Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 17.10.2015

Interview Rene Jahn - Innenansichten einer Bewegung

In einem Gasthof in Dresden-Trachau begann die Geschichte von Pegida. Rene Jahn war dabei. Später verließ er im Streit das Führungsteam. Im SZ-Gespräch sagt er, warum er den Protest immer noch für wertvoll hält.


Er steigt der Lügenpresse aufs Dach. Ohne mit der Wimper zu zucken. Das muss man ihm lassen. Rene Jahn ist einer der Gründer der Pegida- Bewegung, doch anders als die heutige Führungsspitze der Rechtspopulisten hält er nichts davon, die Medien zu boykottieren. Trotz Höhenangst stellt sich der 50-Jährige bereitwillig zum Foto aufs Dach des Pressehauses in Dresden - und einem Interview der Sächsischen Zeitung. Erstaunlich offen erzählt Jahn, der in Dresden als Hausmeister arbeitet, über die Erfolge und die Krisen bei Pegida, über sein Verhältnis zu Lutz Bachmann, über die Polizei und die CDU sowie über die Spaltung der Bewegung. Und warum er jetzt wieder montags bei Pegida mitläuft.

Herr Jahn, Ihr ehemaliger Pegida-Weggefährte Lutz Bachmann will eine Partei gründen. Werden Sie Mitglied?


Selbstverständlich nicht. Pegida ist eine Bürgerbewegung, das sollte sie auch bleiben.

Sie halten die Parteigründung für falsch, nicht aber Pegida als solches?


So ist es. Seit vier Wochen gehe ich wieder zu Pegida und poste auf meiner Facebook-Seite auch die Demonstrationsaufrufe. Ich bin ein national-konservativ denkender Mensch. Wo soll ich denn sonst hingehen?

Vielleicht in einen CDU-Ortsverband?


Die CDU hat doch ihre rechte Flanke komplett aufgemacht, und genau da stößt Pegida hinein. Zumindest in Dresden.

Ist das ein politisches Hineinstoßen, indem man gegen Menschen hetzt, etwa Flüchtlinge als "Invasoren" bezeichnet?


Ohne Zweifel hat sich Pegida im Frühjahr und im Sommer radikalisiert, vor allem gilt das für die Organisatoren. Aber ich glaube, den Leuten sind die Reden und die Inhalte inzwischen egal. Pegida wächst wieder, und es ist allein der Unmut, der die Leute auf die Straße treibt. Wie für mich, ist Pegida für viele die einzige Option, um Druck von der Straße auszuüben, ein Zeichen äußeren Protestes. Pegida ist die einzige Möglichkeit, Meinungen auszutauschen und zu bestärken, die sonst nicht so gern gehört werden. Viele, die regelmäßig gehen, kennen sich nach einem Jahr inzwischen ganz gut, sie gehen in Gruppen dahin.

Zu einem Volksfest der Unzufriedenen?


Ja, so könnte man es nennen. Vielleicht ist es mehr ein Treffen als ein Fest. Ich finde übrigens, dass da viel mehr Leute aus dem Volk reden müssten, da sollte so eine Art Dresdner Hyde Park Corner entstehen.

Pegida ohne Lutz Bachmann - ist das möglich?


Im vergangenen Januar hätte ich diese Frage noch bejaht, inzwischen bezweifle ich das. Zwar ist dem Gros der Leute egal, wer da vorne steht. Aber Lutz Bachmann ist zum Gesicht ihres Protestes geworden. Sie bewundern ihn für sein Durchhaltever mögen. Er ist für viele eine Art Robin Hood, der sich mit der Obrigkeit anlegt.

Aufwieglerische Begriffe wie "Volksverräter" oder "Lügenpresse" hat das Organisationsteam nie unterbunden, auch nicht, als Sie noch Mitglied waren.


Das kam alles von den Demonstranten. Wir wollten sie nicht bevormunden.

Im Dezember 2014 legte Pegida ein 19-Punkte-Programm vor, in dem Forderungen standen wie dezentrale Unterbringung von und mehr soziale Betreu ung für Flüchtlinge. War das ein Beruhigungspapier für die Öffentlichkeit, um zu zeigen: Hey, wir sind doch gar nicht so rechts?


Nein, das war keine Täuschung. Wir haben damals mit vielen Teilnehmern gesprochen und daraus die Quintessenz formuliert. Eben jene 19 Punkte. Die haben wir alle gemeinsam verfasst.

Im aktuellen Zehn-Punkte-Programm sind solche sozialen Forderungen verschwunden. Vielmehr ist jetzt unter anderem von sofortigem Aufnahmestopp die Rede, von Grenzschließungen und dem Austritt aus der EU. Ist Pegida jegliches Mitgefühl abhandengekommen?


