Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 17.11.2014

Interview Albrecht Nollau - "Wer Hilfe braucht, muss sie erhalten"

Seelsorger Albrecht Nollau wünscht sich Normalität im Umgang mit Flüchtlingen.


Sachsenweit regt sich Protest gegen Asylunterkünfte. Der Dresdner Superintendent Albrecht Nollau will Verunsicherung mit Gesprächen entgegenwirken.

Herr Nollau, glauben Sie, dass sich in Sachsens Gesellschaft gerade etwas verändert?

Ich glaube, dass im Moment etwas aufbricht an diesem Thema Asyl und Flüchtlinge. Einerseits sehe ich nicht nur in den Kirchengemeinden viele Aktive, die helfen möchten. Andererseits spüre ich im Zusammenhang mit der Debatte um Standorte - in meinem Kirchenbezirk sind das unter anderem Ottendorf-Okrilla und Dresden-Pappritz -, dass dort Emotionen aufbrechen, die mich erschrecken. Aber auch Sorgen und Ängste, die ich ernst nehmen möchte. Letztlich geht es um Verunsicherung, die durch Nachrichten über den islamistischen Terror und die Flüchtlinge, die über das Meer nach Europa kommen, entstehen. Menschen reagieren unterschiedlich auf Verunsicherung.

Sie haben zusammen mit weiteren Geistlichen und anderen Partnern eine Erklärung unterzeichnet, in der Sie sich von asylkritischen Pegida-Demonstrationen in Dresden abgrenzen. Was macht Pegida so attraktiv für mittlerweile 1 700 Teilnehmer?

Alle Generalisierungen, die man dieser Pegida-Bewegung aufdrückt, funktionieren nicht. Es sind sehr unterschiedliche Menschen, die auf der Straße sind. Es irritiert mich und andere auch, dass all die Worte und Formate, die wir aus der friedlichen Revolution kennen, von dieser Bewegung aufgegriffen werden: keine Gewalt, wir sind das Volk. Das sind Forderungen, die viele mittragen können. Betrachtet man aber die Sympathisanten bei ihren Debatten im Internet, dann ist man doch ziemlich erschrocken. Es fällt massiv auf, dass hier ganz kompakt gegen Politik Front gemacht wird, gegen die Presse, gegen den Islam insgesamt. Es sind die bekannten Feindbilder. Und da habe ich doch Sorge.

Was hat Sie und die anderen zu dieser Erklärung bewogen?

Ich habe mir die Demonstrationen angeschaut und die Debatten im Netz, die ich für aufschlussreicher halte, verfolgt. Wenn ich höre, dass dort gesagt und geschrieben wird, wir sind das Volk, dann möchte ich sagen: wir auch. Das Schweigen einer Mehrheit war für mich bedrückend. Es gab ein spürbares Bedürfnis, dass wir unsere Sprache wiederfinden müssen. Weil das Anwachsen der Bewegung natürlich viele überrascht hat.

Was können Kirchen tun, um dieser Verunsicherung entgegenzuwirken? Asyl zu geben ist doch ein zutiefst christlicher Wert.

Zuerst möchte ich die Frage nicht nach dem Motto diskutieren: Hier sind die Verunsicherten und hier die, die genau wissen, was zu tun ist. Verunsicherung trifft uns alle miteinander. Die Frage ist: Wie reagieren wir darauf? Und da ist es für Christen richtig, aus der Überzeugung ihres Glaubens zu reagieren. Das heißt zunächst, dass Hoffnung immer stärker ist als Angst. Und es heißt: Die Unterstützung dessen, der unserer Hilfe wirklich bedarf, steht nicht zur Debatte. Wo Menschen in Not sind, wo wir zu helfen vermögen, da sind wir als Christinnen und Christen gefragt. Wichtig ist zudem, dass wir das Gespräch suchen mit denen, die jetzt auf der Straße sind. Ich nehme wahr, dass auch der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung angekündigt hat: Wir wollen drüber reden. Ich glaube zwar nicht, dass Reden alle Probleme löst, dennoch ist es unersetzbar. Gemeinden haben gute Erfahrungen damit gemacht, auch Kirchen für diesen Dialog zur Verfügung zu stellen. Wichtig ist ferner, dass wir aufeinander hören. Bei den Pegida-Demonstrationen gibt es sicher auch Menschen, denen wir zuhören müssen. Umgekehrt wünsche ich mir, dass auch Pegida-Demonstranten uns anhören.

Wie läuft diese Debatte in den Kirchengemeinden?

Es gibt Menschen, die sagen: Wenn ihr der Pegida-Bewegung widersprecht, wenn ihr etwas Positives über den Islam sagt, dann müssen wir austreten. Das aber sind Einzelfälle. In den aktiven Kernen der Gemeinden nehme ich eher die Bereitschaft wahr zu helfen. Ich nehme aber auch eine Bereitschaft wahr, kritisch zu diskutieren. Vielleicht ist es so, dass Etiketten wie "Nazi" und "Gutmensch" zu schnell verteilt sind. Vor allem bin ich der Meinung, dass, ehe wir über die Grenzen dessen sprechen, was wir an Integration und Hilfe für Flüchtlinge bewältigen können, wir doch zuerst über die Möglichkeiten sprechen sollten. Es werden Grenzen beschworen, aber wir haben die Möglichkeiten gar nicht ausgelotet.

Wird die Kirche diese Situation noch lange beschäftigen?

Ich möchte die jetzige Situation gern verändern. Ich wünsche mir, dass es uns gelingt, Normalität im Umgang mit den Menschen zu finden, die hierherkommen. Und ich wünsche mir, dass es den Kirchen und anderen Engagierten gelingt, einen auch räumlichen Zugang zu den Menschen zu bekommen. Die für viele bedrückende "Burgsituation" in den Heimen sollte abgebaut werden. Es muss die Möglichkeit zur Begegnung geben.



Gespräch: Thilo Alexe