Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 13.03.2015

"Beim Asyl hatten wir keinen optimalen Start"

Ministerpräsident Stanislaw Tillich über die Kontakte der CDU zu Pegida und die Kritik an ihm aus den eigenen Reihen. 

Herr Tillich, sächsische CDU-Abgeordnete verhandeln wochenlang heimlich mit Pegida-Vermittlern. Seit wann wissen Sie als Parteichef von der Aktion?

Ich habe erst diese Woche aus den Medien davon erfahren. Meine Position ist immer schon, dass man die Menschen, die montags aus Unzufriedenheit auf die Straße gehen, nicht ausgrenzen, sondern mit ihnen ins Gespräch kommen soll. Insofern ist das, was die Kollegen aus dem Parlament machen, in Ordnung. Sie reden ja nicht mit Pegida-Organisatoren, sondern mit Bürgern.

Es ist ungewöhnlich, dass Sie nicht in solche Treffen eingeweiht sind. Schließlich wollen sich jetzt sogar Vertreter der Bundesregierung mit den sächsischen Pegida-Vermittlern treffen.

Ich muss nicht wissen, welche Gespräche die Abgeordneten führen. Und wenn Bürger Fragen zum Thema Asyl haben und sich mit einem Staatssekretär in Berlin treffen, ist das doch gut. Besonders, wenn es darum geht, einige Vorstellungen mit dem Möglichen und der Realität abzugleichen. Jedoch jeder sollte wissen, dass wir in Deutschland ein Grundrecht auf Asyl haben, und daran haben sich alle zu halten.

Diese Treffen werten die Pegida-Bewegung trotzdem auf. Als Sachsens Ministerpräsident haben Sie dagegen bisher alles versucht, das zu vermeiden.

Die beteiligten CDU-Abgeordneten haben in ihren Wahlkreisbüros mit diesen Bürgern gesprochen. Wenn sich Menschen aus meinem Wahlkreis bei mir anmelden, fragt mein Mitarbeiter vorher auch nicht, sind Sie am Montag bei Pegida dabei gewesen oder nicht. Mit mir kann jeder über die ihn bewegenden Themen sprechen. Das ist eine ganz wichtige Aufgabe von Politikern.

Gibt es einen Punkt, an dem Sie trotzdem eingreifen würden?

Was heißt hier eingreifen? Mit Bürgern, die sich als Pegida-Anhänger outen, ins Gespräch zu kommen, ist doch in Ordnung. Wo ich Grenzen sehe, ist, wenn es zu fremdenfeindlichen, rassistischen oder antisemitischen Äußerungen kommt. Da muss man im Gespräch klar Position beziehen.

Wann kommt der nächste Schritt, und sächsische CDU-Politiker verhandeln direkt mit Lutz Bachmann und anderen Pegida-Organisatoren?

Dies ist absurd. Ich sage es noch mal, ich halte es für richtig, sich bietende Gelegenheiten zu nutzen, mit Menschen zu reden, die Fragen haben und bestimmte politische Entscheidungen nicht verstehen.

Inwieweit sind Sie von der Entwicklung um Pegida überrascht worden?

Es gab eine Situation mit hoher Dynamik. Ich glaube, dass wir nicht die Einzigen sind, die davon überrascht wurden. Von der Entwicklung waren sicher auch viele Medienvertreter überrascht. Ich denke, dass es für diese Entwicklung schon gar nicht eine einfache Erklärung gibt. Zu Zeiten sozialer Netzwerke funktioniert der Protest gegen etwas auf andere Art und Weise und schneller als früher. Das ist auch für die Politik eine neue Herausforderung. Wir müssen selber in den Netzwerken agieren. Das ist eine Chance. Bisher war die öffentliche Verwaltung darauf aber nicht vorbereitet.

Warum reagierte die Politik erst spät auf dieses Thema, welche Fehler wurden aus Ihrer Sicht gemacht?

Alle zusammen, wir in der Politik, die Wissenschaftler, aber auch die Journalisten haben anfangs nach Erklärungen gesucht, was da eigentlich passiert und wie das zu verstehen ist. Im Nachhinein ist man immer schlauer. Zunächst gab es ja nur Märsche, bei denen geschwiegen wurde. Später hier und da Plakate, aber kaum Artikulation, wofür und wogegen man ist. Als das anders wurde, haben wir zu einer Demonstration für Weltoffenheit und Toleranz zusammen mit der Stadt Dresden aufgerufen, der 35.000 Menschen gefolgt sind. Und wir haben mit unseren Dialogforen ein Gesprächsangebot gemacht. Dort ist dann das aufgegangen, was wir erreichen wollten: Es wird miteinander diskutiert.

