Polizeikultur + Behördenapparat

Was man aus der Organisationspsychologie weiß

Zwischen „Glatzen“ und „Zecken“


Polizeiapparate sind zunächst Behörden wie andere auch, funktionieren aber nach teilweise spezifischen Regeln. Dies hängt mit der speziellen Denke und der Berufsmentalität zusammen.

Wenn Polizeibeamte eine vergleichsweise sehr viel höhere Affinität zu Rechten als zu Linken haben, was nicht mit politischer Sympathie verwecheselt werden darf, dann hat dies einen konkreten, weil typischen Grund. Wenn Polizisten eine Versammlung von Neonazis auflösen wollen und dazu mit Megaphon den harschem Befehl „Auseinandergehen“ ausgeben, folgen Rechtextreme diesen Anforderungen sofort – sie sind hierarchische Führung sowie militärischen Drill und Ton gewohnt. Es entspricht ihrer Mentalität.

Wenn Linke auf Befehl auseinandergehen sollen, läuft das anders: sie fragen, warum? Es gibt doch Versammlungsfreiheit? Und ist die Polizei denn eine legitimierte Autorität? Statt (blindem) Gehorsam dominiert hier die Diskussion.

Polizisten können deshalb mit der ersten Situation („Glatzen“) sehr viel besser umgehen als mit der zweiten („Zecken“). Denn auch sie – ähnlich wie beim Militär – sind Glied in einer längeren Befehls- und Ausführungskette. Die funktioniert nur, wenn alles reibungslos läuft.

Widerspruch – offen oder latent, Aufbegehren oder gar Aufmucken sind in einem hierarchischen Apparat nicht nur unerwünscht, sondern führen deshalb schnell auch zu Ausgrenzung – sie sind Sand im Getriebe.

Gemeinsame Mentalitäten und Korpsgeist


Die im Polizeiapparat sehr ausgeprägte Wagenburgmentalität, insbesondere jenen gegenüber, die aus der Reihe tanzen, hat einen weiteren Grund: der Polizeiberuf bringt auch Gefahren mit sich. Die können teilweise erheblich sein. Die große Gemeinschaft, das berufliche Familiengefühl bzw. die emotionale ‚Gemeinschaft’ kann innerlich stärken. Und so ist die kollektive Mentalität, entweder gehört man zur Familie oder eben nicht, (sehr) weit verbreitet.

Das kann (muss aber nicht) motivierend wirken – z.B. wenn man im großen Kollektiv gemeinsame Normen, Wertvorstellungen oder Ziele sieht. Insofern ist ‚Korpsgeist’ eine schöne Sache.

Konterkarierend wirkt ein solcher falsch verstandener Korpsgeist aber immer dann, wenn Widerspruch in der Kette, Andersdenken oder anders Handeln auf einer hierarchisch untergeordneten Ebene nämlich Probleme aufzeigen will, um diese zu beheben - letztlich mit dem Ziel, das große Ganze zu 'optimieren'.

Wenn ein auf Gemeinschaft basierendes System solche Fälle nicht vorsieht oder nicht flexibel darauf reagieren kann, kommt es zum potenziellen GAU: die ‚Außenseiter’ geraten ins Abseits der Gemeinschaft und jene, die das Problem ebenfalls gesehen haben, sich aber nicht getrau(t)en, dies in irgendeiner öffentlichen Form zu Erkennen zu geben, werden nun restlos verunsichert: Sie sehen am exekutierten Exempel die Konsequenzen und können sich die eigenen leicht selbst ausmalen. Jetzt geschieht garnichts mehr.


Innovationen, neue Wege, bessere Methode und Problemlösungen


Innovationen, neue Wege, bessere Methoden, Problemlösungen, kurz alles, was immer ein wenig darauf gerichtet ist, Bisheriges einfacher, schneller oder komfortabler zu machen, passen nicht zu hierarchischen Systemen, die auf Konstanz und Berechenbarkeit für alle in der Kette Beteiligten basieren. Es sei denn, es wird von oben herab gewollt und wirklich bis nach unten hin bis ins letzte Glied durchgesetzt. Wird das in Sachsen-Anhalt mit der Politkampagne "Hingucken!" gemacht?

Systeme, die auf Veränderungen bzw. Verbesserungen aus eigener Kraft setzen und so das individuelle Know-how der Gemeinschaft nutzen wollen, sind in der Regel anders strukturiert: Kritik und Widerspruch werden nicht als Störfaktor, sondern als kreativer Faktor empfunden. Problembenenner sind keine Miesmacher oder Störenfriede, sondern willkommen, denn am Ende existiert das gleiche System, aber irgendetwas ist im Vergleich zu vorher anders, im Zweifel besser geworden.


