Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 28.03.2015

Der Grauschleier hat sich gelichtet

Der Medizinprofessor Gerhard Ehninger über den Protest gegen Pegida, die Nazikeule und Demokratieversuche im täglichen Miteinander. Der Medizinprofessor Gerhard Ehninger über den Protest gegen Pegida, die Nazikeule und Demokratieversuche im täglichen Miteinander. 

Seit in Dresden Tausende gegen die vermeintliche "Islamisierung des Abendlandes" protestieren, hat Gerhard Ehninger eine Mission. Der angesehene Medizinprofessor will der Welt zeigen, dass die Stadt weltoffen und bunt ist. "Dresden - the place to be" heißt der Verein, mit dem er im Januar ein Konzert gegen Pegida organisierte. An diesem Samstag folgt die Dresdner Bürgerkonferenz mit Diskussionsrunden, Aktionen und Konzert. Der 62-jährige Ehninger, ein gebürtiger Badener, ist Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I im Dresdner Uniklinikum.

Nervt es Sie, wenn man Sie einen Gutmenschen nennt, Herr Professor?

Sagen wir mal, ich sehe es als nette Beschimpfung. Die schönste, die ich gehört habe, war: "Sie toleranzbesoffener Gutmensch." Ich engagiere mich für Toleranz und Weltoffenheit, was ist schlecht daran?

Sind Begriffe wie tolerant, bunt und weltoffen nicht ausgelatscht? Bunte Schals und Demokratiewürfel, das wirkt alles ein bisschen wie Kirchentag und Demo-Folklore.

Diese Begriffe werden viel benutzt, aber das macht sie nicht falsch. Und ja, einer unserer Organisatoren hat tatsächlich Kirchentagserfahrung. Die Schals sind ein Dankeschön an unsere Unterstützer, und sie machen Dresden ein bisschen bunter. Das Lebensgefühl hier ist ramponiert worden durch die Auftriebe am Montag, diese Feindseligkeit, dieses Gebrüll. Viele haben darüber lamentiert, warum niemand was dagegen tut. Stets hieß es, man müsste, man sollte - wir haben einfach gemacht.

Zuletzt demonstrierten Pegida-Gegner in Häschen-Kostümen und wurden von Pegidisten mit Möhren beworfen. Langsam wird's albern, oder?

Das ist nicht meine Art des Protestes. Wenn ich als Angsthase durch die Gegend laufe, biete ich ein schwaches Bild. Ich bin doch kein Angsthase. Außerdem habe ich gelernt, beim Protest nicht zehnmal ums Eck zu denken, sondern ganz einfache Botschaften zu vermitteln. Wir sind nicht Anti-Pegida, wir stehen für etwas, für ein offenes, lebenswertes Dresden.

Das Konzert im Januar mit Herbert Grönemeyer und anderen Künstlern war ein spektakuläres Event, hat es auch nachhaltig gewirkt?

Und wie. Die Botschaft ist um die Welt gegangen: Dresden ist nicht nur so, wie es in Berichten vermittelt wird, wo Tausende durch die Stadt marschieren, sinnentleerte Reden geschwungen werden und gehetzt wird, wo Dinge als Bedrohung dargestellt werden, denen wir uns nun einmal stellen müssen - Zuwanderung zum Beispiel. Es gab so viele positive Reaktionen aus aller Welt. Der Grauschleier über der Stadt hat sich gelichtet. Die freundliche Seite Dresdens ist wieder zum Vorschein gekommen.

Aber Pegida marschiert nach wie vor. Wo ist die bürgerliche Mitte der städtischen Gesellschaft?

Schauspielintendant Wilfried Schulz hat das mal sehr treffend beschrieben: Dresden hat eine instabile bürgerliche Mitte, die nicht so gern Position bezieht. Man ist stolz auf seine schöne Stadt, aber geht nicht auf die Straße und engagiert sich.

Es fällt auf, dass der Protest vorwiegend von Zugezogenen getragen wird.

Ein großer Teil der Dresdner Bevölkerung ist ja auch erst nach 1990 hergekommen. Ich bin aus Baden-Württemberg, aber nehme für mich in Anspruch, mittlerweile Dresdner zu sein. In der Tat wünsche ich mir mehr Engagement aus der bürgerlichen Mitte. Viele begreifen Demokratie offenbar nicht als etwas, wofür man sich engagieren muss. Vielleicht gibt es aus der DDR-Vergangenheit heraus auch Abneigung gegen organisierten Protest. Man mäkelt gern herum, aber lässt sich ansonsten beliefern. Sich für etwas einzusetzen, soziale Verantwortung zu übernehmen, das muss man lernen.

Woher nehmen Sie Ihre Motivation?

