Prozessparteien ein "Rechtsgespräch" über den weiteren Verlauf des Verfahrens vor. Aus der Reihe der Anwälte, die für sieben Opfer die Nebenklage vertreten, kam Widerspruch. Das Rechtsgespräch blieb aus. Die Nebenkläger hoffen weiter, durch die Befragung von Zeugen doch noch Hinweise auf die Schuld der Angeklagten oder auf andere Tatverdächtige zu bekommen. Und so die Versäumnisse der Polizei zu heilen. Die Anwälte der Opfer sind auch unzufrieden mit der Staatsanwaltschaft - sie habe nicht gründlich genug ermittelt. Auch in Justizkreisen ist man erstaunt, dass bereits fünf Tage nach der Tat die erste Anklageschrift geschrieben war. Im Umfeld der Staatsanwaltschaft hingegen heißt es, die Nebenklage wolle ein totes Verfahren in die Länge ziehen.

Es gibt Indizien, dass die Causa Halberstadt den Rechtsstaat in Sachsen-Anhalt Autorität kostet. Am gestrigen Donnerstag erschien keiner der drei geladenen Zeugen. Eine Zeugin schickte ein Attest, die anderen meldeten sich gar nicht. Richter Selig verhängte ein Ordnungsgeld und verfügte die polizeiliche Vorführung. Dann war auch dieser Prozesstag zu Ende.