Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 09.03.2015

Wir fahren nach Berlin

Unterstützt von Politikern der CDU, haben sich Pegida-Sympathisanten auf den Weg durch die Instanzen begeben. Nun haben sie einen Termin bei einem Staatssekretär der Bundesregierung in Berlin.


Da stehen sie. Fünf Dresdner Bürger auf dem Neumarkt. In einer Viertelstunde wird wieder eine Montagsdemonstration von Pegida beginnen, es ist bereits die siebzehnte. 6 200 Menschen seien gekommen, teilt die Polizei mit. Von 12 000 sprechen die Organisatoren.

Die fünf gehören zu einer 14-köpfigen Gruppe, die sich "als Scharnier zwischen Pegida und der Politik" versteht. Einige von ihnen haben noch keinen Montags-Protest verpasst, andere sind noch nie dabei gewesen, sehen sich jedoch als "Sympathisanten der Bewegung". Es gibt welche, die sagen, sie hätten in der DDR der SED angehört und nach der Wende links gewählt; die meisten sagen, sie seien ihr Leben lang parteilos gewesen. Rentner sind darunter, Angestellte, der Chef eines evangelischen Reisebüros, ein Unternehmens- und ein Anlageberater, der Einkaufschef einer IT-Firma.

Was alle eint, sind Zukunftsängste. "Wir haben das Gefühl, die Politik agiert nach dem Prinzip 'Augen zu und durch'", sagt Reiko Beil. Der 44 Jahre alte Vater von drei Kindern glaubt, einen "Graben zwischen dem Handeln unserer Politik-Elite und den Bürgern" ausgemacht zu haben, weil "Erklärungen zu diesem Handeln fehlen" oder weil diese "dem Volk bewusst oder unbewusst vorenthalten" würden. Und er fragt sich, schon seit Längerem, "was das montägliche Herumgelaufe noch bringen soll ".

Beil ist inzwischen so etwas wie der Sprecher der Gruppe, ins Leben aber rief sie Heiko Müller. Der 50-Jährige ist der Einzige, der sich auf den Pegida-Demonstrationen mit einer regenbogenfarbenen Schwulenfahne blicken lässt. Sein Mund steht selten still, er hat ein vereinnahmendes Wesen und geht in Gesprächen oft auf Tuchfühlung. Er sagt, er arbeite als Angestellter in einem Gehaltsbüro, sei schon im Herbst 1989 auf der Straße und im Stasi-Gefängnis in Bautzen inhaftiert gewesen. Auch jetzt wolle er wieder etwas bewegen. "Ich will mich einmischen. Ich will mehr Bürgernähe." Nur spazieren zu gehen und auf Politik und Medien zu schimpfen, reiche da nicht. Deshalb habe er Anfang Februar Pegida-Chef Lutz Bachmann angesprochen, ihm von der Gruppe erzählt und angeboten, zwischen Pegida und der Politik zu vermitteln. "Außerdem mache ich mir Sorgen um das angeschlagene Image von Dresden."

Müller wohnt gut situiert in einer Dresdner Stadtvilla zur Miete. Viel Parkett, viel edles Holz, viel Licht. In seinem Wohnzimmer steht eine weiße Ledercouch, Müller hat sich eine Tasse Cappuccino gemacht. Er sei auf dem Dialogforum der Landesregierung gewesen, erzählt er. "Das war eine Farce." Er springt auf, geht ans Fenster, fährt fort: "Was soll denn das bringen, wenn sich vollkommen fremde Menschen völlig unterschiedliche Themen zwei Stunden lang an den Kopf werfen?" Er hätte nicht einen kompetenten Ansprechpartner gehabt. "Da war ich sauer, hab' das Büro vom Ministerpräsidenten angerufen, wollte einen Termin, der hatte keine Zeit, da bekam ich die Einladung vom Rohwer."

Lars Rohwer ist 43 und Landtagsabgeordneter. Unter anderem mischt er im wichtigen Haushalts- und Finanzausschuss mit. Der gelernte Banker gewann für die CDU das Mandat im Dresdner Westen. "Ich habe Herrn Müller in meine Bürgersprechstunde gebeten. Da war er schon dabei, eine Gruppe zu bilden", sagt der Politiker. "Die Leute, die er da zusammengetrommelt hat, könnten unterschiedlicher kaum sein." Nach der Bürgersprechstunde habe die Gruppe nicht mehr lockergelassen.