Man muss eben manchmal gegen den Strom schwimmen. Nehmen Sie zum Beispiel Eisschnellläuferin Claudia Pechstein. Ich habe die Unterlagen als Mediziner studiert und anschließend erklärt: Nein, sie war nicht gedopt. Mir war klar, dass ich dafür viel Ärger bekomme. Trotzdem habe ich es gemacht, weil ich wusste, es ist richtig, was ich sage. So ist es auch jetzt: Wir fühlen uns sauwohl hier in Dresden, es ist unsere Heimat geworden, unsere Kinder sind hier zu Hause. Deshalb müssen wir das kulturelle und soziale Leben gestalten, Themen setzen, manchmal auch laut Musik machen. Was mich beunruhigt, ist, dass sich bei Pegida normale Leute, besorgte Bürger, Handwerker und Rechtsextreme vermischen.

Kommt jetzt die Nazikeule? Das sind doch nicht alles Rechtsradikale.

Natürlich nicht. Aber es wurde das Tabu gebrochen, nicht mit Nazis zusammenzustehen, selbst wenn es dort auch richtige Forderungen gibt. Als Mediziner muss ich ja auch Nazis behandeln. Es kommt schon mal vor, dass jemand ein Hakenkreuz-Tattoo hat. Den lasse ich einen Behandlungsvertrag unterschreiben und verlange, dass er das abklebt, dass sein Besuch keine Nazisymbole trägt und keine Schwestern belästigt. Da werden die meisten lammfromm. Es geht darum, Stellung zu beziehen. Wenn zum Beispiel bald dieser Holländer Geert Wilders zu Pegida kommt, und Dresden wird zu einem neuen Nürnberg, wo Nationalisten und Rechtsextreme aus ganz Europa aufmarschieren, das wäre fürchterlich. Das hat Dresden nicht verdient.

Noch mal: Es geht doch nicht vor allem um Nazis. Der Spalt, der sich offenbart?

Den hat es immer gegeben, er war nur nicht immer sichtbar, genau wie der Ost-West-Spalt, der jetzt wieder aufgebrochen ist. Ich bin zuletzt wieder oft als Wessi beschimpft worden. "Wir brauchen euch hier nicht", heißt es dann. Es gibt viele Enttäuschungen und soziale Ängste - zu Recht. Viele fühlen sich ungerecht behandelt, ausgeschlossen. Die wirtschaftliche Situation muss einfach besser werden.

Lässt sich der Spalt irgendwann kitten?

Wir müssen ins Gespräch kommen, uns bunt durchmischen, so wie wir es mit der Bürgerkonferenz versuchen. Aber man wird nicht bei allen mit Argumenten weiterkommen. Jemanden, der besessen ist von der Idee, dass uns die Moslems alle umbringen wollen, den kann man kaum überzeugen. Auch nicht, wenn ich ihm von meiner Schwiegertochter erzähle, die Muslima ist. Ich kann ihr doch nicht radikale religiöse Verfehlungen, die es natürlich gibt, in die Schuhe schieben. Die braucht sich auch nicht jeden Tag zu entschuldigen, dass es viele verrückte Moslems gibt. So wie ich mich nicht dafür entschuldige, was radikale Christen anstellen.

Reicht es aus, wenn sich bei der Bürgerkonferenz Gutwillige gegenseitig versichern, dass sie guten Willens sind?

So eine gegenseitige Stärkung tut doch gut, die Erfahrung, dass man nicht allein ist. Aber ich hoffe natürlich, dass dort möglichst viele verschiedene Leute kontrovers diskutieren. Es gibt ja durchaus viele Dinge, die sich ändern müssen. Defizite in der Politik und bei den Politikern, mangelnde Beteiligung, mangelnde Transparenz, Distanz zum Wähler. Trotzdem müssen wir respektvoll mit einander umgehen.

Beim Open-Air- Konzert zum Abschluss des Tages kommen Sie diesmal ohne große Namen aus. Erst hieß es ja, Udo Lindenberg würde kommen.

Der musste kurzfristig absagen. Vielleicht ist es ja ganz gut, dass die Konferenz nicht im Schatten eines Popstars steht. Da bleiben die Inhalte mehr im Vordergrund. Nun spielen dort viele Dresdner Bands - und das wird auch großartig.

Beim Grönemeyer-Konzert hatten Sie persönlich für die Kosten gebürgt. Haben Sie eigentlich Miese gemacht?

260 000 Euro hat es gekostet, 200 000 wurden gespendet. Das war schon Wahnsinn. Alles Privatmittel, es sind keinerlei öffentlichen Gelder geflossen. Auch nicht jetzt für die Bürgerkonferenz. Es gibt zum Glück Leute, die bereit sind, für das Anliegen ins Risiko zu gehen. Das ist es uns wert.

Das Gespräch führte Heinrich Löbbers