Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 11.04.2015

Ein Mann im Krieg

Der Frust auf Flüchtlinge in Sachsen bekommt neue Nahrung. Mit Geert Wilders wird bei Pegida ein Mann sprechen, der mit seinem Hass auf den Islam Wahlerfolge feiert.

Ein Unternehmertreffen? Eine Konferenz des Bankenverbands? Mitnichten. Die rund 700 Menschen, überwiegend Männer in dunklen Anzügen, die sich im großen Redoutensaal der Wiener Hofburg versammelt haben, sind allesamt Mitglieder und Sympathisanten der Freiheitlichen Partei Österreichs, der FPÖ. Dort, wo einst Kaiserin Maria Theresia tanzte, wo Mozart-Opern aufgeführt wurden, wo Beethoven, Liszt und Strauss zu Gast waren und sich John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow zum Gipfel trafen - dorthin also hat das FPÖ-Bildungs institut Geert Wilders eingeladen. Der bekannteste Rechtspopulist Europas ist Stargast an jenem frühen Abend des 27. März.

Mit blondiertem und nach hinten gekämmtem Haar, dunklem Anzug, blauer Krawatte und weißem Hemd strahlt er die Seriosität der Mächtigen aus. Ein schlanker Mann steht am Rednerpult aus Plexiglas, hinter ihm hängt eine Landkarte Österreichs, durchbohrt von schwarzen Minaretten und betrachtet von einer komplett verschleierten Muslima. "Europas Bedrohung durch die Islamisierung", ist das Thema.

Einen symbolträchtigeren Ort dafür kann man Wilders kaum bieten. Der Niederländer nimmt das Angebot dankend an. In perfektem Deutsch erinnert er an den Sieg über die muslimischen Türken im Jahr 1683 und leitet daraus "unsere Botschaft für den Islam" ab: "Sie werden das freie Europa nicht besiegen. Nein, wir werden den Islam besiegen." Tosender Applaus. Wilders lächelt, sein Feindbild ist zugleich seine Bühne.

Wie kaum ein anderer Volksvertreter Europas bekämpft der im deutsch-niederländischen Grenzort Venlo geborene Politiker den Islam. In Wien sagt er unter dem Jubel der FPÖ-Anhänger: "Wir befinden uns tatsächlich im Krieg. Nur Dumme können das abstreiten." Die Einwanderung von Millionen von Muslimen sei ein "schrecklicher politischer Fehler" gewesen. Der Islam zerfresse "unsere Kultur, die jeder anderen weit überlegen ist". Wilders schreit nicht, sein Tonfall ist ruhig, fast dozierend. Er variiert das Sprechtempo, setzt Pausen genau dort, wo sie hingehören. "Ich habe die erbärmliche Feigheit der amtierenden Politiker satt." Pause, Blickkontakt mit dem Publikum, donnernder Applaus.

Wilders, der Motivator für die "patriotische Sache", wird auch die Anhänger von Pegida in Dresden in seinen Bann ziehen. Bis zu 30 000 Zuhörer erwartet Initiator Lutz Bachmann am kommenden Montag in der Nähe des Messegeländes. Das wären so viele Teilnehmer wie nie bei Pegida. Sie werden Wilders zujubeln, wenn er wieder mal die sofortige Abschiebung krimineller Muslime fordert. Wenn er zur "patriotischen Pflicht des Widerstands" aufruft und ermuntert "zum Kampf gegen die feindselige EU-Elite und die Lügenpresse". Kurzum: Der Wilders-Auftritt könnte die stärkste Vergiftungsdosis werden, die dem eh schon kränkelnden gesellschaftlichen Klima in Sachsen seit dem Start von Pegida im vergangenen Oktober injiziert worden ist.

Bereits im Januar ließ Wilders über den in Franken lebenden Niederländer Edwin Wagensveld, der bei Pegida zu den bekanntesten Rednern gehört, ein Grußwort übermitteln. "Es ist wirklich fabelhaft, was in Dresden passiert", hieß es darin. "Ihr seid Teil von etwas ganz Großem." Wilders verlangte, "gemeinsam zu kämpfen", um die "jüdisch-christliche Identität" zu schützen.

Den nun anstehenden Auftritt von Wilders in Dresden hat Pegida mehrfach verschoben. Nach SZ-Informationen ist Gründer Lutz Bachmann aber bereits Anfang Dezember in die Niederlande gereist, um sich dort mit Mittelsmännern zu treffen. Doch wer sind diese Kontaktleute?

