Krieg der Daten und Milliarden

Krieg: "Wirtschaftlicher Nachrichtendienst" für die Schweiz - Steuergerechtigkeit für Deutschland

Vorspann:

Es geht um versteckte Schwarzgeld-Milliarden, Hehlergeschäfte und eingeschleuste V-Leute. Über fast zehn Jahre hat ein geheimer Spionagekrieg zwischen deutschen Steuerfahndern und Schweizer Banken und Behörden getobt. Für einige Kombattanten ist er gefährlich geworden. Für einen tödlich. 

Eine Rekonstruktion von Dietmar SEHER (DS).

Hinweis: Sie können dieses Kapitel direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Steuerdatenkrieg


Im Westen Österreichs liegt hoch in den Tiroler Bergen die 3000-Seelen-Gemeinde Arzl. Sie bildet am Oberlauf des Inn den Eingang ins romantische Pitztal. Auf dem kleinen Kirchfriedhof des Dorfes haben die Einheimischen im September 2010 von Wolfgang UMFOGL Abschied genommen. „Der Verstand kann es nicht fassen“, schrieb die Familie damals in den Kopf der Todesanzeige. Der 43-jährige UMFOGL, ein gutaussehender, sportlicher Blondschopf, hat in einer Schweizer Haftanstalt Selbstmord begangen, wie es ein offizieller Obduktionsbericht sagt.

Arzl im Pitztal. Anklicken öffnet die Karte auf google maps.

Was 2010 nur wenige ahnten: UMFOGL ist ein frühes Opfer in einem geheimen Wirtschafts- und Spionagekrieg, den sich eidgenössische Behörden und deutsche Steuerfahnder über fast zehn Jahre geliefert haben. Dieser Krieg wurde mit V-Leuten, Lauschangriffen und harten Verhören geführt, er drehte sich um geheime Konten und Datenverrat. Es gab nicht Schwarz und Weiß, vielleicht nicht einmal Gut und Böse. Denn so genau war das nicht immer erkennbar. Keine Seite schenkte der anderen etwas. Es war, mitten in Europa, ein Konflikt um Werte in Höhe von vielen Milliarden Euro. Dies ist, so weit überhaupt nachvollziehbar, seine Geschichte.

Der Iraner

Foto; "Roland zh", WIKIPEDIA

Die ersten Spuren führen in das Zürich des Jahres 2007. Der iranische IT-Techniker Sina L. sitzt an seinem Arbeitsplatz am feinen Paradeplatz. Es ist ein spezieller Ort: Hier sind die großen Banken zu Hause. Hier bringen die Superreichen der Welt ihr Geld hin oder sie holen es ab, wenn es sich ohne mühsames Zutun vermehrt hat. Zyniker sagen: Von hier aus wird die Welt mitregiert.

Der 25-jährige arbeitet für ein großes Institut. Es ist die Credit Suisse. Ihre Bilanzsumme: Eine Billion Schweizerfranken. 50 000 Mitarbeiter in aller Welt stehen in ihrem Sold. Seine Chefs vertrauen dem jungen Iraner. Er darf computertechnisch die steuerflüchtige Kundschaft aus Deutschland betreuen.

Sina L. ist Nerd. Er macht seinen Job mit links. Und er hat Langeweile. Seine Freundin, eine Ex-Prostituierte, die in der Schweiz tätig war, wohnt jetzt weit weg in Prag. Sein Berufsleben am PC, sein Auftritt als Chorsänger und seine Liebe zum Auto - das füllt ihn nicht wirklich aus. Er hat noch ein anderes Hobby. Es ist die Geschichte, die deutsche speziell, die der Nazis noch spezieller. Er sucht den Kick mit dem Klick und beginnt mit den IT-Werkzeugen Host und Frontnet in den Tiefen der Credit Suisse-Datei nach verborgenen Resten des Dritten Reiches zu wühlen.

Könnte er dort Hinweise auf die Nachfahren von GÖRING, GOEBBELS und Co.finden, die hier ihr einst zusammengeraubtes Vermögen deponiert haben? Was ist davon übrig? Der junge IT-Spezialist holt sich die Namen der Kunden und ihre Zahlen auf den Bildschirm. Er ist vorsichtig und notiert alles auf Papier und packt das Aufgeschriebene in die Aktentasche, um es mit nach Hause zu nehmen.

Archaisch“ wird man diese Methode später in Wuppertal-Barmen nennen, wo an der Adresse Unterdörnen 96 die Elite der nordrhein-westfälischen Steuerfahnder arbeitet. Dennoch: Sina L.'s Sammelwut - wenn es sie so gegeben hat, wie er es selbst später darstellt - ist der Auftakt zu einem spektakulären Spionage-Drama, das sich im folgenden Jahrzehnt zwischen dem bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland und der Schweiz abspielt.

