Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 30.01.2016

Lasst uns reden

Von Olaf Kittel

Der Dialog von Asylbefürwortern und Asylkritikern ist schwierig, gerade in Dresden. Unmöglich ist er nicht.

Von Dialog sprach Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling auf der Kundgebung am Montag. Von Dialog, wie sie ihn versteht: Am Wochenende trafen sich Asylgegner aus mehreren Ländern. Sie wollen Europa zur Festung gegen Einwanderer ausbauen. Pegida-Leute seien bereit, dafür "Beruf, unsere Freiheit, Eigentum und sogar unser Leben zu riskieren". Die Kundgebungsteilnehmer auf dem Dresdner Theaterplatz skandierten "Widerstand, Widerstand".

Wer das miterlebt, kann Angst bekommen. Wo soll das hinführen? Zu Gewalt auf der Straße? Brennen da bald mehr als nur Autos, weil die härtesten Pegida-Gegner genauso radikal ticken? Leider haben die ersten großen Dialogversuche vor genau einem Jahr kaum sichtbaren Erfolg gebracht. Damals wurde im Dresdner Kongresszentrum an langen Tischen ein Bürgerdialog mit Pegida-Anhängern versucht. Vielleicht war das einfach zu groß gedacht oder zu perfekt organisiert. Mit Pressetribüne und allem drum und dran. Vielleicht muss Dialog im Kleinen beginnen.

So wie es der MDR in einem Beitrag für das Morgenmagazin am Dienstag gezeigt hat. Er lud zwei ältere Herren, die montags "Lügenpresse, Lügenpresse" rufen, einen ganzen Tag lang in die Redaktion ein. Dort verfolgten sie interessiert, wie Themen geplant und recherchiert wurden. Am Abend legten sie zwar Wert auf die Feststellung, dass sie grundsätzlich zu ihren Positionen stehen, aber jetzt mehr Verständnis für Journalisten aufbringen. Sie versprachen, im Gespräch zu bleiben. Und einer meinte, am nächsten Montag wolle er nun nicht "Lügenpresse" rufen.

Klar, Medien können, wenn sie ihre Leser und Zuschauer ernst nehmen, viel für den Dialog tun. Unabhängige Berichterstattung zu allen relevanten Themen, ganz gleich, ob sie angenehm oder unangenehm sind. Die Sächsische Zeitung druckt zudem Woche für Woche Leserbriefseiten zum Flüchtlingsthema. Hunderte Briefe dürften inzwischen veröffentlicht sein. Viele Leser wollen sich mit ihrer Meinung bestätigt sehen oder sich an anderen Lesern reiben. Für viele gehören diese Seiten mit der großen Vielfalt an Meinungen und Ideen zu den wichtigsten der Zeitung. Das erinnert an den Herbst 1989, als die Leserbriefseiten die gerade erst entstehende Debattenkultur mitbestimmten.

Ein Leser fragte kürzlich, ob denn all die wertvollen Ideen jetzt auch von den maßgeblichen Leuten gelesen würden. Wir wollen doch mal davon ausgehen.

Dialog gelingt nur, wenn Regeln gelten. Meinungsstreit verlangt Respekt vor der Auffassung der anderen. Mäßigung. Dialog verlangt zuzuhören, auf Argumente einzugehen, Moderatoren zu akzeptieren. In der aufgeheizten Flüchtlingsdebatte fällt das alles ungeheuer schwer. Und besonders schwer fällt das in Internetforen und sozialen Netzwerken. Oft reicht eine einzige Hasstirade und die Debatte läuft aus dem Ruder. Zwar gelten auch im Netz Regeln, aber viele User schert das nicht. Veranstalter schließen lieber ihre Foren, weil sie den Inhalt nicht mehr verantworten können. Sehr schade, denn technisch betrachtet sind es die idealen Dialogforen.

Mit ähnlichen Problemen kämpfen öffentliche Veranstaltungen. Viele verzichten lieber darauf, Fachleute einzuladen und das Flüchtlingsthema zu debattieren, weil sie die Sorge umtreibt, interessierte Gruppen könnten den Dialog nicht nur behindern, sondern sogar die Veranstaltung platzen lassen. Es ist gut, dass Kirchen es trotzdem immer wieder wagen. Und das Fernsehen natürlich, wo gerade wieder einmal diskutiert wird, wer in eine Sendung eingeladen werden darf und wer nicht. Natürlich gehören da alle relevanten Vertreter der Debatte hin, von Rechtsradikalen abgesehen. Sonst wird sie nicht ernst genommen. Und das Publikum sollte, liebe Anne Will, nicht den Eindruck hinterlassen, es sei handverlesen. Aus dem gleichen guten Grund.

Der Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert hat, kurz nach den Ausschreitungen von Köln, das Jahr 2016 zum Jahr des Dialogs erklärt. Sehr optimistisch, der Mann. Aber gerade der Dresdner Rathauschef tut gut daran, ein so ehrgeiziges Ziel auszugeben. Drei Gründe sprechen dafür.

Erstens: Dresden hat es nötig. Punkt.

Zweitens: In Deutschland ist der Eindruck entstanden, die Dresdner seien in zwei Lager gespalten, in - grob gesagt - Pegidisten und Anhänger des Regierungskurses. Das ist falsch. Die Stadt ist, wie andere deutsche Städte auch, gespalten in mehr oder weniger kritische Anhänger des Regierungskurses von Angela Merkel und in jene, die diesen Kurs mehr oder weniger heftig ablehnen. Nur die Radikalsten, die Wutbürger, laufen zu Pegida. Es sind noch 3 000 bis 4 000. Eine kleine, laute Minderheit.

Wenn das so ist, wird klar, auf wen es im Dialog wirklich ankommt: auf die beiden großen Gruppen. Und für diesen Dialog gibt es jetzt, das dritte Argument für Hilbert, eine bessere Basis als vor einem Jahr: Es wird nicht mehr nur über (polarisierende) Grundsätze diskutiert, sondern wieder über Realpolitik. Und in diesem Licht sind die Gräben oft gar nicht so tief, "Herzlose" und "Gutmenschen" nicht mehr so leicht zu unterscheiden. Viele Merkel-Kritiker etwa betonen immer wieder (und man sollte es ihnen abnehmen), dass sie Menschen in schweren Notlagen helfen wollen. Aber eben nur denen. Und viele Merkel-Anhänger verstehen gerade, dass Deutschland nicht alle Menschen in Notlagen aufnehmen kann. Nicht einmal alle in schweren Notlagen. Ein Dialog auf dieser Basis ist durchaus realistisch.

Schwierig bleibt er trotzdem. Verletzungen aus der bisherigen Debatte wirken nach, übrigens auch bei Journalisten. Gar zu leicht gerät man in alte Argumentationsmuster, die längst überwunden schienen. Erfahrene Ehepaare kennen das. Und es kann vorkommen, Dialogchancen zu übersehen.

So ist es mir ergangen, als vor einigen Wochen ein Verwandter anrief, den ich kaum noch sehe. Unsere Positionen sind weit voneinander entfernt. Er lobte die SZ, weil sie zuletzt mehr Artikel gedruckt hatte, die eher seiner Auffassung entsprachen. Darüber war er ehrlich erleichtert. Mit diesem Anruf konnte ich damals nicht viel anfangen.

Heute bin ich sicher: Es war ein Dialogversuch.