Ich sagte ja bereits: Pegida hat sich radikalisiert. Allerdings ist auch vieles von dem eingetreten, wovor wir bereits vor einem Jahr gewarnt haben. Seehofer und Co. denken jetzt anders über das Thema, auch weil Pegida das angeschoben hat. Einige Politiker mögen selbst den Weg der Erkenntnis gegangen sein, aber die haben wir auf diesen Weg gelotst.

Sie reden immer von "wir", als gehörten Sie noch dazu.


Zur Bewegung zähle ich mich noch, nur nicht mehr zum Organisationsteam.

Warum haben Sie sich damals - Ende Januar , Anfang Februar - aus dem Kreis der Organisatoren zurückgezogen?


Das begann mit einem Telefonanruf der Bild-Zeitung. So erfuhren wir von dem Hitler- Selfie von Bachmann und den hetzerischen Worten, die er über Flüchtlinge gemacht hatte. Den meisten von uns war klar: Das geht nicht, das kann nicht im Sinne der Bewegung sein, wir distanzieren uns von Bachmann und bitten um Entschuldigung. Blöd war dann, dass die AfD noch vor uns den Rücktritt von Bachmann verkündete. Eine Woche später, wie immer an unserem regulären Sitzungstag Dienstag, traf sich das komplette Team wieder. Da weigerte sich Bachmann jedoch wieder zurückzutreten. Wir stimmten ab: Sechs waren für den Verbleib von ihm, fünf dagegen, darunter Kathrin Oertel und ich. Wir fünf haben dann das Organisationsteam verlassen. Bachmann blieb der Chef und wurde letztendlich zum Nutznießer der Trennung.

Ich zähle elf Stimmen, sie waren aber doch zwölf im Organisationsteam.


Ja, einer von uns ist vorher schon gegangen. Er hatte aus unserer Sicht seine Kompetenzen überschritten.

Das war Ingo Friedemann. Was hat er gemacht?


Dazu will ich nichts sagen.

Wie hat Lutz Bachmann auf den Bruch reagiert?


Er war schwer angefressen. Dabei war doch eigentlich klar, dass er fortan mehr denn je im Mittelpunkt stehen würde. Das ist sehr wichtig für ihn. Allerdings muss man ihm auch zugutehalten, dass er sich im Dienst der Sache immer wieder untergeordnet hat im Team. Dennoch war ihm bewusst, dass es sehr schwer werden wird, uns fünf mit anderen Leuten zu ersetzen.

Stehen Sie mit Herrn Bachmann noch in Kontakt?


Nein.

Als Sie noch mit dabei waren, wie lief eigentlich die Arbeitsteilung bei Pegida?


Die Hauptarbeit machten aus beruflichen Gründen nur vier Leute. Bis zum Bruch waren wir wirklich ein gutes Team, obwohl keiner von uns mehr freie Wochenenden hatte, und wir nervlich ständig unter Strom standen. In Schichtarbeit etwa löschten und sperrten wir volksverhet zende Facebook-Einträge.

Ich komme nachher noch einmal auf diese Anspannung zurück. Verlieren Sie noch ein paar Worte über die Gründung von Pegida?


Im Oktober vorigen Jahres gab es eine Demonstration von Linken und Kurden auf der Prager Straße in Dresden, die dazu aufriefen, den Kampf der PKK gegen den IS mit Waffen zu unterstützen. Das hat einige von uns sehr gestört. Und da die meisten von uns sich schon kannten, haben wir die Idee gehabt, da was gegen zu machen, also gegen Stellvertreterkriege auf deutschem Boden , etwa zwischen Kurden und Türken. Daraufhin haben sich an einem Sonnabend sechs Leute getroffen, darunter das Ehepaar Bachmann und ich. Das war in einer Gaststätte in Dresden-Trachau. Es gab dann noch zwei weitere Treffen, zu denen unter anderem auch der Meißner FDP-Mann Siegfried Däbritz hinzustieß. Über Facebook haben wir dann zur ersten Demonstration aufgerufen.

Die war am 20. Oktober 2014 an der Frauenkirche. Rund 300 Leute kamen. Waren Sie enttäuscht?


Wieso? Für ein erstes Mal zu einem damals gar nicht so bewegenden Thema war das doch okay.

Pegida wurde danach größer und größer. Wie haben Sie das im Organisationsteam wahrgenommen?


Wir waren stolz, regelrecht euphorisiert. Anfangs war der Zuwachs möglich, weil vor allem Lutz Bachmann und Siegfried Däbritz über wirklich viele Kontakte in die Sicherheits- und Kneipenszene verfügten. Die waren über Facebook leicht zu mobilisieren. So richtig befeuert haben uns dann aber die mediale Außendarstellung und die Politikerschelte aus Berlin. Ich war zwar dagegen, aber die Mehrheit im Organisationsteam stimmte damals deswegen für die Strategie, nicht mit der Presse zu reden.

