Das Making-of der Sächsischen Zeitung - Wächterpreis

Das Redaktionsteam der Sächsischen Zeitung über die Entstehung der Geschichte.

 

Von Alexander Schneider, Tobias Wolf und Ulrich Wolf

Im Herbst 2014 gab es in Dresden mehrere Demonstrationen, die den Krieg in Syrien thematisierten. Es ging etwa um die Stadt Kobane, die von IS-Terroristen angegriffen worden war, oder die Rolle der Kurden in der Tür-kei, im Irak und in Syrien. So war es nicht Aufsehen erregend, als am Mon-tagabend des 20. Oktober rund 270 Menschen schweigend durch die Innenstadt liefen. An der Spitze ein schwarz-weiß-rotes Transparent, das man auch heu-te noch sieht: „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlan-des – PEGIDA“ stand darauf. Dazu ein Mülleimer mit einem Hakenkreuz, einer roten, einer Antifa- und der IS-Fahne. Es war etwa um 19 Uhr, als die Teil-nehmer schweigend aus einer Gasse kamen und langsam eine der Hauptverkehrs-achsen in der Innenstadt, die Wilsdruffer Straße, überquerten. Die Demonst-ration endete wenige Meter weiter am Martin-Luther-Denkmal vor der berühm-ten Frauenkirche. Schweigend.

Alexander Schneider radelte gerade nach Hause, als er diese seltsame Demo sah. Zwei Verkehrspolizisten sagten, es sei alles ruhig. „Kannst heeme fahr‘n.“ Als langjähriger Polizei- und Gerichtsreporter kennt Schneider viele Polizisten von Demos, Unfällen, Großereignissen und Gerichtsverhand-lungen. Nicht mehr als zehn Beamte sicherten die Demonstration, regelten im Prinzip nur den Verkehr.

Ruhig war es tatsächlich, doch auch bizarr für Dresdner Verhältnisse. Die Teilnehmer sahen ganz anders aus, als man es von Demonstrationen gewohnt ist: ältere Menschen, Paare in Abendkleidung, als wollten sie danach noch in die Semperoper. Dazwischen viele junge Männer, etwa Mitte 30, tätowierte Arme und Beine. Einige NPDler, darunter einer, der sonst auf jeder Demonst-ration der NPD mit aufbaut. Schneider kennt ihn seit mehreren Jahren; der Mann hatte einmal einen Jugendcoach des Kulturbüros Sachsen nach einem Pro-zess gegen einen Dresdner Hooligan zusammengeschlagen und war dafür verur-teilt worden.

Auch andere Teilnehmer erregten Neugier. Viele Hooligans waren darunter, Leute die Schneider aus Gerichtsprozessen zu kennen glaubte, Anhänger der „Faust des Ostens“ (FdO). Das ist eine Gruppe mutmaßlicher Krimineller, die im Umfeld von Dynamo Dresden erhebliche Straftaten begangen haben sollen. Gegründet hat sich die Gruppe angeblich am 20. April 2010, das Datum am Jahrestag des Geburtstags von Adolf Hitler kein Zufall. Ihre Rädelsführer sind bereits seit dem Sommer 2013 unter anderem wegen Bildung einer krimi-nellen Vereinigung angeklagt, mussten sich bislang jedoch nicht vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Dresden verantworten. Zudem fiel Schneider eine Frau auf, die nur drei Monate später in Deutschlands bekann-testes Talkshow Günther Jauch auftreten sollte: Kathrin Oertel. Mit ihren langen blonden Haaren ging sie an der Spitze des Zugs. Ein Mann, der unter dem Namen Lutz Bachmann ebenfalls prominent werden sollte, sagte am Ende der skurrilen Demo, man werde sich am kommenden Montag wieder in der Innen-stadt treffen. Dann gingen die Leute nach Hause.

Am nächsten Tag erhielt die Stadtredaktion Dresden der Sächsischen Zeitung eine Pressemitteilung von einer Stadträtin der Linken. Sie behauptete, es habe in der Innenstadt Verfolgungsjagden gegeben und die Polizei sei ange-sichts eines islamfeindlichen Aufmarschs überfordert gewesen. Von einem äu-ßerst aggressiven Auftreten der Demonstranten, wiederholten massiven An-griffen auf Gegendemonstranten und links aussehenden Passanten war die Re-de. Schneider hatte das nicht gesehen, wenn es Störungen gegeben hätte, wä-ren sie ihm jedoch aufgefallen. Auch die Polizei bestätigte diese Behaup-tungen nicht. Sollte es tatsächlich irgendwelche Übergriffe gegeben haben, dann können sie nur nach dem Ende der Demo geschehen sein. Die Stadtredak-tion jedenfalls nahm sich vor, fortan diese merkwürdigen Demonstranten im Auge zu behalten.