Der Dresdner Landtagsabgeordnete Lars Rohwer sagt, der CDU fehlt heute ein "Erklärbär" wie Kurt Biedenkopf, um die Menschen zu erreichen. Fühlen Sie sich von der Kritik angesprochen?

Wer ehrlich ist, weiß, dass wir beim Thema Asyl und dem schnellen Anstieg der Bewerberzahlen keinen optimalen Start hatten. Alle, sowohl Land wie auch die kommunalen Verantwortlichen hätten ihre Aufgaben besser wahrnehmen müssen. Oft ist nicht immer der richtige Weg zur Beantwortung der Bürgerfragen gefunden worden. Per Internet darüber zu informieren, wo die nächsten Asylbewerberunterkünfte entstehen sollen, ist sicher nicht der richtige Weg. Man muss das den Bürgern erklären.

Das frühere Amt von Biedenkopf haben heute Sie inne. Also, fühlen Sie sich von der Kritik angesprochen?

Es kann sein, dass wir da aktiver sein können. Eins kann man aber sicher feststellen, dass der Erklärungsbedarf von Politik sehr stark gestiegen ist. Und da können wir sicher auch noch mehr machen.

Wie erklären Sie eigentlich ihren Kollegen Ministerpräsidenten, warum gerade Sachsen Pegida-Land ist?

Sie werden sich jetzt wundern, aber es sind andere Themen in der Diskussion. Es ist zudem nicht so, dass es nur in Sachsen Widerspruch gegenüber der Politik gibt. Das gibt es auch anderenorts.

Die Dimension ist in Sachsen anders.

Das stimmt. Aber auch die mediale Wahrnehmung ist eine andere. Das Thema hat eine besondere Aufmerksamkeit bekommen, weil man es zunächst allein mit dem Thema Ausländer und Asyl verbunden hat. Es ist aber nicht das einzige Thema, was die Menschen auf die Straße gebracht hat, auch wenn es dafür maßgeblich war.

Pegida und Dresden haben es längst in ausländische Medien geschafft. Werden Sie bei Reisen darauf angesprochen?

Für meine offiziellen Gesprächspartner, war das kein Thema. Aber in Warschau bin ich von Journalisten dazu gefragt worden.

Und wie groß war in Abu Dhabi das Verständnis für Ihren Satz, dass der Islam nicht zu Sachsen gehört?

Die Damen und Herren waren alle sehr gut auf unsere Gespräche vorbereitet, wussten über Sachsen gut Bescheid. Aber zu diesem Satz hat es keinerlei Diskussion gegeben. Zur Sache selbst gilt für mich weiterhin, Menschen, die zu uns kommen, sind willkommen und haben die Möglichkeit, ihre Religion frei auszuüben. Menschen, die zu uns kommen, müssen aber auch bereit sein, unsere grundgesetzliche Ordnung zu akzeptieren und zu respektieren.

Warum stellen Sie sich ausgerechnet in Sachen Islam weiter so deutlich gegen Bundeskanzlerin Merkel?

Ich habe Ihnen doch gerade meine Position dazu erläutert. Und dass ich hier oder da eine andere Meinung habe, ist in einer Volkspartei normal. Bisher sind Menschen aus über 180 Nationen zu uns gekommen, um in Sachsen zu leben. Und es werden sicher noch mehr werden. Da ist es doch eine großartige Leistung, dass sie alle ihre Kultur und Religion hier frei ausüben können, solange sie auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Sowas findet man nicht überall auf der Welt, weil das nicht in jeder Gesellschaftsordnung akzeptiert wird.

Wenn Sie an der deutschen Asylpolitik etwas ändern könnten, was wäre das?

Die Asylverfahren müssten beschleunigt werden, damit die Betroffenen nicht in die Situation kommen, in Ungewissheit leben zu müssen. Darüber hinaus: Wer zu uns kommt, weil er vor Verfolgung und Terror aus seiner Heimat fliehen musste, sollte schon offen sagen, wer er ist und woher er kommt. Das gehört zur Redlichkeit, wenn man die Solidarität unserer Gesellschaft beanspruchen möchte. Wenn das aber nicht der Fall ist, sollte man das sanktionieren können. Ich wünschte mir, dass sich jeder, der bei uns ist, sich der Integration öffnet und an Sprachkursen teilnimmt. Nicht nur die Kinder in der Schule oder der Kita, sondern auch die Erwachsenen.

Das Gespräch führten Annette Binninger, Thilo Alexe und Gunnar Saft.