Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 14.11.2014

Interview Werner Patzelt - "Dresden braucht eine öffentliche Asyl-Debatte"

Politikwissenschaftler Werner Patzelt über Ängste vor Flüchtlingen und über fehlende Integrationskonzepte.


Geplante Asylbewerberheime rufen hitzige Debatten in der gesamten Stadt hervor. Anwohner befürchten steigende Kriminalität in ihrem Viertel und einen Wertverlust ihres Grundstückes. Die SZ sprach mit Werner J. Patzelt, dem Gründungsprofessor des Dresdner Instituts für Politikwissenschaft, über die Situation.

Herr Patzelt, welche Ursachen hat die Angst der Dresdner?

Die üblichen: Wenn neue Mitbewohner kommen, die anders aussehen oder sich anders verhalten, entstehen Ängste. Oft sind sie Rationalisierungen von unguten Gefühlen. Und meist nimmt Angst ab bei steigender Bildung und größerer Vertrautheit im Umgang mit zuvor Fremden.

Wirkt hier auch die DDR-Vergangenheit nach?

Der Westen hat eine viel längere Zuwanderungsgeschichte; also gewöhnte man sich besser an Ausländer. Doch in der DDR wurden die meist abseits untergebracht, ohne Chance auf ein Vertrautheit stiftendes Zusammenleben. Auch empfinden das Eintreffen von Migranten im Osten viele so: "Die Wessis konnten wir noch halbwegs integrieren; doch kaum ist das meiste in Ordnung, sind die Städte schön, neue Häuser gebaut, da kommt die nächste Belastung!" Wenn Politiker dann einfach sagen: "So ist die Rechtslage, so wird's gemacht - und was Ihr wollt, das hält uns nicht auf!", dann fühlt man sich an DDR-Zeiten erinnert.

Es gibt kaum Erfahrung im Umgang mit Ausländern, aber Befürchtungen. Warum?

Allein schon die Sorge um mögliche Probleme löst Befürchtungen aus. Wer ein Haus gebaut hat, wo jetzt eine Unterkunft für Flüchtlinge entsteht, der schließt nicht aus, dass sein Haus bald an Wert verliert. Man kann ihm zwar sagen, dass er sich keine Sorgen machen soll; doch wird er's glauben? Gerade, wo es kaum eigene Erfahrungen gibt, blickt man auf Stadtteile etwa im Ruhrgebiet, wo viele Migranten leben. Was man darüber hört, erscheint vielen nicht als begehrenswert. Das bringt zur Frage, ob unsere Politiker wohl wissen, wohin sie unser Land mit ihrer unklaren Zuwanderungs- und Integrationspolitik führen.

Kann daran nicht die Stadt mit ihren Einwohnern arbeiten?

Viele haben den Eindruck, sie würden vor vollendete Tatsachen gestellt. In der Regel werden die Bürger ja wirklich nicht gefragt, ob und wie viele Flüchtlinge sie aufnehmen wollen. Beschweren sie sich dann, so erleben sie sich als rechtsradikal oder rassistisch denunziert. Das führt zum Eindruck, entmächtigt zu sein.

Die Bevölkerung wird also zu wenig einbezogen?

Ja. Einesteils muss der Staat sich an die Vorschriften zur Verteilung von Migranten halten. Andernteils gibt es keine öffentliche Debatte darüber, wie viele Migranten unser Land aufnehmen kann oder soll. Also kommt vielen unsere Demokratie wie eine hohle Fassade vor. Die Folge: Man misstraut dem Staat, wählt Protestparteien und neigt zum Radikalismus.

Warum bekommt die Politik keine öffentliche Debatte hin?