Am letzten Oktober-Wochenende lieferten sich Hunderte Hooligans in Köln ei-ne Straßenschlacht mit der Polizei. Das machte bundesweit Schlagzeilen – und sollte auch dem zweiten Dresdner „Abendspaziergang“ von Pegida zu einem medialen Echo verhelfen. Aufgrund der Ereignisse in Köln kamen mehrere TV-Teams, um am Abend des 27. Oktober live von der Dresdner Montagsdemo zu be-richten.

An dieser zweiten Demonstration nahmen diesmal etwa 600 Menschen teil. Be-stimmend waren junge Männer, Hooligans. Wieder waren Rechtsextremisten da-bei. Die Stimmung war deutlich aggressiver. Menschen skandierten „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“ und Ähnliches. Auch Zivilbeamte des Staatsschutzes waren zu entdecken. Die Beobachtungen zu Teilnehmern aus dem FdO- und NPD-Umfeld bestätigten sich erneut. Am Ende der Demo gab Lutz Bachmann Interviews. Schneider wurde diesmal von Stadtre-daktionsreporter Tobias Wolf unterstützt. Beide sprachen auch kurz mit Bachmann; als sie an der Reihe kamen, war er schon sichtlich genervt. Nahe-zu alle Reporter hatten ihn nach den Rechtsextremisten und Hooligans ge-fragt. Schneider/Wolf sagten ihm, das interessiere sie auch. Zudem wüssten sie aber auch gerne, was er zu der Linken-Pressemitteilung zu sagen habe und wie er sich die angeblichen „Hetzjagden“ erkläre. Ferner baten sie Bachmann um Auskunft zu den Zielen von Pegida. Antworten erhielten die Re-porter nicht. Nur Bachmanns Frau Vicky ließ sich kurz über die Drogendea-ler-Szene am Dresdner Hauptbahnhof aus. Deswegen könne man seine Kinder nicht mehr auf die Straße schicken. Das Ehepaar Bachmann hat selbst keine Kinder. Lutz Bachmann ließ sich von einem Kollegen des Organisationsteams von Pegida wegziehen. Begründung: „Mit der Presse reden wir nicht.“

An jenem Tag rief Pegida auch seine Facebook-Seite ins Leben. Sehr schnell waren mehr als 1.000 Likes beisammen, im Lauf der Woche stieg die Zahl schnell. Im Info-Bereich der Seite fand sich erstmals etwas zur Motivation von Pegida. Darin war von „Mainstream-Medien“ und „selbst ernannten Hasspredigern“ die Rede und dass man nicht „politisch korrekt“ sei. Manche dieser Begriffe und Formulierungen stammen aus der rechtsextremen Ecke.

Allmählich erkannte auch die Mantelredaktion, dass die Mobilisierungskraft von Pegida beachtlich war. Schneider/Wolf erhielten Verstärkung durch Ul-rich Wolf, Reporter für die Seite 3, der nicht tagesaktuell berichten muss. Der Auftrag für das nunmehrige Trio lautete: alles über die Organisatoren und diese Bewegung herauszufinden, was möglich ist. Denn die Leute strömten zu den Demos, was in der Redaktion eine gewisse Ratlosigkeit verursachte. Die Massen riefen immer öfter „Volksverräter“ und „Lügenpresse“ oder „Mer-kel muss weg“. Im November 2014 waren montags schon über 1.000 Menschen auf der Straße, Anfang Dezember waren es 7.500. Es zeichnete sich ab, dass Pegida sehr unterschiedliche Gesichter hatte. Auf Facebook wurde von Beginn an in einer bis dahin nicht gekannten Art und Weise gehetzt, sogar die Pegida-Administratoren kamen kaum hinterher mit dem Löschen der schlimmsten Kommentare. Auf den Demos wurden bald Reden gehalten, die demagogisch wa-ren. Das mittlerweile vorliegende Thesenpapier von Pegida mit 19 Forderun-gen hingegen klang harmlos, war teilweise aus Programmen unterschiedlicher Parteien abgeschrieben. Kurzum: Das alles passte nicht wirklich zusammen.

