Die Berichte des Tagesspiegels, 25.01.2016

von Matthias MEISNER

Interview mit Katja Kipping - „AfD und Pegida rücken immer enger zusammen“

Das Selbstbewusstsein von Pegida sei unglaublich, sagt Katja Kipping. Die Linken-Chefin im Interview über das Erstarken der Anti-Islam-Bewegung in ihrer Heimatstadt Dresden.

Frau Kipping, Pegida ist in den vergangenen Wochen immer weiter gewachsen. Was ist los mit Ihrer Heimatstadt Dresden?

Es wäre zu kurz gegriffen, das Problem Pegida alleine auf Dresden zu beziehen. Bei Demonstration vor zwei Wochen konnte man sehen, dass inzwischen auch Leute zum Beispiel aus Brandenburg und Thüringen nach Dresden reisen. Dresden hat eine traurige Geschichte großer Naziaufmärsche. Dresden ist eine ostdeutsche Großstadt. Wenn es beim Erstarken von Pegida in Dresden eine ostdeutsche Komponente gibt, dann nicht, weil es da ein DDR-Gen gibt. Aber die Demütigungen, die manche in der Nachwendezeit erfahren haben, machen sie ansprechbarer für eine solche Form von Protest.

Hat Pegida auch mit der Vorherrschaft der CDU in Sachsen zu tun?

Die CDU hat in Sachsen faktisch 25 Jahre durchregiert, nur manchmal gab es einen kleinen Koalitionspartner. Sie hat ganz offensichtlich nichts gegen einen sich verbreitenden Rassismus getan. Ganz im Gegenteil: Die Union hat den Humus dafür geschaffen. Zweitens hat sie über ein Vierteljahrhundert hinweg das Gefühl vermittelt: Egal, was man macht, Kritik, Protest, etc., der wird einfach arrogant bei Seite geschoben oder ignoriert. 25 Jahre faktische Alleinherrschaft der CDU haben nicht dazu beigetragen, Begeisterung für Demokratie in Sachsen zu verstärken.

Pegida-Chef Lutz Bachmann ist zurückgetreten, nach rassistischen Ausfällen und nachdem er sich als Hitler-Double ins Bild setzte. Ist Pegida jetzt geschwächt?

Wohl leider kaum. Was in diesem Facebook-Eintrag noch einmal aufgeblitzt ist, ist die tiefe Menschenverachtung, die hinter Pegida steht. Allein die Tatsache, dass Bachmann aus dem Vereinsvorstand zurücktritt, ändert ja nichts daran, dass er der Begründer von Pegida ist. Pegida ist ja nicht einfach nur eine peppige Abkürzung. Das ist eine Organisation, die ganz klar mit Ängsten vor einer angeblichen Islamisierung des Abendlandes spielt. Pegida baut in der Grundanlage her auf rassistischen Vorurteilen auf.

Pegida betont, dass sie sich abgrenze von Rechtsextremisten. Sie benutzt Symbole der Antifa-Bewegung, ist auch auf Distanz gegangen zum Leipziger Ableger Legida. Ist das glaubwürdig?

Ich nehme ihnen das nicht ab. Es ist Ausdruck davon, dass sie eine geschickte PR-Strategie verfolgen. Es gibt berechtigte Ängste, die auch auf den Demonstrationen von Pegida artikuliert werden, zum Beispiel die Angst vor Altersarmut. Oder die tiefe Überzeugung, dass es mehr direkte Demokratie und Volksabstimmungen geben müsse. Oder dass kein Krieg mit Russland vom Zaun gebrochen werden soll. Das sind ja alles berechtigte Ängste. Aber die könnte man ja zum Beispiel unter der Überschrift „Montagsdemos für mehr Demokratie, für mehr soziale Gerechtigkeit oder gegen die Prekarisierung von mir aus auch des Abendlandes“ wenden. Aber so ist es ja nicht. Wer sich Pegida anschließt, stellt sich gegen die Islamisierung des Abendlandes. Das ist ein herbeiphantasiertes Gespenst.

Wie erleben Sie das in Ihrem Dresdner Freundes- und Bekanntenkreis? Wachsen dort Sympathien für Pegida?

Pegida langt sehr stark in die Debatten in der Stadt hinein, sei es bei Familienfeiern oder im Sportverein. Es spaltet die Stadt. Ich weiß von einigen Weihnachtsfeiern, wo das in den Familien sehr kontrovers diskutiert worden ist. Was ich mit Erschrecken feststelle: dieses unglaubliche Selbstbewusstsein, mit dem Pegida-Anhänger auftreten. Um nur ein Beispiel zu nennen: Sie sprechen zum Beispiel Krankenpfleger mit migrantischem Hintergrund an, fordern sie auf, mitzukommen zur Demo. So nach dem Motto: Du bist doch ein guter Ausländer, du kannst mit uns gegen die anderen Ausländer demonstrieren.

Gibt es auch etwas Positives? Schließlich nutzen die Menschen ja ihr verbrieftes Demonstrationsrecht.

Bei der großen Demonstration für "Dresden für alle und gegen Rassismus" konnte man sehen, dass es wieder eine neue Generation von jungen Leuten gibt, die dadurch politisiert wird. Manche waren vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben auf einer größeren Demonstration.

Die Staatsregierung, die CDU oder auch die Landeszentrale für politische Bildung setzen auf einen Dialog, mindestens mit den Mitläufern von Pegida. Ist dieser Ansatz richtig?

Auf die Frage, wie ich es mit einem Dialog halte, sage ich: Jeder, der mit mir beraten möchte, was man gegen Altersarmut tun kann, ist herzlich willkommen zum Gespräch. Aber mit den Organisatoren von Pegida, die auf Rassismus setzen, gibt es für mich keine Basis für ein Gespräch. Die Facebook-Einträge von Lutz Bachmann waren nur die Spitze des Eisberges. Sie haben gezeigt, dass es Pegida an jeglichem Respekt vor Menschen mangelt. Wer diese Organisation als gleichberechtigten Dialogpartner anerkennt, verharmlost sie. Frank Richter…

… der Chef der Landeszentrale für politische Bildung, der Pegida den Raum für eine Pressekonferenz zur Verfügung stellte …

… ist eher zu bemitleiden als zu beschimpfen. Er hat das versucht, was die sächsische Staatsregierung 25 Jahre versäumt hat: nämlich sich mit Protest auseinanderzusetzen. Er hat vor diesem Hintergrund das Falscheste getan, was man tun konnte: nämlich Bachmann und seiner Mitstreiterin Kathrin Oertel ein Podium zu geben. Pegida ist quasi eine Vorfeldorganisation der AfD, gemeinsam bereiten diese Organisation und diese Partei einen Kulturkampf von rechts vor.

Ein Mitglied aus dem Orga-Team von Pegida hat um Aufnahme in die AfD ersucht. Wie eng gehören Pegida und AfD zusammen?

Die sächsische AfD-Frau Petry hat sich mit Pegida getroffen. Sie war die erste, die den Rücktritt von Bachmann verkündet hat. Man hatte fast schon das Gefühl, dass da die Mutterpartei für Pegida in Dresden entscheidet. Der brandenburgische AfD-Vertreter Gauland war bei Demonstrationen von Pegida dabei. AfD und Pegida rücken immer enger zusammen, in Sachsen ist die AfD quasi zum parlamentarischen Arm von Pegida geworden. Umgekehrt bereitet Pegida den gesellschaftlichen Boden für die AfD.

 


Katja Kipping (37) ist Vorsitzende der Linkspartei. Sie stammt aus Dresden. Das Gespräch führte Matthias Meisner.