Wie Reiko Beil. Man trifft den einstigen DDR-Flüchtling und gelernten Tischler im Büro einer Fahrzeugleasingfirma in der Dresdner Friedrichstadt. Er hat tatsächlich was von dieser den Autoverkäufern ganz eigenen Eleganz: Gel im Haar, Jackett, Nickelbrille. Wenn man Beil nach seinen Erfahrungen mit Politik und Staat fragt, windet er sich und räumt dann ein, "gewisse Probleme" zu haben. Nach der Rückkehr nach Sachsen war er zunächst Teilhaber an einem Bistro, gründete dann eine Autovermietung, ging 1998 pleite, erholte sich und führte in Bannewitz einen Autohandel mit rund 100 Leuten. 2009 schlitterte seine Firma wegen der Wirtschaftskrise erneut ins finanzielle Aus. Das soll er zu spät gemeldet haben, das Amtsgericht Dresden verurteilte ihn wegen Insolvenzverschleppung zu anderthalb Jahren auf Bewährung. Er legte Berufung ein, der Termin für seinen Prozess vor dem Landgericht ist noch offen.

Das aber, beeilt er sich zu sagen, sei nicht der Grund, "warum ich seit November bei Pegida mitlaufe". Dann zählt Beil auf: Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Euro-Krise, Griechenland-Schulden, Afghanistan, Irak-Kollaps, Syrien-Krieg, Arabischer Frühling, Flüchtlingsflut, Atomkatastrophe in Japan, Energiewende, Geldschwemme, Niedrigzinsen, künstlicher Aktienboom, Ukraine-Konflikt, Russland-Embargo, TTIP, die Kluft von Arm und Reich, Ebola, IS-Terror. "Das alles überfordert mich und viele andere", sagt er. "Und offenbar auch die Mächtigen in diesem Land." Er habe das Gefühl, nicht mehr der Mensch stehe im Vordergrund der Politik, sondern Profit und Macht. Die Bundesregierung hält er für "unterwandert von Lobbyisten". Die bisherigen Dialogangebote der Politik hält er für "Hinhaltetaktik". Doch auch bei Pegida fühlt Beil sich nicht so wirklich wohl. Der Name sei "äußerst unglücklich", die Reden seien inhaltlich schwach und meist schlecht gehalten. Deshalb suche er nun das direkte Gespräch mit Politikern. SPD, Grüne und Linke hätten das abgelehnt, die AfD sei "nicht aus dem Knick" gekommen. "Dabei wollen wir nur begreiflich machen, dass wir große Angst vor der Zukunft haben." Warum? "Weil die Politik so planlos wirkt und keiner mehr dem Volk sagt, was los ist." Das habe aber nur die CDU hören wollen.

Damit kommt wieder Lars Rohwer ins Spiel. Er organisiert Ende Januar ein Treffen zwischen der bunten Pegida-Truppe mit ihm und fünf weiteren Landtagsabgeordneten der CDU. Abends um acht, nach einem langen Tag mit Fraktions- und Landtagssitzung. "Für uns war das ja ein Flug ins Dunkel", sagt Rohwer am Telefon. "Aber wir waren positiv überrascht von den Leuten." Das Treffen habe zweieinhalb Stunden gedauert. Dann ringt er sich zu zwei bemerkenswerten Sätzen durch. Der erste lautet: "Pegida hat es geschafft wie zuletzt die 68er-Generation, die Systemfrage wieder auf die Tagesordnung zu bringen." Der zweite: "Uns fehlt in der Politik derzeit ein Erklär-Bär, der verständlich macht, warum er so entschieden hat, wie er entschieden hat; Leute wie Biedenkopf, Kohl oder Helmut Schmidt zum Beispiel."

Anfang Februar treffen sich sich Müller, Beil & Co. wieder mit der CDU, wieder im Landtag. Diesmal sind Rohwer, der CDU-Sozialexperten Patrick Schreiber und Innenminister Markus Ulbig ihre Gesprächspartner. "Der Ulbig hat sich bei uns sogar für seinen früheren 'Rattenfänger'-Vergleich entschuldigt", sagt Beil.

Zehn Tage später fahren er und Müller nach Pulsnitz. Dort berichtet der CDU-Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz im Gasthof "Schützenhof" über seine Arbeit in Berlin. Etwa 30 Leute sind gekommen, für alle überraschend trifft später auch Lutz Bachmann ein. Der kommt in der Diskussion um Asyl, Lobbyismus, Volksentscheide und Ukraine-Konflikt zwar nicht zu Wort, postet einen Tag später jedoch ein Vaatz-Zitat auf der Facebook-Seite von Pegida: "Wenn Angela Merkel behauptet, der Islam gehöre zu Deutschland, dann ist das der Beweis für eine erfolgte Islamisierung Deutschlands." Bachmann kommentiert die Aussage mit dem Satz: "Genau unsere Meinung, Herr Vaatz, trotzdem spricht die Mainstream-Presse immer von einer 'angeblichen Islamisierung'."