Lutz Bachmann, der Sprecher der Bewegung, rückte ins Rampenlicht. Auch sei-ne Total-Verweigerung zumindest gegenüber deutschen Medien machte ihn inte-ressant für seine Mitläufer. Schneider/Wolf/Wolf begaben sich als Team, nun alle drei weitgehend freigestellt vom tagesaktuellen Geschäft, auf Spuren-suche. Wo kommt Bachmann her? Was hat er bislang gemacht? Im Zeitungsarchiv fanden sie eine Titelgeschichte der „Dresdner Morgenpost“ mit Bachmann aus dem Jahr 2010. Darin beschwerte er sich als Bratwurstverkäufer auf dem Alt-markt über die Auflagen der Stadt. Die Reporter suchten daraufhin Markt-händler auf. Diese steckten ihnen vertraulich, Bachmann habe angeblich eine schillernde Vergangenheit. Mit Knast, Kokain und Nazi-Sprüchen und so. Eine erste vielversprechende Spur.

Das Reportertrio einigte sich auf eine Aufgabenverteilung: Ulrich Wolf, ehemals Wirtschaftsredakteur, sollte die finanziellen und wirtschaftlichen Hintergründe Bachmanns abklopfen. Tobias Wolf übernahm die sozialen Kontak-te auf Facebook & Co. Alexander Schneider wühlte im Umfeld von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht. Bachmann hatte außer einem Bratwurststand auch eine Werbeagentur. Auf deren Internetseiten fanden sie die ersten Hin-weise zu seiner beruflichen Vita. Bei Facebook entdeckten sie mehrere Bach-mann-Seiten, darunter eine, auf der er seine im Juli 2014 vollzogene Heirat vermarktete; er und seine Frau machten keinen Hehl daraus, zu „den Geisens“ von Sachsen werden zu wollen. Auf Xing warb Bachmann mit einem Abschluss als Grafikdesigner von der Universität in Kapstadt.

Das Interesse an dem Mann Anfang 40 stieg: bei den Lesern der Sächsischen Zeitung, in der Lokalpolitik, bei Juristen. Bachmann polarisierte. Für die einen war er ein Supertyp mit dem Herz am rechten Fleck, der etwa beim Hochwasser 2013 sehr viel geleistet habe, und ein Virtuose auf der Klavia-tur der sozialen Netzwerke; für andere war er ein „typischer Betrüger“, ein Narziss, ein gesellschaftlicher Spalter. Als Redner auf der Pegida-Bühne grenzte er sich bald von allem Etablierten ab: Medien, Politik, Kirchen, Vereinen und dergleichen.

Schneider schaffte den Durchbruch bei den Recherchen über Bachmann. Dessen zunehmende Bekanntheit erleichterte das. Knast? Kokain? Anwälte erinnerten sich an alte Geschichten. Schnell stand fest: Bachmann war gerichtsbekannt. Schneider entdeckte eine Kokain-Geschichte aus dem Jahr 2010: Wegen Handels mit Kokain in nicht geringer Menge in zwei Fällen (40 und 50 Gramm) saß Bachmann von September 2009 bis zu seinem Prozess am 10. Februar 2010 in Untersuchungshaft. Ein Schöffengericht verurteilte ihn zu einer Freiheits-strafe von zwei Jahren auf Bewährung. Es gab weitere Verdächtige aus dieser Zeit, angeblich ging es dabei auch um eine weit größere Menge Kokain. Ein Mann, bei dem Bachmann den Gerichtsunterlagen zufolge in Dresden gewohnt hatte, war bereits seit Anfang der 1990er-Jahre als Krimineller bekannt. Rotlicht, Drogen und mehr. Der Zufall (oder das Reporterglück) wollte es, dass Bachmanns ehemaliger WG-Kumpel sich im Spätherbst 2014 erneut vor Ge-richt verantworten musste. Zeugen erinnerten sich auch anderer alter Ge-schichten rund um Bachmann.

Nach und nach fand Schneider heraus, dass neben der Kokain-Sache weitere Verurteilungen das Strafregister des Pegida-Chefs füllten. Quasi während seines ganzen Erwachsenendaseins hatte der Mann Ärger mit der Justiz. 1998 war Bachmann, damals unter anderem als Handyladen-Betreiber, wegen einer Serie von 16 Einbrüchen zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Wegen weite-rer Delikte hatte er schließlich eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten erhalten. Doch seine Haft trat Bachmann nicht an. Er setz-te sich mit einem Kumpel nach Südafrika ab, der Gründer der anfangs asyl-kritischen, später asylfeindlichen Pegida-Bewegung war selbst ein Flücht-ling. Die Justiz führte ihn als Intensivtäter. Das Reportertrio war fas-sungslos.