Wagensveld könnte dazugehören. Wahrscheinlicher aber ist, dass sie aus dem Umfeld des Internetblogs "Political Incorrect" stammen. Dessen Gründer, einem Lehrer aus dem Rheinland, und dem ehemaligen Berliner CDU-Mann René Stadtkewitz, gelang es 2010, Wilders für eine Rede in Berlin zu gewinnen. "Es war mir ein Anliegen, nach Berlin zu kommen, weil auch Deutschland eine politische Bewegung braucht, die die deutsche Identität verteidigt und die sich der Islamisierung Deutschlands entgegenstellt", begründete der Niederländer damals seinen Auftritt.

Inzwischen ist die Bande zwischen "Political Incorrect" - kurz: PI - und Pegida eng geknüpft: Stadtkewitz trat auf der Pegida-Demonstration am 23. Februar als Hauptredner auf. Der PI-Autor Michael Stürzenberger war schon Mitte Dezember in Dresden und ist der Kopf des Pegida-Ablegers in München. Der PI-Autor Michael Mannheimer spricht für Pegida in Berlin, Bonn, Duisburg, Karlsruhe, Villingen-Schwennigen und in Würzburg.

"Political Incorrect" ist der virtuelle Tummelplatz für islamfeindliche Menschen schlechthin. Nach Recherchen des Deutschlandfunks ist zumindest ein Mitglied des Pegida-Organisationsteams dort häufiger zu Gast: der Meißener Sicherheitsdienstexperte Siegfried Däbritz. In dem Blog soll er das Pseudonym "No fear" benutzen, und das bereits seit 2007. "No fear" kennt sich zumindest in der Region aus. Er schreibt: "So ein ruhiges Leben wie hier in Dresden, musst du in den gebrauchten Bundesländern lange suchen. Funktionierende Gemeinwesen, Hausgemeinschaften, entspannte Discoabende auch für Frauen usw. Dafür haben wir die ganzen RoRes (Rote Rentner), aber dieses Problem löst sich mit den Jahren von selbst." "No fear" erklärt, es gebe im Osten keine "muslimischen Türsteherbanden", die Security-Szene sei "zum Glück noch in deutscher Hand".Und er stellt fest: "Nur weil sie hier bei uns im Osten ordentlich Feuer bekommen, trauen sich die Musels nicht." Muslime bezeichnet er gern auch als "randalierenden Mohammedaner-Mob".

Solches Gedankengut ist für Wilders ein fruchtbarer Boden. Offenbar will der 51-Jährige die Gunst der Stunde nutzen, um in einem der wenigen EU-Staaten zu punkten, in dem Rechtspopulismus bislang nur eine Randerscheinung ist. Wilders will ein Netzwerk schaffen, das er in seinen Reden als "Wir" bezeichnet. In rund zweieinhalb Wochen reist er nach Washington, wo er auf einem Empfang einiger erzkonservativer Kongressabgeordneter über "die Gefahren der Islamisierung" sprechen will. Anfang Mai geht es nach Texas, wo er einen Preis für die beste Mohammed-Karikatur des US-Bundesstaates überreichen will.

In seiner Heimat stagnieren derweil Wilders' Erfolge. Die von ihm 2006 gegründete Freiheitspartei (PVV) schaffte auf Anhieb den Sprung ins Den Haager Parlament und ist seitdem in der Opposition. Zuletzt zeichnete sich aber auch bei den Wählern der PVV, deren Vorsitzender Wilders nach wie vor ist, Enttäuschung ab. Bei den niederländischen Regionalwahlen im vergangenen März büßte die Freiheitspartei auf Landesebene Stimmen ein, allerdings fand Wilders in Rotterdam den meisten Zuspruch. Bereits bei den Kommunalwahlen 2010 und 2014 war es der PVV gelungen, in Almere, der siebtgrößten Stadt der Niederlande, zur politischen Nummer eins zu werden. In Den Haag, Wilders' Heimat, liegt die PVV auf Rang zwei. Das große Ziel des eloquenten Niederländers ist es, eines Tages Ministerpräsident zu werden.

Diesen Wunsch äußerte er im vergangenen Jahr. Da stand er schon zehn Jahre unter Polizeischutz. Er ist der einzige Abgeordnete, dessen Wohnsitz geheim gehalten wird. Nach eigener Aussage muss er in "Kasernen, Gefängnissen und anderen Sicherheitshäusern" übernachten. Stets ist er von Leibwächtern umgeben, in Dresden wird ihn angeblich auch das Bundeskriminalamt beschützen. Die Bewachung kostet nach niederländischen Medienberichten rund zwei Millionen Euro im Jahr.

Seine zweite Ehefrau, eine ehemalige ungarische Diplomatin, sehe er nur alle zwei Wochen, sagt Wilders. "Ich stehe auf der Todesliste von al- Qaida und Taliban, weil ich die Wahrheit über den Islam sage", lautet seine Erklärung. Zu dieser Wahrheit gehört, dass er den Koran mit Hitlers "Mein Kampf" vergleicht und den Islam mit einer "faschistischen Wüstenideologie aus dem siebten Jahrhundert" gleichsetzt, die den "öffentlichen Raum verschmutzt".

