Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 30.03.2016

Interview Anthony Hyman - "Ohne Ausländer keine Jobs"

Pegida hat ein Klima geschaffen, das internationale Spitzenforscher verschreckt, sagt der Zellbiologe Anthony Hyman.

Anthony Hyman ist einer der Gründungsdirektoren des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik. In dem Institut arbeiten 500 Menschen aus 50 Nationen mit einem Ziel: Spitzenforschung, um Krankheiten zu heilen. Pegida hat Dresden in den Augen ausländischer Wissenschaftler verändert - nicht gerade zum Besten, sagt der 53-jährige Brite im SZ-Interview.

Herr Hyman, Dresden kämpft mit einem fremdenfeindlichen Image. Wie fühlt sich das für Sie an?


Ich bin vor über 15 Jahren nach Dresden gekommen. Meine Familie und ich leben gern hier. Meine Kinder sind hier geboren und aufgewachsen. Dresden war ein Paradies und hat jetzt einen dunklen Fleck bekommen. Ich persönlich habe diese Fremdenfeindlichkeit noch nicht erlebt. Ich sehe aber auch nicht aus wie ein Ausländer.

Spielen Sicherheitsfragen bei Ihren Kollegen eine Rolle?


Ja, Dresden ist klein. Als Ausländer ist man weniger sicher als es ein Deutscher ist. Steuerzahlende Wissenschaftler sind von Flüchtlingen nicht zu unterscheiden. Je mehr man als Ausländer zu erkennen ist - je dunkler die Hautfarbe ist - desto mehr Unsicherheit gibt es, und desto öfter wird man auf der Straße angepöbelt. Das ist für einen modernen Staat nicht akzeptabel.

Haben Sie Beispiele für solche Vorfälle?


Ja, natürlich. Eine Kollegin war vor Weihnachten auf der Prager Straße einkaufen. Eine ältere Dame sagte zu ihr: "Ich hoffe, dass sie Ihre Weihnachtsgeschenke genießen können, die Sie von dem Geld gekauft haben, das Sie von Ministerpräsident Tillich bekommen haben." So ein Spruch ist doch lächerlich. Wo hat die alte Frau das gelernt? Eine Inderin kam jahrelang gut mit den Nachbarn aus. Jetzt legen sie ihr nahe, sie soll ausziehen, weil das indische Essen stinkt. Ein anderer wurde im Bus von Rechtsextremen angepöbelt und bedrängt. Nach dem Aussteigen haben sie ihn noch verfolgt. Den Vorfall haben wir angezeigt.

Gab es auch schon Gewalt gegen Ihre Mitarbeiter?


Gott sei Dank noch nicht. Aber die Zahl verbaler Übergriffe hat sich seit Pegida vervielfacht. Normalerweise gab es das ein- bis zweimal im Jahr. 2015 haben wir allein bei unseren Mitarbeitern 18 Vorfälle gezählt. Der Zusammenhang mit den Pegida-Demonstrationen ist offensichtlich.

Haben Sie schon einmal daran gedacht, wieder aus Dresden wegzugehen?


Natürlich. Jeder hat mal nachgedacht, ob er hierbleiben kann. Diese Gedanken kommen immer. Aber im Großen und Ganzen ist Dresden immer noch eine schöne Stadt. Wir haben so gekämpft, die Stadt als wissenschaftlichen Standort zu entwickeln.

Wie war die Situation vor Pegida?


Für uns war interessant, ein internationales Institut in einer Region aufzubauen, die kaum Erfahrungen mit Ausländern hatte. Wir waren erst nicht sicher, ob das funktioniert. Aber es lief sehr gut. Auch nach dem Schock wegen des Mordes an der Studentin Marwa El-Sherbini. Die Stadt hat sehr gut reagiert. Dann der Pegida-Schock: 15 000 Menschen auf der Straße, die gegen Ausländer sind. Das hat uns alle sehr beunruhigt. Wer von unseren Mitarbeitern schon vor Pegida hier war und noch da ist, fühlt sich nicht mehr so sicher wie vorher.

Warum ist das ein Problem?