Mithilfe der Gerichtsunterlagen drehten die Reporter nunmehr jeden fassba-ren Stein in Bachmanns Leben um. Ulrich Wolf klapperte dessen Wohn- und Bü-roadressen ab, sprach mit Nachbarn, seinen Werbeagenturkunden, ehemaligen Schulkameraden und Verwandten. Die Spurensuche führte Ulrich Wolf in die Kleinstädte rund um Dresden: Kindheit und Jugend verbrachte Bachmanns in Coswig, langjährige Freunde hatte er in Meißen und Radebeul, seine Agentur-geschäfte machte er auch im Rotlichtmilieu Dresdens, seinen Friseur hatte er in Freital. Seinen aktuellen Briefkasten fand Ulrich Wolf in einem Vier-tel im Nordwesten von Dresden, bei einer etwas dubios wirkenden Autowerk-statt, deren Chef Jordanier war. Tatsächlich aber lebte der Pegida-Gründer zusammen mit seiner Frau längst in einem Dorf in einem benachbarten Land-kreis. Auch dort hörte sich Ulrich Wolf um: bei Nachbarn, beim Bäcker, beim Fleischer und bei Kneipiers. Immer mehr Details kamen ans Licht. Ulrich Wolf stieß auf Wegbegleiter Bachmanns, die offenbar noch einige Rechnungen mit ihm offen hatten. Sie kamen vor allem aus dem Milieu, der Reporter tauchte für einige Nächte ab in die Dresdner Rotlichtszene. In einer Strip-tease-Bar erfuhr er mehr über den Mann, der mit Bachmann nach Südafrika ge-flohen war, über Kontakte zu den Rockern der Hells Angels. Sie sollen es gewesen sein, die Bachmanns Trip nach Südafrika finanzierten. Er habe dort auch nicht studiert, sondern als Türsteher gearbeitet, hieß es. In einem intensiven Mail- und Telefonkontakt mit Sprechern der Universität in Kapstadt erfuhr Ulrich Wolf, dass man dort gar keinen Grafikdesign-Abschluss machen konnte, wie Bachmann auf Xing vorgegaukelt hatte. Zudem versicherte die Universität, in ihren Studentenlisten nie einen Lutz („Han-cock“) Bachmann gehabt zu haben.

Tobias Wolf sprach unterdessen mit ehemaligen und bestehenden Geschäfts-partnern Bachmanns in Dresden, mit Helfern aus der Zeit der Elbe-Flut im Juni 2013 sowie mit Dynamo-Fans, die ihn kannten. Nächtelang durchsuchte er das Internet, stieß auf den ersten Pegida-Demo-Aufruf samt der Zusagen, si-cherte mehrere Hundert Screenshots in einer extra angelegten Dropbox. Wegen der Masse des mittlerweile gesammelten Recherche-Materials reichten die Speicherkapazitäten der persönlich gebundenen Laufwerke auf den Dienstcom-putern nicht mehr aus.

Schon damals wurde den Dreien klar: Insbesondere auf den Facebook-Seiten von Pegida baute sich eine bis dahin von ihnen nicht gekannte Hasswelle auf, in einer Sprache, die dermaßen verroht war, dass sie kaum glauben wollten, dass all das quasi vor ihrer Haustür stattfand. Nach und nach ent-standen zwei, nahezu wissenschaftlich erarbeitete Dossiers, inklusive Fuß-noten und Quellenangaben zu jeder Tatsachenbehauptung: eines über Bachmann selbst, eines über die soziologischen Hintergründe der Pegida-Bewegung. Dem Autorenteam war bewusst: Alles musste stimmen, bis zum letzten Semikolon. Und die sich abzeichnenden Geschichten mussten zudem die harte Prüfung der Rechtsabteilung überstehen.

Bachmann blieb nicht verborgen, dass die Reporter an ihm dran waren. Er rief Ulrich Wolf an und verlangte, die Recherchen sofort einzustellen. Mit-te November wurden die Lügenpresse-Rufe lauter und zahlreicher. Den Pegida-Organisatoren gelang es zusehends, sich als Robin-Hood-Truppe zu inszenie-ren, als Kämpfer gegen alles Etablierte. Bachmann kündigte seinen Austritt aus der evangelischen Kirche an, als die Pegida kritisiert hatte.

