Das Making-of des Tagesspiegels

Der Redakteur des Tagesspiegels über die Entstehung der Geschichte.


Von Matthias MEISNER

Sachsen interessiert mich – seit 1990. Damals ging ich im Juli als dpa-Korrespondent nach Dresden, war bis 1994 Leiter des dortigen Büros der Agentur. Intensiv beschäftigte ich mich mit der Politik des Freistaats, auch, nachdem ich 1994 für die in Dresden erscheinende „Sächsische Zeitung“ als bundespolitischer Korrespondent nach Bonn wechselte. In unterschiedlicher Intensität verfolgte ich auch von 1999 an als Redakteur des Tagesspiegels die Entwicklung in Sachsen.

 

Pegida

Im Herbst 2014 begann Pegida mit den ersten Montagsdemonstrationen in Dresden. Im Dezember 2014 stieg ich in die Berichterstattung über die Anti-Islam-Bewegung ein. Zunächst von Berlin aus verfolgte ich die Entwicklung von Pegida. Unter anderem begann ich eine intensive Auswertung sozialer Medien: Wie präsentiert sich Pegida auf Facebook? Was berichten dort und auf Twitter andere über Pegida?
Schon bald folgten weitere intensive weitere Recherchen: Was sagen Politiker über die Bewegung, wie gehen sie mit ihr um? Eine zentrale Rolle dabei spielte das Verhalten der CDU, die seit 1990 ununterbrochen die dominierende Kraft im Freistaat ist. Wie verhält sich die Stadtgesellschaft? Was sagen Wissenschaftler?
Immer wieder war ich in den folgenden Wochen in Dresden – zum Beispiel bei der von der Staatsregierung mitorganisierten Kundgebung „für Weltoffenheit“ mit Ministerpräsident Stanislaw Tillich, bei einer Debatte der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, der der SPD-Chef Sigmar Gabriel ins Gespräch mit Pegida-Anhängern kam.
Aber längst nicht alle Texte beruhen auf Vor-Ort-Besuchen. Internetrecherchen brachten mich zu einem Facebook-Post, in dem Pegida-Chef Lutz Bachmann Ausländer im September 2014 als „Viehzeug“ und „Dreckspack“ bezeichnet hat. Später berichtete ich ausführlich über die Spaltung der Bewegung, den Rücktritt Bachmanns. Und seinen Rücktritt vom Rücktritt.
Regelmäßig beobachtete ich in den folgenden Wochen die Livestream-Übertragungen von Pegida au Dresden sowie weiteren Städten wie Leipzig. Weitere Themen waren unter anderem der Einfluss von Rechtsextremisten auf Pegida, die verschiedenen Ableger in Ost- und Westdeutschland, die Kontakte zu Parteien wie AfD und NPD.

Flüchtlinge in Sachsen

Aus der Berichterstattung über Pegida entwickelte sich eine intensive Beobachtung der Flüchtlingsdebatte in Sachsen insgesamt. Dazu gehörte eine Vernetzung mit Politikern, Journalisten, Flüchtlingsaktivisten. Oft berichtete ich zunächst selbst auf Twitter, später mündete das dann in Berichte für die Online- und die gedruckte Ausgabe des Tagesspiegels.
Über die Anti-Asyl-Proteste in Freital berichtete ich, bevor diese im Sommer bundesweit Schlagzeilen machte, ebenso Wochen vor dem Brandanschlag auf die Asylunterkunft über die Situation in Meißen, wo sich Asylgegner früh formiert hatten – teils unter dem Zuspruch von Kommunal- und Landespolitikern der CDU. Nach mehrtätiger Recherche in Sachsen, in Freital, Meißen und Dresden, schrieb ich die Reportage „Die Widerständler“, die am 10. Juli 2015 auf der Seite drei des Tagesspiegels erschien. Zuvor hatte ich unter anderem das Twitter-Projekt „Straßengezwitscher“ gesprochen und begleitet, gemeinsam mit mehreren Bundestagsabgeordneten die ausgebrannte Asylunterkunft in Meißen besucht und an einer hitzigen Bürgerversammlung in Freital besucht.
Das Thema ließ mich auch danach nicht los: Wie geht die Politik in Sachsen und bundesweit mit der Situation um? Angriffe gegen Flüchtlingsunterkünfte häuften sich, selten wurde die Ankunft von Asylsuchenden in Sachsen nicht von Protesten begleitet. Weitere Orte erhielten traurige Berühmtheit: Heidenau, Clausnitz und Bautzen – und wurden dann auch mein Thema.

Reaktionen und Widerstände

Der Tagesspiegel ermöglichte mir viel Freiraum für die Recherche. Gegenwehr kam mehrfach von Pegida, deren Wortführer sowohl auf Facebook als auch auf Kundgebungen den Tagesspiegel oder auch mich namentlich attackierten, oft gemeinsam mit anderen Kollegen von regionalen und überregionalen Medien, die ausführlich und engagiert über das Thema berichtet haben. Die Vorgänge habe ich meist transparent gemacht – und als Ermunterung für die weitere Arbeit verstanden.