Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 16.01.2015

"Uns bleibt keine Wahl als Pegida"

Von Doreen Reinhard (Text) und Robert Michael (foto)

Seit Monaten protestieren 170 Bewohner eines Dorfs bei Nossen dagegen, dass hier bald 50 Asylbewerber untergebracht werden sollen. Von der Politik sind viele enttäuscht und wissen nur noch eine Lösung.


In Perba gibt es keine Kirche, keinen Marktplatz und kein einziges Geschäft. In der Mitte des winzigen Dorfes nahe Nossen steht ein Plattenbau, der mit den Jahren immer schmuddeliger geworden ist. Verwitterte Fassade, leere Scheiben, im Hinterhof liegen zertrümmerte Möbel, wer weiß wie lange schon. Ein Fremdkörper war der klobige Bau immer, aber noch nie so sehr wie jetzt.

Ein paar Meter entfernt, am Schwarzen Brett, hängt ein Zettel, der auf die Straßen von Dresden führen soll. In gefetteten Buchstaben steht hier: "Es kommen doch 50 Asylbewerber. Die Entscheidung wird nicht rückgängig gemacht. Uns bleibt keine andere Wahl als Pegida." Es ist ein Aufruf an alle 170 Einwohner von Perba, zur Demonstration in die Landeshauptstadt zu fahren. Damit niemand allein losziehen muss, sollen Fahrgemeinschaften gebildet werden. Ein paar Dutzend haben die am vergangenen Montag genutzt.

Joachim Möhler hat den Appell verfasst. "Ich fühle mich allein gelassen", sagt er. "Das ist der einzige Ausweg, der bleibt." Für ihn ist das Schreiben so etwas wie eine Verzweiflungstat. Der Schlussstrich nach monatelangem Gezeter, das ihm bisher vor allem eines eingebracht hat: einen dicken Ordner "voller Enttäuschungen". Schriftverkehr mit Behörden und Politikern, Terminlisten, Zeitungsartikel; der 65-Jährige hat alles penibel abgeheftet. Auch eine Chronologie, wie es dazu kommen konnte, dass Perba und Pegida immer häufiger in einem Satz genannt werden.

Begonnen hat es im vergangenen Oktober. Damals kamen die ersten Gerüchte auf, laut denen 50 Asylbewerber in Perba untergebracht werden sollen. Im Plattenbau, den manche hinter vorgehaltener Hand "Karnickelstall" nennen. Offizielle Informationen gab es damals nicht, nur satten Nährboden für Spekulationen, die durchs Dorf kreisten und mit jeder Umdrehung wilder wurden. Es war viel die Rede von alleinstehenden Männern aus Ländern, die keiner kannte. Fakten existierten nicht, sie wurden ersetzt durch Theorien, Möglichkeiten, Eventualitäten. Ein Satz geisterte in sämtlichen Varianten durchs Dorf: "Man hat doch schon so viel gehört ..." Manche fürchteten sich vor Vergewaltigern, die Kinder im Dorf überfallen würden. Andere bangten um Schafe auf der Weide, die von Fremden geschächtet werden könnten. Die Stimmung hat sich seither nicht wieder beruhigt.

Einig ist sich die Mehrheit der Bewohner in einem Punkt: 170 Alteingesessene und 50 Neuankömmlinge, ein Verhältnis von 1 : 3, das könnte problematisch werden. Erst recht in Perba, diesem Fleckchen Land ohne stabile Infrastruktur. Im Ort gibt es vor allem Ruhe. Die schätzen die Anwohner sehr. Erfahrung mit Fremden fehlt und auch sonst allerhand. Es gibt keinen Arzt, keinen Spielplatz, keinen Gasthof, keine Vereine oder Einkaufsmöglichkeiten. Der nächste Supermarkt ist in Lommatzsch, sieben Kilometer entfernt. Immerhin steht in Perba eine Bushaltestelle. Die wird am Wochenende und in den Ferien allerdings nur bedient, wenn sich Fahrgäste vorab telefonisch anmelden.

Wie soll das Zusammenleben für beide Seiten unter diesen Voraussetzungen funktionieren, fragten die Perbaer und schlossen sich zum Protest zusammen. Sie wollten Gastgeber sein, aber bestanden auf ein Mitspracherecht. Mit einem Plakat zogen sie von einer Versammlung zur nächsten: "15 Asylbewerber ja, 50 nein!" Rentner Joachim Möhler wurde zum inoffiziellen Sprecher des Dorfs und bilanzierte schon bald: "Unsere Bedenken wurden einfach ignoriert. Man blieb bei dieser Entscheidung, unsere Sorgen spielten keine Rolle."