Ulrich Wolf und Alexander Schneider erfuhren, dass Bachmann 2000 von Südaf-rika zurückkehrte und seine Haftstrafe in der neu gebauten JVA Dresden an-trat. Danach gab es neue Spuren zu einem Saunaclub in Leipzig. Dieses Etab-lissement war Schneider bereits bekannt: durch Verfahren, in deren Mittel-punkt die kriminelle Betreiberin eines Schneeballsystems stand. Die Frau hatte seit Ende der 1990er-Jahre mit Provisionen für Seminare, angeblichen Weiterbildungen und dergleichen Tausende Menschen um mehr als 10 Millionen Euro gebracht, unterstützt unter anderem von Leipziger Rockern, deren früherer Chef besagten Saunaclub betrieb. Wo die Reporter auch hineinstie-ßen: Sie landeten Treffer, die sie so nicht erwartet hatten.

Ende November 2014, nach fast drei Wochen intensiver Recherche, war das Trio so weit, Bachmann mit den Ergebnissen zu konfrontieren. Gesprächsange-bote hatte er zuvor mehrfach abgelehnt. Sie schickten ihm einen Fragebogen an alle bekannten privaten und Pegida-Mailadressen. Bachmann reagierte. Er erinnerte sich seiner sporadischen Kontakte zur Bild-Zeitung, als er sich mit Sportfotos versucht hatte, über Wasser zu halten. Bachmann ließ sich von einem ihm bekannten Redakteur der Bild interviewen. So wollte er den Veröffentlichungen der Sächsischen Zeitung zuvorkommen, er wollte selbst bestimmen, was über ihn geschrieben wird. Bachmann beichtete der Bild al-lerdings nur einen Bruchteil dessen, was die Reporter der Sächsischen Zei-tung ausgegraben hatten.
Ihr Fragebogen indes landete an jenem Wochenende auf den Facebook-Seiten von Pegida, versehen mit Anmerkungen. Etwa dieser: „Werter Herr Wolf, seri-öser Journalismus sieht anders aus! Was hat meine Vergangenheit mit Pegida zu tun? Ich bin nur ein ganz kleines Zahnrad in einem Getriebe, welches Sie, mit Ihren medialen Methoden der Diffamierung und Diskreditierung nicht zerstören werden. Diese Methoden sind den Bürgern noch allzu gut bekannt und sie werden auch diesmal, wie vor 25 Jahren, nicht funktionieren.“

Die Seite 3 über das Vorleben von Lutz Bachmann erschien am 1. Dezember 2014, einem Dienstag. Am Abend zuvor hatte er auf einer Pegida-Demo seine Anhänger in seiner Rede auf die Veröffentlichung bereits vorbereitet. Die Pegida-Sympathisanten hinterfragten nicht, wem sie da als Verteidiger des christlichen Abendlands hinterherliefen. Nein, das Gegenteil trat ein: Sie solidarisierten sich mit Bachmann. Die Sächsische Zeitung stand fortan als greifbarstes Symbol der Lügenpresse im Fokus der Pegida-Bewegung, ihre Journalisten als greifbarste Repräsentanten des verhassten Mainstreams und des ungeliebten „Systems Merkel“.

Aus Sicht von Schneider/Wolf/Wolf wurde die Berichterstattung über das Vor-leben Bachmanns von mehreren Leitmedien leider so interpretiert, als sei der Pegida-Gründer ein klassischer Neonazi – ebenso wie seine organisatori-schen Mitstreiter und überhaupt alle, die da mitlaufen. Die Sächsische Zei-tung hat das mitnichten so geschrieben. Im Gegenteil: Sie hat sogar aus-drücklich darauf hingewiesen, dass klassische Zuordnungsmuster zum recht-extremen Milieu zu jener Zeit nur auf eine Minderheit der Mitläufer zutref-fen. Auch Bachmann und den damaligen Organisatoren konnten aktive Verbin-dungen in die Neonazi-Szene seinerzeit nicht nachgewiesen werden. Das pau-schale Nazi-Bashing machte es Bachmann leicht, die Front gegen die „Lügen-presse“ zu stärken und die Reihen geschlossen zu halten. Nahezu grotesk mu-tet es da an, dass Pegidas oberster Repräsentant eine steile Medienkarriere hinlegte: Bachmann schaffte es auf die Seite 1 der New York Times und ist auf der Straße heutzutage bekannter als so manches Mitglied der Bundesre-gierung.