Weil diverse Politiker und Medien Pegida als Nazi- Bewegung pauschalisierten?


Genau. So kamen dann auch die Lügenpresse- und Volksverräter-Rufe auf. Der mediale ebenso wie der politische Gegenwind hat das Organisationsteam zusammengeschweißt und wahrscheinlich auch die Leute bei den Montagsspaziergängen. Es kamen immer mehr, mit der Dunkelheit auch viele ältere Leute. Der absolute Auslöser für den Pegida-Zulauf war jedoch die Neujahrsansprache von Angela Merkel.

Darin hatte die Kanzlerin aufgerufen, Pegida nicht zu folgen. Wörtlich sagte sie über die Organisatoren: "Denn zu oft sind Vorurteile, ist Kälte, ja, sogar Hass in deren Herzen!"


Dabei kannte sie uns doch gar nicht. Ich zumindest habe weder Vorurteile noch trage ich Kälte und Hass in meinem Herzen. Für mich steht fest: Politik und Medien haben mehr als nur ein Scherflein dazu beigetragen, dass das gesellschaftliche Klima in Dresden so vergiftet ist. Dass die Stadt deshalb ein schlechtes Image bekommen hat, ärgert mich mindestens ebenso wie Sie.

Als Pegida fünfstellig wurde ?


War uns das wirklich unheimlich. Was hatten wir da ausgelöst? Vor allem die Frage der Sicherheit machte uns zu schaffen. Wir wussten ja, dass da auch, sagen wir, schwierige Typen mitlaufen. Von den Dynamo-Fans etwa gingen wahnsinnig viele mit, auch harte Jungs aus der C-Kategorie. Allerdings kann ja auch die Linke nicht ausschließen, dass da nicht irgendwelche Antifa-Typen dabei sind, die Polizisten angreifen werden, wenn die Partei zur Demo ruft. All diese Sicherheitsbedenken ließen erst nach, nachdem Achim Exner zu uns gestoßen war. Der hatte genügend Erfahrung als jahrelanger ehemaliger Sicherheitschef bei Dynamo Dresden und auch entsprechendes Equipment. Geld verlangte er nicht, das hat er alles aus Überzeugung getan.

Es heißt, Pegida habe ganz gute Kontakte zur Polizei.

 

Das stimmt. Die Gespräche mit der Polizei, aber auch mit dem Ordnungsamt verliefen immer sehr konstruktiv. Ich schätze, dass rund die Hälfte der sächsischen Polizisten mit uns sympathisiert. Vor allem Exner brachte jede Menge Polizeikontakte mit.

 

Hatten Sie und die anderen kein Problem damit, dass Exner aktives AfD-Mitglied ist?


Nein. Es sind ja auch heute noch eine ganze Reihe AfD-Leute als Ordner bei den Montagsdemonstrationen im Einsatz, etwa aus der Sächsischen Schweiz oder dem Kreis Meißen.

Über die AfD hinaus gibt es Rechtsideologen, die etwa den Internetblog Political Incorrect betreiben, für den bei Pegida immer wieder geworben wird. Welchen Einfluss haben diese Intellektuellen, die man unter dem Begriff Neue Rechte zusammenfasst?


Bis zur Spaltung hatten die keinen Einfluss auf uns. Welche Art von Kontakten es zu den Neuen Rechten nach meinem Austritt konkret gab, das weiß ich nicht. Das sind indiskutable Leute für mich. So dachten übrigens alle, die zum gemäßigten Teil des Organisationsteams seinerzeit zählten.

Sie schildern Ihre Zeit im Organisationsteam von Pegida als überwiegend harmonisch. Gab es keine Krisen?


Klar. Die erste Krise hatten wir im Dezember vorigen Jahres. Wir mussten uns was einfallen lassen, um noch mehr Leute ranzukriegen. Da brachte Däbritz den niederländischen Rechtspolitiker Geert Wilders ins Spiel. Er hätte da Kontakte, hat er gesagt. Einige von uns, auch ich, waren aber aus Imagegründen dagegen. Wir einigten uns auf ein Grußwort, das war der Kompromiss. Das wurde dann später auch verlesen.

Von "Ed, dem Holländer", der in Wirklichkeit Edwin Wagensveld heißt und in Unterfranken lebt. Wie ist Pegida eigent lich auf den gestoßen?


Der war uns positiv aufgefallen. Mit seinen souverän-lockeren Auftritten bei den Demonstrationen der "Hooligans gegen Salafisten" in Köln und Hannover. Ich glaube, auch um diesen Kontakt hat sich dann Siegfried Däbritz erfolgreich bemüht.

