Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 10.01.2015

Interview Martin Dullig - "Es gab zu viel Schwarz-Weiß-Denken"

SPD-Chef und Wirtschaftsminister Martin Dulig zu Problemen mit Pegida und über den Wirtschaftsstandort Sachsen.

 

Herr Dulig, seit Wochen gehen in Dresden wütende Pegida-Anhänger auf die Straße. Gibt es eine Lösung?

Was wir zuletzt erlebt haben, ist ein Sammelsurium unterschiedlicher Interessenlagen, bei denen sich die Demonstranten mit ihren Forderungen in der Masse wohl und sicher fühlen. Es gibt Menschen mit ernsthaften Sorgen und welche mit Verschwörungstheorien oder rassistischen Vorurteilen. Viele haben auch persönliche Enttäuschungen mit dem Staat erlebt. Es geht dabei oft gar nicht mehr um den Islam und dessen vermeintliche Gefährlichkeit. Es ist eher ein Kanal für das Aufbegehren gegen "die da oben".

Und was ist mit einer Lösung?

Wir müssen uns stärker um eine demokratische Kultur in Sachsen kümmern und über Engagement etwas erreichen. Ich erlebe, dass bei den Pegida-Demos viele eher ihren Frust, zum Teil auch ihre Verachtung gegenüber dem Staat und der Politik artikulieren, und das auf eine Art und Weise, bei der es nicht um eine Lösung geht. Wenn es darum ginge, könnte man ja miteinander reden. Die Staatsregierung macht dafür viele Angebote. Das Thema ist uns so wichtig, dass wir dafür das Amt einer Integrationsministerin geschaffen haben - und Petra Köpping macht einen guten Job. In den nächsten Wochen wird es verschiedene Dialogformen geben.

Warum kamen die Angebote so spät?

Pegida hat sich in den letzten Wochen und Monaten verändert. Deshalb ist es nicht so einfach, Antworten darauf zu finden. Am Anfang sind wenige Menschen gegen Salafismus und Islamismus auf die Straße gegangen, obwohl es keine konkrete Bedrohung gab und gibt. Erst später kamen immer mehr Menschen dazu, und es wurden Demonstrationen gegen "den Staat" und gegen "die da oben". Da hat sich etwas verändert. Vielleicht hat die Politik - haben auch wir - das unterschätzt. Inzwischen ist durch diese Veranstaltungen ein Schaden entstanden, der weit über Dresden und Sachsen hinausgeht. Als Regierung haben wir einen Eid geleistet, Schaden vom Land abzuwenden. Daher mussten wir handeln.

Was hat die Politik hier falsch gemacht, dass Pegida viele Anhänger findet?

Meiner Meinung nach war das, was sich an politischer Kultur in Sachsen in den letzten 25 Jahren entwickelt hat, nicht davon geprägt, dass Engagement gefördert wurde. Oder, dass Widerspruch auch etwas Gutes sein kann, etwas, das uns voranbringt. Stattdessen gab es zu viel Schwarz-Weiß-Denken: Bist du für oder gegen mich? Vieles wurde zur Machtfrage gemacht. Dass sich dann Gruppen ausgesondert fühlen, kann dazu beitragen, dass sie sich jetzt woanders versammeln.

Wer trägt jetzt die Verantwortung, dass diese Defizite behoben werden?

Wir alle - als politisch Verantwortliche, und genauso die Bürgerinnen und Bürger. Und das habe ich schon vor der Wahl gesagt, als die SPD noch nicht in der Regierung war. An vielen Dingen, die SPD und CDU jetzt angeschoben haben, zum Beispiel der Kundgebung an diesem Wochenende in Dresden, sieht man, dass in der Koalition eine wirklich neue politische Kultur der Zusammenarbeit entstanden ist. Die gilt es weiterzuführen.

Warum ist Pegida bundesweit schwach und in Dresden stark?

In Sachsen hat das mit der Entwicklung von Engagement und dem Zustand von Demokratie zu tun. Viele Menschen haben wenig - und daher auch kaum positive - Erfahrungen, mit Engagement etwas zu verändern oder zu erreichen. Ihnen fehlt deshalb das Vertrauen in demokratische Prozesse. Das trägt gewiss zu der aktuellen Entwicklung in Dresden bei. Hier ist jetzt der Kristallisationspunkt. Der andere Grund hat mit der Mehrheitserfahrung zu tun - dass man sich eben stärker fühlt, wenn man plötzlich mit Tausenden unterwegs ist. Und als es noch mehr wurden, hat sich bei manchen das falsche Gefühl eingeschlichen, man gehöre tatsächlich zur Mehrheit im Land. Das hat diesen Prozess dann verselbstständigt.