Trotz der zunehmenden Prominenz und der immer zahlreicher werdenden Anhä-ngerschaft von Pegida legten Schneider/Wolf/Wolf weitere Arbeiten nach. Mitte Dezember etwa erschien die Seite-3-Story „Pegida – wie alles begann“, in der eine Art Soziogramm des Organisationsteams gezeichnet wird. Immer wieder fallen ähnliche Lebensläufe und Sozialisationen auf, Parallelen in den Biografien und Karrieren. Oft sind es Menschen, die wirtschaftlich oder einfach nur menschlich gescheitert sind, sich davon nicht erholt haben, aber andere dafür verantwortlich machen und nicht bereit sind, zumindest einen Teil der Ursachen für ihr Scheitern bei sich selbst suchen. Immer wieder wurden dabei auch frühere oder bestehende private und geschäftliche Verbindungen oder Überschneidungen von Lutz Bachmann zu dem ein oder ande-ren stadtbekannten Unternehmer sowie in die Sport- und Gastronomieszene of-fenkundig, inbegriffen auch Mitglieder der Dresdner FDP.

Natürlich beschäftigten sich Schneider/Wolf/Wolf auch mit der politischen Dimension Pegidas, auf lokaler, landes- und bundespolitischer Ebene. Sach-sens Innenminister Markus Ulbig (CDU) sprach in einem Interview von „Rat-tenfängern“. Er meinte zwar die Organisatoren, doch Bachmanns Team schaffte es via Facebook, den Spieß umzudrehen. Fortan schimpften die Pegida-Anhänger, Ulbig habe sie als „Ratten“ bezeichnet. Ähnlich erging es SPD-Chef und Vizekanzler Siegmar Gabriel im August 2015, der die Verursacher gewalttätiger Auseinandersetzungen vor einer Asylunterkunft im sächsischen Heidenau als „Pack“ beschimpfte. Die Pegida-Bewegung antwortete über Face-book, anspielend auf die Attentate in Paris, mit der Aktion: „Ich bin Pack.“ Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) nannte Pegida eine „Schande für Deutschland“, Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) sprach von „Nazis in Nadelstreifen“. Das alles waren unbedachte Äußerungen, die nach Beobachtungen der Reporter einen weiteren Mobilisierungsschub be-wirkten, der seinen Höhepunkt durch die Neujahrsansprache der Bundeskanzle-rin am 31. Dezember 2014 erfuhr. „Folgen Sie denen nicht, die dazu aufru-fen", sagte Angela Merkel, „denn zu oft sind Vorurteile, ist Kälte, ja, so-gar Hass in deren Herzen!" Die Demonstranten riefen zwar "Wir sind das Volk", sagte Merkel. „Aber tatsächlich meinen sie: Ihr gehört nicht dazu – wegen eurer Hautfarbe oder eurer Religion." Die Pegida-Anhänger fühlten sich provoziert, Bachmann mobilisierte im Januar 2015 bis zu 25.000 Men-schen.

Gleichzeitig entbrannte in der sächsischen Landeshauptstadt eine lebhafte gesellschaftliche Diskussion über den Umfang mit Pegida. Dresden war (und ist) aufgewühlt wie seit dem Herbst 1989 nicht mehr. Stadt und Landesregie-rung organisierten eine Gegendemonstration, an der zwischen 20.000 und 30.000 Menschen teilnahmen. Bürgerforen wurden organisiert, Diskussionen jedweder Art entfacht. Politikwissenschaftler und Soziologen entdeckten Pegida als Forschungsgegenstand; ihre Ergebnisse wichen teils stark vonei-nander ab. Die AfD suchte den Schulterschluss, deren sächsische Landesvor-sitzende Frauke Petry aber wollte Bachmann nicht mehr, nachdem von ihm ras-sistische Facebook-Posts und Selfies mit Hitler-Bart publik geworden waren. Petry kündigte als erste via Pressemitteilung den Rücktritt Bachmanns an, geschrieben auf dem PC eines Dresdner AfD-Vorstands, der zugleich der Si-cherheitschef bei Pegida war. Doch Bachmann überstand die Krise, machte ei-nen Rücktritt vom Rücktritt. Mit Frauke Petry verbindet ihn seitdem nichts mehr.

Die sächsische Landeszentrale für politische Bildung versuchte unterdessen zwischen Pegida-Befürwortern und Pegida-Gegnern zu vermitteln; doch sie überspannte den Bogen, als sie dem Duo Bachmann/Oertel Räume zur Verfügung stellte für eine Pressekonferenz. Auch einige sächsische CDU-Bundestags- und Landtagsabgeordnete suchten das Gespräch mit Pegida-Anhängern, was – aufgedeckt durch Ulrich und Tobias Wolf – medial hohe Empörungswellen schlug. Unentwegt verursachte Pegida Schlagzeilen, Schneider/Wolf/Wolf im-mer mittendrin. Das Thema dominierte nicht nur ihr Berufsleben, auch nach Dienstschluss setzte es sich fort. Ob unter der Dusche im Sportverein, auf Familienfeiern oder beim bislang eher belanglosen Smalltalk mit dem Lieb-lingsbäcker – es gab in Dresden kein wichtigeres Thema mehr als Pegida. So-gar Dynamo geriet ins Hintertreffen.