Der Auftritt von Kathrin Oertel in der ARD bei Günter Jauch soll das Pegida-Team ebenfalls vor eine Zerreißprobe gestellt haben.


Ja, das war so. Sollen wir, sollen wir nicht? Wenn ja, wer macht's? Wir haben uns dann relativ schnell auf Kathrin Oertel geeinigt. Und nachdem klar war - wenige Stunden vor der Sendung -, dass auch der heutige AfD-Vorstand Alexander Gauland aus Brandenburg daran teilnehmen wird, waren wir wesentlich beruhigter. So ging Kathrin dann ins Fernsehen.

Spätestens seit diesem Fernsehauftritt war Pegida in der gesamten Republik bekannt. Warum ist dann die Expan sion in andere Städte gescheitert?


Ich war immer gegen diesen Gida-Unfug. Zwar gab es durchaus vielversprechende Ansätze und Kontakte wie etwa nach Kassel oder ins südwestdeutsche Villingen-Schwenningen, doch über eine deutschlandweite Bewegung die Kontrolle zu behalten, das würde uns überfordern, hatte ich argumentiert. Das sahen nicht alle so. Pegida ist für mich ein Dresdner Phänomen, das nur in der konservativsten Großstadt Deutschlands möglich ist. Der Dresdner möchte das Fremde nicht, er will sein schönes Elbtal bewahren und gut ist.

Es gab im Januar auch ein Treffen mit Sachsens Innenminister Markus Ulbig. Waren Sie dabei?


Nein. Auch darüber hatten wir zuvor heftig diskutiert. Ulbigs damaliger Pressesprecher hatte uns kontaktiert und um ein Kennenlern-Gespräch gebeten. Schließlich gingen Achim Exner und Kathrin Oertel dahin. Es soll ein sehr fahriges Gespräch gewesen sein, ohne Inhalte und große Vorbereitung seitens der Regierung. Es ging wohl darum, die Leute von der Straße zu holen.

Bleiben wir bei der sächsischen Politik. Hat Pegida jemals den Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich eingeladen?


Offiziell nicht, nur einmal in einer Rede. Ich halte es für einen Fehler, dass Herr Tillich nicht bei Pegida gesprochen hat. Die Politik hätte sich mit uns unterhalten müssen, um einen Konsens zu finden. Zudem wäre ein Zugehen Tillichs auf Pegida für ihn zu einem Druckmittel geworden. Jetzt halte ich das Tischtuch für zerschnitten.

Mitte Januar gab es die Anschläge auf Charlie Hebdo in Paris, dann fiel eine Pegida-Demonstration aus, weil es eine Morddrohung gegen Bachmann gegeben haben soll. Wie hat das Organisationsteam diese Drohung diskutiert?


Außer der Drohung gegen Bachmann gab es an jenem Tag noch Terrorwarnungen für den Berliner und den Dresdner Hauptbahnhof. Wir haben unsere Leute dahin geschickt, die haben aber keine Auffälligkeiten festgestellt, wie besonders viel schwer bewaffnete Polizei oder so. Die Bedrohung gegen Bachmann haben wir zwar zunächst ernst genommen, fühlten uns dann aber verarscht.

Warum?


Die sogenannte Bewachung Bachmanns war lächerlich. An seinem Wohnort war niemand, bei einem Treffen in einer Dresdner Gaststätte an jenem Tag durfte er direkt am Fenster sitzen. Das sah alles aus wie eine Finte. Vermutlich wollte der Staat nur unseren Rhythmus stören. Immerhin waren wir dabei, 50 000 Menschen zu mobilisieren. Wir hatten so viele angemeldete Busse von außerhalb wie noch nie. Ich ärgere mich heute noch schwarz über die Absage an jenem 19. Januar.

Wird Sie der 19. Oktober 2015 mit dem Ausfall vom 19. Januar 2014 wieder versöhnen?


Für Pegida gehen bald um die 30 000 Menschen auf die Straße, davon bin ich überzeugt. Sie alle eint der Protest gegen die Vormundschaft des Staates. Das Organisationsteam wird weiter polarisieren und provozieren. Es ist ihre Strategie, einen Kontrapunkt zur emotionslosen Verwaltungspolitik der Landesregierung zu setzen. Diese Strategie habe auch ich schon damals mitgetragen. Nicht ohne Grund gehen bei uns ja so viele mit, die schon 1989 auf der Straße waren.

Pegida will also wie damals das System stürzen?


Nein, aber Pegida will mehr direkte Demokratie und Mitspracherechte.

Indem die Organisatoren der Bewegung mit Demagogie Menschen verführen, so wie es schon zu Ihrer Zeit geschehen ist?


Ich muss mich nicht dafür entschuldigen, ein geistiger Brandstifter gewesen zu sein. Ich war nie einer und werde es auch nicht.


Gespräch: Ulrich Wolf