In einer 2011 ausgestrahlten TV-Dokumentation bezeichnet ein Weggefährte ihn als "einen von Ehrgeiz getriebenen Mann". Irgendwas sei in dessen Jugend schiefgelaufen, das habe ihn "sehr wütend gemacht". Wilders Mutter stammt aus Indonesien, sein Vater war Forschungschef bei einem Kopiergerätehersteller. Sie erzogen ihn katholisch, nach dem Abitur aber trat Wilders aus der Kirche aus. Er ging für gut zwei Jahre nach Israel und lebte in einem genossenschaftlich organisierten Dorf, wo er eine Brotfabrik leitete. Ein Foto aus dieser Zeit zeigt ihn als 20-Jährigen mit braunem, schulterlangem Haar und Fünftagebart. Stark beeinflusste ihn offensichtlich der erzkonservative ehemalige Knesset-Abgeordnete Arjeh Eldad. Nach dessen Angaben war Wilders mehr als 40-mal in Israel. Seine Verbundenheit mit dem Land betont Wilders stets, obwohl er auch Iran, Irak, Syrien, Ägypten und Jordanien bereiste.

Nach Militärdienst und einer kurzzeitigen Laufbahn als Sozialversicherungsspezialist ging Wilders in die Politik. Er gehörte zu den Ersten, der die Sorgen der Niederländer um ihr verlorenes Sicherheitsgefühl thematisierte. Er forderte, den Bau weiterer Moscheen sowie den Koran zu verbieten. Damit schlüpfte er in die Rolle des 2002 ermordeten Pim Fortuyn, der mit islamkritischen Äußerungen Furore gemacht und als Anwalt der Unzufriedenen gegolten hatte. Nach dem Einzug seiner PVV in das Parlament legte Wilders mit einem islamkritischen Film nach, in dem er den Koran als Basis für islamistischen Terror brandmarkte. Wegen dieses Films verbot ihm die britische Regierung 2009 die Einreise. Sie erklärte Wilders zur Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Der flog trotzdem hin, wurde zurückgeschickt und erstritt sich später die Einreise vor Gericht. Das ließ seine Umfragewerte in Holland in die Höhe schnellen. Viele werteten sein Verhalten als Zivilcourage. Wilders wiederum lernte daraus, dass er umso mehr auf mediales Interesse trifft, je mehr er politische Korrektheiten außer Acht lässt.

Auch deshalb schaffte er mit der PVV bei der Europa-Wahl im Juni 2009 eine Sensation: Mit fast 17 Prozent wurde seine Partei die zweitstärkste Kraft hinter den Christdemokraten. Bei den Parlamentswahlen ein Jahr später landete sie auf Rang drei. Berauscht vom Erfolg, forderte Wilders die Einführung einer Kopftuchsteuer in Höhe von 1 000 Euro pro Jahr. Außerdem verlangte er die Aufstellung von Bürgerwehren zur Kontrolle islamischer Jugendlicher und die Streichung von Staatsausgaben für Immi granten. Durchsetzen konnte er das nicht, doch immerhin gelang es ihm, mit der Regierung den Erlass eines generellen Burka- und Kopftuch-Verbots in holländischen Behörden auszuhandeln.

Wilders droht erneut ein Prozess wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Ein erstes Verfahren endete im Juni 2011 mit einem Freispruch, die Richter in Amsterdam bezeichneten sein Verhalten aber als "schockierend, verletzend und anstößig". Vergangenes Jahr provozierte Wilders dann erneut bei einer Kundgebung in Den Haag mit Sätzen wie: "Wollt ihr mehr oder weniger Marokkaner?" Auf jede dieser Fragen skandierte der Saal: "Weniger, weniger!" Darauf Wilders Antwort: "Wir kümmern uns darum." Das Video davon zog 6 400 Anzeigen nach sich. Seit Dezember liegt die Anklage vor, wann der Prozess eröffnet wird, ist noch nicht bekannt.

Der Beliebtheit bei seinen Anhängern, die vor allem in der unteren Mittelschicht zu finden sind, tut das keinen Abbruch. Rhetorisch überaus geschickt versteht es Wilders immer wieder, bei ihnen Ängste zu schüren: vor dem sozialen Abstieg, vor der Globalisierung, vor dem Verlust von Heimat, vor der Überfremdung durch Muslime. Würde er sich nicht mit Gleichgesinnten überall in Europa verbünden, sagte Wilders jüngst in einem Interview, "wäre ich doch dumm". Deshalb "glaube ich auch, dass es wichtig ist, Pegida einen Besuch abzustatten".