Wichtig zu erwähnen ist, dass bereits im November und Dezember 2014 auch die Demonstrationen gegen Pegida an Zulauf gewannen, „unterstützt“ von ge-waltbereiten Autonomen. Steine flogen, Pyrotechnik brannte. Am 1. Dezember blockierten mehrere Hundert Menschen eine Pegida-Demo. Bachmann reagierte geschickt, er ließ sich von solchen Aktionen nicht provozieren. Er rief stattdessen zum friedlichen Protest, betonte das stets und gewann so noch mehr Sympathien bei seinen Anhängern, aber auch in Reihen der Polizei. Bachmann schaffte es, Pegida auf der Straße als Klügeren erscheinen zu las-sen. Eine öffentliche Diskussion über die Inhalte der Bewegung jedoch mied er. Bachmann sprach fast nur mit ausländischen Medien sowie handverlesenen aus dem Inland, auffällig viele darunter aus dem nationalistischen Lager. Internetportale wie PI-News oder Epoch-Times sowie Printprodukte wie Com-pact oder Junge Freiheit erfuhren in der Folgezeit einen bis heute anhal-tenden Nachfrageschub. Pegida machte sich gerade dadurch interessant, dass ihre Repräsentanten etablierte Medien links liegen ließen. Das gefiel einer ganz bestimmten Klientel Menschen, deren größte gemeinsame Schnittmenge der Satz ist: „Ich bin mit der Gesamtsituation unzufrieden.“ Bachmann fuhr eine demagogisch-populistische Strategie, indem er sich und Pegida von allem Etablierten abgrenzte. Er verhinderte so, in die gesellschaftliche Debatte, die Pegida auslöste, selbst mit hineingezogen zu werden.

Das Reportertrio fragte sich: Wie halten Tausende Menschen es aus, Montag für Montag bei Schneematsch und Frost, bei Nieselregen und Nebel, immer gleichen Reden zuzuhören und eine Runde im Kreis zu laufen? Antworten konn-ten nur die Teilnehmer der Pegida-Märsche geben. Meist wurden die Reporter brüsk abgewiesen, manchmal beschimpft oder gar bedroht. Dennoch gelang es ihnen, zu gut einem Dutzend der Pegida-Spaziergänger einen dauerhaften Kon-takt zu entwickeln. Vier von ihnen kamen im März 2015 mit eigenen Texten in der Sächsischen Zeitung zu Wort, einer vermittelte gar ein mehrstündiges Hintergrundgespräch zwischen Lutz Bachmann und Ulrich Wolf. Bei einem zwei-ten Treffen war auch Tobias Wolf dabei, ebenso der Ressortleiter Gesell-schaft/Reportage der Sächsischen Zeitung. Für etwa sieben Wochen schien ei-ne gewisse Kommunikation mit der Pegida-Spitze möglich, dann trat im April 2015 der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders in Dresden auf. Fort-an radikalisierte sich die Bewegung. Das nach der Spaltung neu organisierte Organisationsteam driftete immer weiter nach rechts.

Für viele Pegida-Sympathisanten, auch das beobachteten die Reporter, entwi-ckelten sich die montäglichen Zusammenkünfte zu einem Event. Gruppen von 20 bis 30 Personen, Nachbarschaften, Kegelvereine oder Wanderclubs, vor allem jene, die von außerhalb Dresdens anreisten, verabredeten sich für die kom-mende Woche. Sie hatten Spaß daran, gegen Staat und Regierung zu wettern, sich aufzulehnen „gegen die da oben“. Sie waren das Volk – und niemand an-deres. Die Reden, die Gestaltung des Abends, all das war vielen egal. So lief Pegida im Dezember 2014 zweimal mit bis zu 18.000 Teilnehmern durch eine wenig belebte Gegend, von einem Skaterplatz an einem Park vorbei und um das Dynamo-Dresden-Stadion herum, weil aufgrund von Weihnachtsmärkten die attraktiven Flächen in der City besetzt waren. Manchmal hielten Pegida-Redner – meist Bachmann – zweimal dieselbe Ansprache: vor und nach dem Spa-ziergang. Auch das schreckte die Anhänger nicht ab.