Wenn wir nicht weltweit rekrutieren können, gibt es keine Spitzenforschung. Unsere Stammmannschaft ist aus Dresden und Umgebung. Wir machen aber Entdeckungen und brauchen sehr spezialisierte Fachleute, bis zu 70 neue Forscher pro Jahr. Die kommen und gehen nach ein paar Jahren woanders hin. Das Team, das eine mögliche neue Therapie gegen Parkinson mit bulgarischem Joghurt entdeckt hat, ist längst weg. Die waren alle Ausländer. Wir suchen neue Experten, um das Ergebnis weiterzuentwickeln.

Wollen noch genug Spitzenforscher nach Dresden kommen?


Seit Pegida ist es schwieriger geworden. Jeder fragt uns, was hier los ist, egal ob in Deutschland oder weltweit. Noch kommen Menschen zu uns. Wenn es mit der Fremdenfeindlichkeit schlimmer wird, könnte das kippen. Die Experten haben Angebote aus San Francisco, Boston, Oxford, Cambridge und München. Warum sollen sie nach Dresden kommen? Es ist ein Top-Wissenschaftsort und schön zum Leben. In Boston oder München ist es normal, dass Menschen aus aller Welt dort sind. Lebensqualität und Sicherheit müssen aber in Dresden besser sein, um Jobs hier zu sichern. Viele haben mir gesagt, dass sie nur die richtige Sorte Ausländer wollen. Ein Prinzip muss aber jeder verstehen: Wenn du einen Ausländer anpöbelst, weißt du nicht, wer das ist. Das kann ein wichtiger Mann sein, der viele Steuern zahlt oder, der hier 100 000 Euro investieren will.

Haben Ihnen Wissenschaftler schon wegen des Dresden-Rufs abgesagt?


Das Bauchgefühl bringt so eine Entscheidung. Ein Beispiel: Wir hatten einen berühmten Forscher aus England eingeladen. Er hatte auch ein Angebot aus Cambridge. Unser Fehler war: Wir hatten ihn direkt am Neumarkt einquartiert und vergessen, dass Montag ist. Als wir ihn zum Abendbrot abholten, demonstrierte dort Pegida. Da war klar, das war's. Er ist abgereist, und wir haben nie wieder von ihm gehört. Was soll man denken, wenn vor dem Hotel 5 000 Menschen rufen "Wir wollen keine Ausländer." Wir müssen die Forscher aber überzeugen. Wir unterhalten uns und gehen an der Elbe spazieren. Die Dresdner sind sehr gastfreundlich. Das Problem ist die Minderheit. Sie versteht nicht, welchen Schaden sie anrichtet. Alle wollen Jobs. Ohne Ausländer wird es aber keine geben.

Wie kann das Klima in der Stadt und ihr Ruf wieder besser werden?


Pegida sollte nicht jeden Montag durch die Altstadt marschieren. Man kann Angst haben, dass viele Ausländer kommen. Das ist demokratisches Recht. Aber warum gibt es keine Empathie für die Menschen, die hier sind? Was haben die getan? Und was heißt das für Erziehung und Bildung? In Deutschland ist man eigentlich gut erzogen. Bei welchen Eltern oder in welcher Schule lernt man, dass man einfach Fremde anpöbeln kann? Die Flüchtlinge, die hierherkommen, sind unschuldig. Fehlende Empathie ist das Problem. Die Politik muss mit den Leuten reden, warum Ausländer gebraucht werden. Das muss in der Schule beginnen und am Stammtisch weitergehen. Wo ist die Plakatkampagne "Ausländer schaffen Arbeitsplätze"? Die Politik hat sich nie geeinigt, wie sie mit Zuwanderung umgehen will. Meine Kinder sind Weltbürger. Das ist wunderschön. Wenn sie deutsch oder englisch reden, dann sind sie Deutsche oder Briten oder Amerikaner. Sie können in drei Kulturen leben. Das Schöne an Deutschland ist, man einigt sich auf die Richtung, und dann gehen alle gemeinsam da hin. Ich will noch nicht sagen, dass hier etwas verloren geht, aber die Entwicklung geht in die falsche Richtung.


Das Gespräch führte Tobias Wolf.