Die Milliarden

Heute, wo dieser Krieg irgendwie zu Ende zu sein scheint, zieht besonders der frühere Landesfinanzminister Norbert WALTER-BORJANS eine stolze Bilanz. Zwar war es ausgerechnet NRW, das Anfang der 1990er Jahre über seine durch die SPD-Regierung RAU kontrollierte Landesbank WestLB 18 000 Sparkassenkunden zur Geldanlage in Steueroasen verholfen und damit allen Steuerhinterziehern ein prächtiges Vorbild geliefert hatte. Doch der Sozialdemokrat WALTER-BORJANS hat in den Jahren nach 2010 viele der Schlachten gegen die Schweiz gewonnen.

Er - und am Anfang sein christdemokratischer Vorgänger Helmut LINSSEN - haben nicht nur Schweizer Banken in die Knie gezwungen, so dass sie sich ab 2018 am automatisierten und grenzübergreifenden Abgleich der Kundendaten beteiligen. Sie haben ihnen auch dreistellige Millionensummen als Strafzahlungen auferlegt, Tausende Steuersünder überführt und noch mehr so weit verschreckt, dass sie von selbst aufgaben.

40 000 meldeten sich alleine im Jahr 2014 über eine Selbstanzeige, um einer hohen Strafe zu entgehen. Fahnder haben, durch den rechtlich umstrittenen Ankauf von bisher (Stand 2014 !) elf CD mit brisanten Namen und Daten deutscher Geldanleger zusammen 1,8 Milliarden Euro für die klamme Landeskasse eingesammelt. Für ganz Deutschland waren sind es sieben Milliarden. Der Einsatz des Landes: Peanuts, um in der Bankersprache zu bleiben. Gerade 19 Millionen Euro hoch war das Dankeschön-Geld an die Datenhehler.

Die erste Lieferung

Passiert so etwas auf dem amtsüblichen Verwaltungsweg mit offiziellen Ermittlungen, Rechtshilfeersuchen oder Einvernahmen? Die Wahrheit, zeichnet sich ab, ist nervenaufreibender. Mit Spionen auf beiden Seiten, die P1, P2 und P3, mal "M. WEBER" oder "August KÖNIG" heißen können. Mit Geheimtreffs wohl auch beidseits der Grenze, versteckten Konten im Ausland, mit als Erbschaft getarntem Agentenlohn und - ja, auch - mit dem tragischen, tödlichen Ausgang einer der Operationen in einer Schweizer Haftzelle, wovon der Grabstein im Pitztal zeugt.

Es ist Monate nach den ersten Notizen des jungen Iraners und Anfang 2008. Sina L.   muss auf dem Weg ins heimische Neftenbach durchs nahe Winterthur fahren. Hier entspannt er regelmäßig im Fitness-Club, fühlt sich sicher - und wird ungewöhnlich leichtfertig. Irgendwann will er die Mappe mit dem geheimen, brisanten Kundendaten in der Umkleide liegengelassen haben. Sein Muckibuden-Bekannter Wolfgang UMFOGL aus Tirol, der im schweizerischen Wil ein Designbüro betreibt, findet sie, nimmt sie an sich, kopiert den Inhalt und gibt sie nach Tagen an Sina L. zurück. So geht es zumindest später aus den Akten der eidgenössischen Behörden hervor.

Wie bist du an die Daten gekommen? Hat dich jemand beim Sammeln beobachtet? Solche Fragen stellt UMFOGL seinem Bekannten bei einer nächsten gemeinsamen Autofahrt. Er habe da eine Idee, wie man diesen Datenschatz versilbert, sagt UMFOGL. Er weiß von der „Kavallerie“, die der deutsche Bundesfinanzminister Peer STEINBRÜCK gegen die Eidgenossen schicken will, und er ahnt: L. braucht Geld für seine wöchentlichen Prag-Reisen. Wenige Tage später wechselt die Datei „mappe1-test1.xls.“ mit 60 deutschen Kundennamen den Besitzer. Es ist die Premiere.

Wer sind diese Bankkunden, die ihr Geld in die Schweiz bringen und Kapitalsteuer hinterziehen? Warum tun sie das? Passiert das aus Geldgier? Aus Gründen der Angst um das Kapital? Oder ist es der Kitzel des Verbotenen, reine Zockerei?

Die Steuersünder

Namen „normaler“ Sünder werden fast nie bekannt. Steuergeheimnis und ein Desinteresse der Medien schützen sie. Prominente haben es schwerer. Schnell wird zur Nachricht, wenn Postchef ZUMWINKEL, die Feministin Alice SCHWARZER oder Bayern-Präsident Uli HOENEß den Staat um das ihm Zustehende gebracht haben - wie auch immer solche Sachen durchgestochen werden oft in Phasen, in denen eigentlich noch die Unschuldsvermutung zu gelten hat. Dann und wann wagen sich aber auch Ertappte vor und erzählen ihre Geschichte. Aus schlechtem Gewissen. Aus Wut. Oder weil sie es vor dem Richtertisch müssen.