Weil es um Tiefenschichten unserer Kultur geht. Wer für offenherzige Zuwanderung ist, lobt unser Land dafür, dass es seinen Reichtum mit anderen teilen will und sich als Zufluchtsort für jene versteht, denen es anderswo schlecht ergeht. Beides ist auch gut so. Doch was wird in dieser Lage aus dem, der öffentlich erörtern will, ob es Grenzen der Aufnahmefähigkeit unseres Landes gibt? Rasch steht er moralisch unterlegen da: Er ist hartherzig, will nicht teilen, hat zu wenig aus der Geschichte gelernt, ist letztlich Rechtspopulist. Als solcher wird er aus jener Gesellschaft ausgegrenzt, um deren Fortbestand er sich Sorgen macht. Wer will sich das antun?

Erschwert es die deutsche Vergangenheit, diese Sichtweisen zu äußern?

Zweifellos. Doch in einer Demokratie hat jeder das Recht, seine Sorgen auszusprechen. Es gibt auch keine Vorschrift dahingehend, man dürfe nur begründete Sorgen äußern, nur vernünftige Positionen vertreten. Der nötige Streit geht doch genau darum, was als begründet oder vernünftig gelten kann. Also brauchen wir Diskussionen, deren Teilnehmer nicht gleich in gut oder schlecht, in fortschrittlich oder reaktionär eingeteilt werden. Nur in deren Verlauf wird man die Besorgten zum Mitgefühl mit Flüchtlingen, gar zu einer Willkommenskultur bewegen.

Brauchen die Dresdner mehr Aufklärung über Flüchtlinge und zur politischen Entwicklung in der Welt?

Wir wissen doch gar nicht, was uns in dieser Zeit des Staatszerfalls und massenhafter Armutswanderung noch erwarten wird. Und politische Probleme kann man ohnehin nicht auf Vorrat lösen. Ziel muss sein, Zuwanderer vernünftig über Europa zu verteilen und ihre Zahlen aufs konkret vor Ort Integrierbare zu beschränken. Andernfalls wird schon bald ein Großteil der Bevölkerung sich unseren liberalen Systemen entfremden und radikalen Parteien zum Aufschwung verhelfen. Doch was wäre eigentlich falsch an der Möglichkeit, den Dresdnern sagen zu können: "In diesem Jahr kommen noch 1 000 Flüchtlinge, in den nächsten zehn Jahren noch rund 10 000 Flüchtlinge; ab dann sorgt geregelte Zuwanderung nur noch für unsere demografische Bestandserhaltung. Also bemüht Euch jetzt, das Bestmögliche an gelungener Integration zu machen!"

Was sagen Sie den Dresdnern, die zurzeit Befürchtungen und Ängste haben?

Erstens: Ich verstehe, dass Eure Sorgen nicht einfach darauf zurückgehen, dass Ihr hartherzige Rechtspopulisten seid. Zweitens: Hört erst einmal, was die politisch Verantwortlichen sagen. Dann könnt ihr es immer noch hinterfragen und die Einflussmöglichkeiten der Demokratie nutzen. Drittens: Seid guten Willens. Investiert also in Begrüßungskultur, damit aus einem aufgezwungenen Zusammenleben ein wechselseitig erfreuliches werden kann. Viertens: Habt Mut zu einer offenen Diskussion um unsere Zuwanderungs- und Integrationspolitik. Demokratische Legitimität beruht auf Kommunikation. Wie soll sie entstehen, wo Diskurs durch Ausgrenzung ersetzt wird

Würde mehr direkte Demokratie helfen, die Bürger einzubeziehen?

Ja. Das wirksamste Mittel wäre die Einführung von Volksabstimmungen, mit denen die Bürger Gesetze nicht nur beschließen, sondern auch aufheben könnten. Diese Gesetze sollte man auch auf Bundesebene einführen und auf Landesebene wirksamer machen. Vor allem durch den Verzicht auf die Festlegung einer Mindestanzahl an Abstimmenden. Dann entstünden nämlich ernsthafte Diskussionen, auch auf politischen Minenfeldern.



Das Gespräch führte Kay Haufe.