Kersten Augustin, taz - die tageszeitung

Experte für Politik und Gesellschaft, Migration und Nahost - Ein Portrait

Seinen ersten Artikel mit dem Titel ‚Wilhelmsburger fingen einen Räuber‘ schrieb Kerstin AUGUSTIN bei einem Schülerpraktikum bei der Harburger Rundschau. „Danach war ich zwar süchtig nach Zeitungen, habe aber selbst nicht geschrieben, weil ich nicht wusste, worüber“, erzählt der Journalist.  

Probleme bei der Themenfindung hat AUGUSTIN heute nicht mehr. Der 34-jährige Wahl-Berliner ist seit 2015 Redakteur bei der taz am Wochenende. Mit seiner Recherche zur Bundestagspolizei, hat sich Kersten AUGUSTIN einen Namen gemacht: Sein Artikel „Hitlergruß im Bundestag“, den er zusammen mit Sebastian ERB veröffentlichte, schlug hohe Wellen und wurde gleich dreifach ausgezeichnet. 2021 erhielt die Recherche den Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus. 2022 die Journalistenpreise „Der Lange Atem“ und den „Wächterpreis der Tagespresse“.

Kersten AUGUSTIN wurde 1988 in Hamburg geboren und ging in der Hansestadt, im Rahmen eines Schülerpraktikums, auch seine ersten Schritte in Richtung Journalismus. Heute gilt er als Experte für den Nahen Osten. Auch hierzu legte er bereits früh den Grundstein. Er nahm an einem Jugendaustauschprogramm der christlich-arabischen Minderheit Jaffa teil. Später studierte er in Berlin, Jerusalem und Ramallah Politik und Philosophie. „Das hat mir geholfen, die Welt besser zu verstehen.“

In Ramallah entdeckte AUGUSTIN auch wieder seine Leidenschaft für das Schreiben. Während in Deutschland eher Themenflaute herrschte, lagen die Geschichten dort „auf der Straße“. AUGUSTIN schrieb zunächst für Nahost-Blogs und kleine Zeitungen. Nach seiner Ausbildung an der deutschen Journalistenschule in München kehrte er nach Jerusalem zurück und berichtete von dort aus als freier Korrespondent für die Zeit, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Neue Zürcher Zeitung, Deutschlandradio, den BR und weitere Abnehmer.

Seit 2015 arbeitet Kersten AUGUSTIN für die taz am Wochenende, er schreibt vor allem Reportagen und Titelgeschichten. Seine Hartnäckigkeit und sein Gespür für spannende Themen stellte er aber bereits vor seine preisgekrönte Reportage zur Bundestagspolizei unter Beweis. Mit seinem Kollegen, Christian JAKOB, rekonstruierte er etwa den Tod von Oury JALLOHJ, der am 07. Januar 2005, fixiert an einer Matratze, in einer Gefängniszelle verbrannte. AUGUSTIN und sein Kollege waren, 17 Jahre nach dem schrecklichen Ereignis, die ersten Journalisten, die mit den Polizisten sprachen, die Oury JALLOH festgenommen hatten. In einer anderen Recherche deckte AUGUSTIN mit seinem Kollegen Yossi BARTAL auf, dass das deutsche Verteidigungsministerium wissentlich falsche Zahlen über die Anzahl jüdischer Soldaten in der Bundeswehr verbreitet hatte.

Augustin sieht die Presse als „eine Plattform für das Selbstgespräch einer Gesellschaft“, auf der auf Missstände hingewiesen und Kritik an den Mächtigen geübt werden kann. „Es ist überhaupt nicht selbstverständlich, dass es eine freie Presse gibt“, betont er. „Dieses Recht müssen wir jeden Tag neu erkämpfen.“

Das versucht AUGUSTIN auch in seiner taz-Kolumne „Materie“, wo es um tagesaktuelle Themen geht. Das Spektrum reicht von der Pandemiebewältigung über den Klimawandel bis zum 9-Euro-Ticket, mit dem der Journalist im Selbstversuch nach Sylt reiste. Journalismus ist für ihn der spannendest Beruf, den er sich vorstellen kann. „Ich darf Leute ausfragen und schreiben, was ich will, das empfinde ich als große Freiheit und Glück“, so AUGUSTIN. Dem Journalismus und vor allem seinem Arbeitsgeber, der taz, verdanke er ein Berufsleben „ohne große Hierarchien“ und der Freiheit, eigenverantwortlich zu agieren. Deshalb will er dem Journalismus auch unbedingt treu bleiben. „Ich kann nichts anderes gut genug“, behauptet er halb im Scherz.

Für seine preisgekrönte Reportage über rechtsextremistische Vorfälle bei der Bundestagspolizei recherchierte AUGUSTIN zusammen mit seinem Kollegen Sebastian ERB sechs Monate lang über mögliche rechtsextremistische Vorfälle bei der Bundestagspolizei. Die Idee zu dieser Recherche kam den beiden Taz-Redakteuren nach dem Sturm auf das Kapitol in den USA 2021 und den versuchten Sturm des Reichstagsgebäudes durch Querdenker*innen 2020. „Da haben wir uns gefragte: Wer schützt eigentlich das deutsche Parlament?“. Eine Frage, die sich auf den ersten Blick leicht beantworten lässt: die 210 Beamt*innen der Bundestagspolizei.

Aber wer genau sind diese Beamten? Und wieso hat kaum jemand von dieser speziellen und so wichtigen Einheit gehört? Bereits während ERBS Recherche zum Hannibal-Netzwerk hatte die taz vage Hinweise, dass es bei der Bundestagspolizei Probleme mit Rechtsradikalismus geben könnte. Durch Gespräche mit verschiedenen Informanten wurde bald klar, dass es sich nicht um einzelne rechtsextremistische Vorfälle handelte, sondern um ein strukturelles Problem. Augustin und Erb deckten erschreckende Fakten auf. Die Recherche der beiden hatte eine umfangreiche interne Ermittlung und mehrere Disziplinarverfahren gegen Beamte der Polizeieinheit zufolge.

Wie er - zusammen mit Sebastian ERB - die Gechichte recherchiert hat, lesen Sie unter Wie die taz den Rechtsradikalen auf die Schliche kam.

Erreichbar unter augustin [at] taz.de 

(Antonia DAHL)