Die Kluft vertiefte sich. Auf der einen Seite Vertreter aus Politik und Verwaltung, die von "Willkommenskultur" sprachen und an die Gastfreundschaft der Dorfbewohner appellierten. Auf der anderen Seite die Perbaer, die sich in die falsche Ecke gedrängt fühlten. "Man hat uns hingestellt, als wären wir Ausländerhasser", sagt Möhler. Keine Aktion bewegte etwas. Nicht die Unterschriftensammlung der Dorfbewohner, nicht ihr Protest vor dem Landratsamt, auch nicht die Briefe, die sie an sämtliche Politiker schickten, von Ministerpräsident Stanislaw Tillich bis zu Bundesminister Thomas de Maizière. Die Antworten lauteten gleich und waren mal mehr, mal weniger bürokratisch formuliert: Auch der Landkreis Meißen muss Flüchtlinge aufnehmen. Das ist eine Bürgerpflicht. Es gibt für Deutschland, für jedes Bundesland, für jede Gemeinde eine Quote und die muss erfüllt werden.

Uwe Anke, Nossener Bürgermeister und zuständig für den Ortsteil Perba, weiß davon seit zwei Jahren. Genauso lange bereitet ihm die Rechnung auch Kopfzerbrechen. "Wir sind das letzte Glied in der Kette und natürlich aufgefordert, dem Landratsamt Unterbringungsmöglichkeiten für Asylbewerber anzubieten." Also habe er geeignete Immobilien gesucht und Wohnungsgenossenschaften nach freien Räumen gefragt. "Aber sobald ich erzählt habe, dass sie für Asylbewerber gedacht sind, haben alle abgelehnt, weil sie befürchteten, dass das bei den Nachbarn nicht gut ankommen könnte", sagt Anke. "Jeder hat sich abgeduckt und war froh, wenn dieser Kelch an ihm vorüberzieht." Schließlich habe auch er kapituliert und dem Landratsamt erklärt, dass er in seiner Region keine passenden Unterkünfte findet.

Da kam die Offerte eines Geschäftsmanns gerade recht. Der bot dem Landratsamt seinen Besitz, den Perbaer Plattenbau, zur Unterbringung von Asylbewerbern an. Viel weiß man von ihm nicht im Dorf, kaum einer hat den Mann je gesehen. Auch nicht die Handvoll Mieter, die noch im Block wohnen - obwohl der außen kaum von Leben zeugt. Nur die Deutschlandfahnen, die im Erdgeschoss von Fensterbänken baumeln, verraten, dass hier jemand zu Hause ist. Eine Frau öffnet, sie wohnt hier mit ihrem Mann und dem dreijährigen Sohn. Nicht mehr lange, denn der Besitzer habe die Miete erhöht. "Von 550 Euro im Monat auf über 700. Das können wir uns nicht mehr leisten, deshalb ziehen wir jetzt weg." Die Fahnen habe sie als Zeichen gehisst, "damit jeder sehen kann, dass wir auch noch da sind". In ihrem Küchenfenster ist ein Einschussloch. Kein echtes, nur ein Sticker, der täuschend echt aussieht. "Aber es ist ja nicht ausgeschlossen, dass so etwas Realität werden kann." Auch die Mieterin, die ihren Namen nicht nennen will, gehört zu den Menschen, deren Sätze oft mit "Man hat ja schon viel gehört ..." beginnen.

Frust hat sich in Perba festgesetzt. Jeder geht anders damit um. Joachim Möhler sah für sich nur noch eine Lösung. Pegida. Er hat sich der Bewegung angeschlossen und ist an den vergangenen beiden Montagen durch Dresden marschiert. Jahrelang hat der frühere Abfallwirtschaftler CDU und SPD gewählt. In den vergangenen Wochen, als der Konflikt um Perba anschwoll, wuchs nicht nur seine Wut, er fühlt sich inzwischen auch politisch heimatlos. "Momentan weiß ich nicht, an wen ich mich halten soll", sagt er. "Ich habe von so vielen Seiten nur gehört: Die Sache mit Perba ist entschieden. Basta. Das war der Zündfunke, mich bei Pegida einzureihen."

Eigentlich wollte Möhler bei den letzten Pegida-Kundgebungen sogar eine Rede halten. Er trat schließlich aber doch nicht ans Mikrofon, weil ihm die Stimmung in der Menge zu aufgeheizt war. Kontakt zum Pegida-Leitungsteam hat er über Thomas Tallacker geknüpft. Der saß bis voriges Jahr für die CDU im Meißner Stadtrat, musste aber nach ausländerfeindlichen Äußerungen zurücktreten. Noch ist Tallacker Parteimitglied, aber nach wie vor heftig umstritten. Den Fall Perba haben beide Seiten als nützlich für ihre Zwecke erkannt.