Sie sind SPD-Landeschef und neuer Wirtschaftsminister, folgen FDP-Politiker Sven Morlok im Amt. Hat der was entschieden, was Sie zurücknehmen?

Es ist das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit. Das Thema Arbeit muss endlich wieder den verdienten Stellenwert bekommen. Die Niedriglohnstrategie ist vorbei. Mein Ziel ist es, dass auch in Sachsen Tarifverträge zur Normalität werden. Dazu müssen die Unternehmen größer werden, konkurrenzfähig, wir müssen also in Innovationen und Wachstum investieren. Dieses Ministerium ist wohl das Spannendste, und ich will es zum Zukunftsministerium machen. Sachsen darf sich auf das neue Zeitalter der Digitalisierung vorbereiten. Es ist unsere Verantwortung, unsere Unternehmen dabei mitzunehmen.

In der Braunkohle fallen mit der Energiewende Arbeitsplätze weg. Im SPD-Wahlprogramm stand, man wolle den Strukturwandel aktiv fördern. Wann geht es los?

Die SPD hat sich ausdrücklich zur Braunkohle als Partner der Energiewende bekannt. Wir haben auch absichtlich keine Jahreszahl für den Ausstieg ins Programm geschrieben, im Unterschied zu anderen Parteien. Selbst wenn wir zu 100 Prozent erneuerbare Energien haben, wird das nicht das Ende der Braunkohle sein. Die stoffliche Nutzung der Braunkohle ist genauso relevant.

Gibt es denn Chemiefabriken, die so viel Kohle brauchen können?

Wir müssen jedenfalls die stoffliche Nutzung in Betracht ziehen, auch wenn nicht jede Art von Kohle gleich gut geeignet ist. Und für die Energiewende gilt, dass die Braunkohle auf absehbare Zeit Partner der erneuerbaren Energien ist und weiter benötigt wird, während wir an Energieeffizienz und Speichertechnologien arbeiten. Wir wollen beim Ausbau der Erneuerbaren vorankommen und die Vorgaben für Windenergie flexibler handhaben. Die Vorgängerregierung hat sie ideologisch abgelehnt.

Es wird mehr Windkraftanlagen geben?

Ja, aber wir werden das stärker mit den Bürgern abstimmen, denn die Akzeptanz der Anwohner ist wichtig. Man kann beispielsweise Anreize für Bauprojekte schaffen, wenn die Kommune einen direkten Mehrwert davon hat.

Und zugleich wird es noch neue Braunkohlentagebaue geben?

Ja, an den getroffenen Entscheidungen für neue Tagebaue wie Nochten II haben wir nichts zurückzunehmen. Über die Investition entscheidet Vattenfall oder der Investor, der den Betrieb künftig übernimmt.

Vattenfall will sich von der Braunkohle trennen - sind Käufer in Sicht außer den schon bekannten um die Mibrag?

Es gibt Interessenten, aber wir haben dazu Vertraulichkeit vereinbart.

Seit Tagen gilt der Mindestlohn von 8,50 Euro. Manche Unternehmer können ihn angeblich nicht bezahlen. Können Sie verhindern, dass es deshalb zu Entlassungen kommt?

Ob das so kommt, müssen wir erst einmal abwarten. Ich höre viele, die sagen, für sie sei es kein Problem. Manche Handwerker erhöhen die Preise und schimpfen - andere sagen, dass sie den Mindestlohn richtig finden. Jeder will doch, dass die Leute anständig und fair bezahlt werden. Es wird Betriebe geben, bei denen Probleme entstehen, weil zum Beispiel Kredite laufen und nun der Mindestlohn noch dazukommt.

Werden Sie in solchen Fällen mit Lohnzuschüssen helfen?

Jetzt schauen wir uns das erst einmal genauer an.

Sie hatten vor der Wahl eine Kommission vorgeschlagen, die Konzerne nach Sachsen holt. Wen fragen Sie zuerst?

Wir brauchen ehrgeizige Ziele. Ob mit oder ohne Regierungskommission werben wir dafür, dass große Unternehmen und Konzerne sich hier ansiedeln, auch wenn die Zeit der ganz großen Ansiedlungen vorbei ist. Zudem wollen wir auch sächsische Unternehmen in Größenordnungen führen wie heute ein Dax oder M-Dax-Unternehmen. Ich möchte nicht zulassen, dass Sachsen nur eine "verlängerte Werkbank" ist.



Interview: Annette Binninger und Georg Moeritz