Zielkonflikte


Wie schnell man als Staatsschützer in einen solchen Konflikt geraten kann, den eigenen Job zu tun und/oder sich mit Kollegen anzulegen oder gar den oder die Dienstvorgesetzten zu brüskieren, zeigt der Fall Zerbst. Den hatten wir bereits bei der Vorstellung der Geschichte ganz zu Anfang aufgegriffen.

In jenem Ort Zerbst, in dem der Innenminister seine Heimat sieht, hatte ein betrunkener Rechtsradikaler auf einem Heimatfest einem eher dem linken Spektrum zuzurechnenden 17jährigen im Streit mit einer Bierflasche ein Auge zerschnitten. Der Täter wurde in Gewahrsam genommen, eine Blutprobe arrangiert und anschließend von Polizeibeamten höchstpersönlich im Streifenwagen zum Zug gebracht. Das Opfer wird erst 6 Tage danach im Krankenhaus vernommen und auf Anfrage wußte der Polizeisprecher nichts von irgendeinem Vorfall dieser Art. So weit, so schlecht.

Als der Polizeiliche Staatsschutz in Dessau eingeschaltet wurde und diese Beamten ermitteln, fällt ihnen auf Anhieb folgendes auf: Hakenkreuze. In 200 Meter Sichtweite des zuständigen Polizeireviers. Hakenkreuze anzubringen ist strafbar, das weiß jeder, und jede Amtsperson, die so etwas sieht, ist – eigentlich – verpflichtet, das zur Anzeige zu bringen. Selbiges geschah in Zerbst nicht. Und just in dem Augenblick, als die Staatsschützer aus Dessau sich auch deswegen ans Werk machten, hatten sie sich bereits mit den dortigen Kollegen überworfen – man bringt so etwas nicht zur Sprache, schon garnicht übergeordneten Dienststellen. Im Zweifel guckt man eben nicht so genau hin!

Und darin besteht der Zielkonflikt. Überspitzt lautet er: Problem negieren und gut Freund oder Problembeseitigung und dann Feind.


Fehlende Transparenz


Aus diesen (vielen) Gründen (Wagenburg-Mentalitäten, Problemlösungsresistenz, potenzielle Zielkonflikte in und mit der Dienst- und Führungshierarchie) zeigen sich Polizeiapparate wenig transparent. So wie Behördenapparate am reibungslosesten für die dort Bediensteten funktioneren, wenn sie möglichst wenig Rechenschaft ablegen müssen.

In dieser Hinsicht offenbaren sich Behörden auch als wenig demokratisch kontrollierte Institutionen. Und ein Zugriff ist für die in freien Wahlen abgeordneten Parlamentarier allenfalls auf den politisch verantwortlichen Minister möglich. Der wiederum ist oft nur Spielball seines untergeordneten Beamtenapparats: die Beamten sitzen fest im Sattel und bleiben (ewig), die Minister kommen und gehen. Unendlich sind die Beispiele, in denen untere Ebenen ihre politisch verantwortlichen Minister auflaufen lassen. Wenn von dort kein entschlossenes Signal nach unten durchgestellt und auch entsprechend gehandelt wird, bleibt alles beim Alten. Der Apparat dreht sich weiter in bewährter Routine. Egal, welche Slogans von welchem Minister auch immer da oben gerade mal wieder ausgegeben werden.


Öffentlichkeit und Medien


Wer sich nicht in die Karten gucken lassen will, hat zwangsläufig kein gutes Verhältnis zur Öffentlichkeit, geschweige denn zu Presse und Medien. Presse und Medien nehmen allerdings in einem demokratischen Gemeinwesen eine unverzichtbare Aufgabe wahr, indem sie recherchieren und informieren: über positives und das, was nicht so gut läuft. Dadurch setzen sie die öffentlichkeitsrelevanten Themen, stoßen Diskussionen an, bauen manchmal dadurch auch Handlungsdruck für die Verantwortlichen auf. Am Ende dieser Wirkungskette steht dann – oft jedenfalls – ein besseres Ergebnis. Die (aller)meisten Skandale und Affären, die die Welt (manchmal etwas mehr, meist nur ein klein wenig) verändert haben, sind von dem Medien ans Tageslicht befördert worden.

Informationen, die uns die Medien berichten, stammen meist von Informanten, manchmal auch als als Whistleblower bezeichnet – whistleblowing steht für ‚Alaram schlagen’.

Wer daher Ungereimtheiten, Probleme und Missstände vom Informationsfluss an die Medien, sprich öffentlichkeit abschneiden will, hat – aufgrund der skizzierten Spielregeln von Behörden und ihrer spezifischen Kultur – oft Erfolg. Langfristig betätigt er sich als Totengräber eines solchen Systems. Denn auch Systeme leben nicht nur von ihren gesetzten Spielregeln, sondern auch von der Akzeptanz der anderen.

 

(JL)