Die Berichte des Tagesspiegel, 10.10.2007

von Frank JANSEN

Neonazis aus Halberstadt vor Gericht

Magdeburg - Sie sind blass, ihren Gesichtern ist die traumatische Erinnerung an jene Nacht im Juni abzulesen. Die fünf jungen Theaterschauspieler sitzen im Saal des Magdeburger Landgerichts den mutmaßlichen Schlägern gegenüber, die in Halberstadt die Künstler geprügelt haben sollen. Die vier kurz- oder kahlgeschorenen Angeklagten sind ebenfalls bleich, doch ihre Mienen bleiben fast alle trotzig. Nur einer, der 22-jährige Christian W., wirkt unsicher. Er hat in der Untersuchungshaft Reue signalisiert. Jetzt gilt er in der Szene als Verräter. Beim Auftakt im Prozess zu dem Überfall auf die Schauspieler droht am Dienstag ein Skinhead aus dem Publikum dem Angeklagten W. mit geballter Faust.

Aus derselben Gesinnung heraus sollen neben W. auch David O. (29), Tobias L. (23) und Stephan L. (25) am 9. Juni gegen drei Uhr früh in Halberstadt gewütet haben. Die Angeklagten hätten "mit brachialer Gewalt" ihre Opfer geschlagen und getreten, trägt Staatsanwalt Harald Sehorsch den je zwei Richtern und Schöffen des Amtsgerichts Halberstadt vor, die wegen des großen Medieninteresses nach Magdeburg ausgewichen sind. Die vier hätten die Schauspieler wegen ihres Aussehens der linken Szene zugerechnet und deshalb angegriffen, sagt Sehorsch.Eines der Opfer, Alexander J., erlitt einen Nasenbeinbruch, Freunde von J. wurden ebenfalls verletzt.

Die Anwälte der Opfer bringen auch das Fehlverhalten der Polizei zur Sprache, die am Tatort zwei rechte Schläger entkommen ließ. Und Christian W., der laut Anklage noch mal herbeiradelte und einer Frau ins Gesicht spuckte, soll von den Beamten nur kontrolliert worden sein. Das Verhalten der Polizei in Halberstadt ist auch eines der Themen, mit denen sich ein Untersuchungsausschuss im Landtag von Sachsen-Anhalt befasst.

Den misshandelten Schauspielern ist allerdings auch die Entscheidung des Amtsgerichts unverständlich, einen Teil der Anklage nicht zuzulassen. Richter Holger Selig kann "nach Aktenlage" zwar einen Verdacht auf gefährliche Körperverletzung erkennen, aber kein gemeinschaftliches Handeln der Angeklagten.

Der Anwalt von Christian W. trägt ein langes Teilgeständnis seines Mandanten vor, in dem viel von verkorkster Jugend und dem Abschied von der rechten Szene zu hören ist. Die Angaben zu Tat und Mittätern bleiben vage. Christian W. behauptet, er sei aus der Gruppe der Schauspieler provoziert worden und habe zugeschlagen. Es habe sich "ein richtiges Durcheinander" entwickelt, dann sei er geflohen. Der Verteidiger sagt, W. habe für seine Aussage von der Staatsanwaltschaft eine ermäßigte Strafe zugesagt bekommen. Ankläger Sehorsch will sich aber nicht festlegen, die Angaben von W. sind ihm nicht ausführlich genug. Die anderen Angeklagten schweigen. Am morgigen Donnerstag werden die Opfer schildern, was ihnen in Halberstadt geschah.