Vaatz bestätigt das Zitat weitgehend. Die Politik habe in der Kommunikation zum Thema Asyl im Großen und Ganzen versagt. Das "unübersichtliche Wirrwarr zwischen Bund, Ländern und Kommunen" führe zu "intransparenten Entscheidungen". Er suche deshalb den Dialog. "Und weil eine Frage in Pulsnitz auch war, was Deutschland tut, um den Herkunftsländern der Flüchtlinge zu helfen, habe ich versprochen, dafür einen Ansprechpartner in Berlin zu besorgen."

Der vergangene Mittwochnachmittag. Der CDU-Landtagsabgeordnete Martin Modschiedler, 47, sitzt in seinem Dresdner Bürgerbüro mit zwei christdemokratischen Stadträten und sechs Leuten aus der Gruppe der 14 im Kreis. Leger gekleidet mit Jeans und rotem Pullover fragt der studierte Jurist, ob einer der sechs schon mal das Bürgerbüro eines Abgeordneten aufgesucht habe. Die verneinen, sind aber gut vorbereitet. Gerade ist die Flüchtlingspolitik dran. Begriffe wie Dublin III, Asylbewerberleistungsgesetz, Bamf-Gelder, Königsteiner Schlüssel fliegen durch den Raum. Bürgerdemokratie aus dem Bilderbuch. Doch am Ende gibt's Streit über das geplante EU-Freihandelsabkommen mit den USA. Reiko Beil empört sich lautstark, gestikuliert mit dem Zeigefinger auf Modschiedler. Jetzt erinnert die Runde eher an eine krakelige Polit-Talkshow im Fernsehen.

Lutz Bachmann ist trotzdem angetan. "Was die da machen, finde ich super", sagt der Übervater der Pegida-Bewegung. Der 42-Jährige sitzt entspannt auf Müllers weißer Ledercouch, vor sich eine Schachtel Zigaretten, Kaffee und ein Stück Butterstreuselkuchen. "Ich kann den Weg, den die Gruppe beschreitet, ja nicht mitgehen." Er sei medial verbrannt, von den Etablierten wolle niemand mit ihm reden. "Dabei würde ich eine Einladung annehmen, wenn sie nicht gerade von Gauck oder Gabriel kommt."

Der selbst ernannte Volksversteher kündigt an, mit Pegida weitermachen zu wollen, Montag für Montag, "sonst wäre der Druck der Straße weg". Er habe eine Dauergenehmigung bis Ende April, von offizieller Seite gibt es dafür allerdings keine Bestätigung. Seinen Anhängern hatte er zuletzt zugerufen: "Der März wird unser Monat." Doch er macht den Eindruck, als ringe er selbst um einen Ausweg aus der Demonstrations-Sackgasse. Für ihn ist die Gruppe der 14 jedenfalls ein Beleg dafür, "dass sich einfache Leute dank Pegida wieder für Politik interessieren".

Müller und Beil möchten herausfinden, "was die Menschen wirklich wollen zur Festigung der Demokratie der BRD". Sie haben dazu eine Internetseite namens "www.dialog-2015.de" ins Netz gestellt. Dort seien "zwölf der dringlichsten Fragen des Volkes an die Bundespolitik" aufgelistet, deren Priorität die Bürger im Internet selbst festlegen sollen. Die Antworten und das Agieren der Politiker auf und zu dieser Liste wollen sie dann im Netz veröffentlichen.

Beil und Müller sehen in der Internetseite ein gutes Instrument, um sich auf das von Bundestagsmitglied Vaatz zugesagte Treffen in Berlin vorzubereiten. Die bisherigen Erklärungsversuche der sächsischen CDU-Politiker werten sie zwar als "mutig", empfinden sie aber auch als "teilweise befremdlich". Beil sagt, er fahre nicht nach Berlin, um Forderungen zu stellen, sondern um Antworten zu bekommen, "die das Volk versteht". "Wir wollen zum Beispiel wissen, ob die Bundesregierung einen langfristigen Plan hat, um die wachsenden Flüchtlingsströme in den Griff zu kriegen."

Und so werden am 26. März abends um halb sechs Beil, Müller und ein weiteres Mitglied der Gruppe in das Zentrum der Macht vorstoßen. Ihre Namen, Geburtsdaten und Adressen haben sie bereits hinterlassen. Sie werden sich beim Einlassdienst des Jakob-Kaiser-Hauses, dem größten deutschen Parlamentsgebäude in der Berliner Wilhelmstraße melden, um in das Büro des Abgeordneten Arnold Vaatz vorgelassen zu werden. Dort soll dann auch Friedrich Kitschelt sitzen, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Ein CDU-Mann, der zuvor im Bundeskanzleramt das Referat Nord-Süd-Beziehungen leitete. Kompetenz genug? Reiko Beil zweifelt immer noch. In seinem jüngsten Schreiben an Vaatz bittet er um "eine positive personelle Ergänzung der Gesprächsrunde". Er denke da an Peter Altmaier, den Chef des Bundeskanzleramtes.