Nunmehr seit fast zwei Jahren wird Dresden – aus Sicht des Autorenteams – von Pegida geplagt. Das gesellschaftliche Klima in der 530.000-Einwohner-Stadt ist vergiftet, eine Dunstwolke latenter Grundaggressivität schwebt über dem alltäglichen Zusammenleben. Pegida-Anhänger sind mit Fakten kaum mehr erreichbar, sie haben sich in der Welt der virtuellen Selbstbestäti-gungspublizität eingeigelt. Seit der Spaltung des Organisationsteams Ende Januar 2015, der nachfolgenden Neubesetzung, dem Auftritt von Wilders sowie dem Etablieren der ehemaligen Hamburger AfD-Politikerin Tatjana Festerling als zweites Pegida-Gesicht nach Bachmann, hat sich die Bewegung radikali-siert. Dennoch schaffte es Festerling als Oberbürgermeisterkandidatin bei den Kommunalwahlen im Juni 2014 auf Anhieb, knapp zehn Prozent der Stimmen in Dresden zu erhalten. Gerade in Vierteln, in denen Asylunterkünfte beste-hen oder angekündigt waren, räumte sie ab. Stellenweise holte sie dort mehr als 20 Prozent, auch in gutbürgerlichen Lagen.

Aus der aggressiven Hetzsprache der Pegida-Redner sind Taten geworden, Asylheime brennen, werden unter Wasser gesetzt oder bestenfalls mit Parolen beschmiert. Der mittlerweile unverhohlen zur Schau gestellte Hass, ein ar-rogant-larmoyantes Spiel als Mittel der Verachtung von Medien, Politik und Kirche, die Schadenfreude über jeden Fehler des Establishments – all das zieht anderen Hass nach sich, etwa von Linksautonomen. Der Demokratie ist in Sachsen, besonders im Großraum Dresden (Stichworte: Heidenau, Freital, Meißen, Bautzen), jedweder Schutz genommen worden. Sie steht hier einfach nackt da – und ist damit überaus verwundbar.

Schneider/Wolf/Wolf haben seit Oktober 2014 mehrere Hundert Meldungen, Be-richte, Porträts und Reportagen rund um Pegida veröffentlicht, Print wie Online. Sie sind (und werden) deshalb auf Facebook und Twitter angefeindet, mit Klarnamen und Fotos öffentlich an den Pegida-Pranger gestellt, sie wur-den und werden beschimpft und bedroht. Teilweise scheut Pegida nicht davor zurück, auch Familienmitglieder der Autoren in die Kampagnen hineinzuzie-hen. Alexander Schneider, Tobias Wolf und Ulrich Wolf sind in wechselnden Besetzungen an vielen Brennpunkten wie Freital, Meißen, Bautzen und Heiden-au unterwegs, aber auch bei Anti-Asyl-Protesten in Dresdner Stadtteilen. Sie erleben hautnah eine um sich greifende Hass- und Gewaltstimmung, die in Gewalt gipfelt. Die Arbeit vor Ort machte sie oft genug selbst zur Ziel-scheibe für Einschüchterungsversuche, körperliches Bedrängen oder gewaltsa-me Angriffe. Ein Höhepunkt war eine Schraube, die bislang unbekannte Täter während einer Demo vor einer geplanten Asylunterkunft in den Reifen eines Autos gedreht hatten. Zwar war das Trio „handfeste“ Situationen durch frühere Geschehnisse rund um den 13.Februar in Dresden oder NPD-Aufmärsche durchaus gewöhnt; neu und in gewisser Weise erschreckend für sie jedoch ist die Erfahrung, dass Bedrohungen nicht von den „üblichen Verdächtigen“ von ganz links oder rechts ausgehen, sondern zunehmend „normale“ besorgte Bür-ger zu unberechenbaren Akteuren geworden sind.

Ulrich Wolf musste sich im März 2016 als „Journalist, der seine Tochter auf dem Altar von Multikulti opfert“ brandmarken lassen. Und erst am 29. April 2016 hieß es wieder zu einem Bericht von Tobias Wolf über das Verhältnis einiger lokaler FDP-Größen zu Pegida: „Dieser Schmierfink ist ein absolutes Spatzenhirn, er hat keinerlei Beachtung verdient.“

Zumindest ein Pegida-Slogan scheint also zu stimmen: „Pegida ist gekommen, um zu bleiben.“