Pegida spaltet die Gesellschaft. Auch das Wohnzimmer des Rentners. Gerade sitzt Stephan Degen mit an seinem Tisch, ein junger Mann, der vor fünf Jahren ins Dorf gezogen ist. Er hat sich hier ein Haus gekauft, weil die Preise auf dem Land noch erschwinglich sind, und wurde von der Dorfgemeinschaft herzlich aufgenommen. Beim Perbaer Asyl-Streit ist er sich mit den anderen einig: Die Planung sei ein Desaster. Trotz seiner Bedenken will er sich Pegida allerdings keinesfalls anschließen. "Der Ton, der dort angeschlagen wird, ist mir zu rassistisch. Da kommt eine Wut durch, so etwas kann ich nicht unterstützen", sagt Degen, Arbeitsschutz-Inspektor und in der CDU-Kreispolitik aktiv.

Joachim Möhler ist anderer Meinung, aber Streit darüber gibt es nicht. Sie haben ganz andere Probleme auf dem Tisch. Seit Wochen wälzen sie immer wieder dieselbe Frage: Wie wird das, wenn die Asylbewerber ankommen? "Wir könnten ja mit ihnen einmal in der Woche einkaufen fahren", schlägt Stephan Degen vor. "Nein, das müssen sie allein hinbekommen", findet Möhler. "Sie müssen sich ja an unsere Kultur und unsere Werte anpassen und hier klarkommen."

Überfordert wirken alle Beteiligten. Die Perbaer Bürger, die bis heute nicht wissen, wer und was auf sie zukommt. Diese Woche kam die Nachricht, Mitte Februar würden die ersten 30 Asylbewerber im Plattenbau einziehen. Ob es Familien oder alleinstehende Männer sind, steht immer noch nicht fest. "Wir brauchen einen Vermittler, der uns unterstützt und erklärt, wie man aufeinander zugeht", sagt Möhler.

Dieses Scharnier gibt es: einen Mitarbeiter von der Diakonie, der sich im Ort bereits vorgestellt hat und die Neuankömmlinge betreuen soll. "Vor allem in den ersten Wochen wird unser Mitarbeiter das intensiv tun", sagt Gerlinde Franke, verantwortlich für die Begleitung von Asylbewerbern in der Region. Sie muss sich um viele Baustellen kümmern, Perba ist nur eine davon. Eine besonders heikle, das weiß sie. Deshalb werde die Betreuung hier zumindest am Anfang intensiviert. "Ansonsten gilt nach wie vor der Schlüssel: Auf 150 Asylbewerber kommt ein Sozialarbeiter", sagt Gerlinde Franke. "Und das ist definitiv eine Herausforderung."

Auch Uwe Anke, der Nossener Bürgermeister, weiß, dass die Situation verzwickt bleibt. Aber er freut sich über kleine Fortschritte. Zum Beispiel, dass in einem Nachbardorf von Perba gerade Fahrräder gesammelt werden, damit die Asylbewerber selbstständig ein paar Runden drehen können. Auch er hat etwas unternommen, um die Stimmung im Ort zu beruhigen. Man könnte sagen: Er hat ein Zeichen gesetzt, und zwar auf einer Dorfstraße, die bisher dunkel war. Dass dort Laternen fehlen, beklagen die Perbaer seit Jahren.

Als die ersten Gerüchte über die Ankunft der Fremden im Dorf kursierten, wurde auch diese Forderung wieder laut. Seit einigen Wochen stehen die Lichtmasten nun. "Wir wollten den Bewohnern Ängste nehmen", sagt Anke. "Ihnen deutlich machen, dass wir ihre Sorgen ernst nehmen."

Ob Laternen genügen, um Licht ins Dunkle zu bringen, wird sich erst zeigen, wenn beide Seiten hinter einem Ortsschild wohnen. Joachim Möhler hegt allerdings schon leise Hoffnungen, dass er nicht mehr lange als Sprachrohr von Perba fungieren muss. Auch die Ausflüge nach Dresden sind für ihn keine Dauerlösung, montags hat er eigentlich was anderes vor. Kegeln und Bier trinken mit Freunden. So bald wie möglich will er zurück zur Runde, zu seinem Alltag. Aber erst, wenn Ruhe eingekehrt ist, zumindest auf seiner Scholle.