  • Albert E. ist privat ein Kunstmäzen und beruflich eine Größe in der Welt der Mode. An der Königsallee in Düsseldorf betrieb er Jahrzehnte sein Geschäft, bevor er es an Dior verkaufte. Am 12. November 2012, um 8.45 Uhr, standen 50 Steuerfahnder vor seiner Privatvilla. E. war einer von 500 Namen, die die NRW-Behörden auf einer angekauften Datenscheibe der Schweizer Bank UBS gefunden hatten. Er gestand sofort. Er berichtete, was das für Geld war: Vor 35 Jahren hatte er das UBS-Konto angelegt. Fünf Jahre zahlte er darauf ein. Dann arbeitete die Anlage und erbrachte Zins. Irgendwann will er die Schweizer gebeten haben, die Summe, inzwischen wohl sechsstellig, zu versteuern. Das hätten die nicht getan, sagte er. „Es tut mir leid“.
  • Auch bei Lutz Sch. kamen sie morgens. Der Trierer Geschäftsmann hat die Begegnung als höflich in Erinnerung, obwohl die sechs Ermittler Gästezimmer, Bad, Weinkeller durchsuchten, Handys und Datenträger checkten und Blumentöpfe auskippten. Der verstörte Sch. saß derweil im Bademantel auf seinem Sofa und rief: „Hier finden sie nichts“. Zwar musste er nach dem Besuch nicht einmal etwas aufräumen. Aber dass er 700 000 Euro bei der Credit Suisse gebunkert hatte, das haben sie doch herausgefunden. Für Sch. war das „die Alterssicherung“. Dem Staat war er 60 000 Euro schuldig geblieben. Sein Anwalt hat vor Gericht gesagt, „der Staat ist ein Räuber“. Verurteilt wurde der Geschäftsmann trotzdem.        

Die Schweiz hat Mittelständler wie E. und Sch., die ihre Geschichten vor Gericht erzählt haben, schon lange gelockt. Und noch ganz andere.

Das berühmte, berüchtigte Schweizer Bankgeheimnis stammt aus dem Jahr 1934. Es sollte die Einlagen von Ausländern vor Nachforschungen französischer Steuerfahnder schützen. Eigentlich. Aber es schützte, ob einkalkuliert oder nicht, im Jahr nach Hitlers Machtergreifung auch vor Nachforschungen der NS-Machthaber, die jüdischem Fluchtkapital und seinen Eignern auf der Spur waren.

  • Anwälte von Steuersündern versichern heute, bis zu zehn Prozent ihre Mandanten seien Kinder und Enkel von Juden, die Vermögen bei Schweizer Banken in Sicherheit gebracht haben und es nie selbst abholen konnten, weil sie in den Gaskammern ermordet wurden. Der 2017 verstorbene renommierte Münchner Steueranwalt Jörg WEIGELL hat die Geschichte von einem Juden aus Frankfurt erzählt, der 1933 unter den Druck der Nazi-Verfolgung geriet. Er rettete sein Geld in die Schweiz. In den letzten Kriegstagen, auf dem Weg in das KZ Dachau, konnte der Verfolgte noch knapp vom Güterzug springen, der ihn ins Lager bringen sollte. Er überlebte. 70 Jahre später bekommt dessen Sohn ein Problem. Er hatte sich geweigert, die auf Schweizer Konten lagernden Besitzstände seines verstorbenen Vaters den Steuerbehörden jenes Landes zu melden, in dem einst die Mörder seines Volkes wüteten. Dann taucht auf einer aufgekauften CD ein Hinweis auf den Familienschatz auf. Der Sohn steht als Steuersünder da.

Die amerikanische VOLCKER-Regierungskommission hat solche Berichte mit Angaben über ihren Umfang ergänzt. In den 1980er Jahren identifizierte sie 80 000  „nachrichtenlose“ Konten auf eidgenössischen Banken, die sie vergasten Opfern der Shoa zuordnen konnte. Andere, so erzählen die Anwälte, haben ihr Vermögen im neutralen Alpenland untergebracht, weil sie während des Kalten Krieges eine Invasion der Sowjets in Westdeutschland fürchteten.

Quelle: Finanzamt Wuppertal-Barmen. Beherbergt auch die NRW-Steuerfahndung.

Die deutschen Steuerbehörden der Nachkriegszeit sehen die Schweizer Lösung 80 Jahre später wenig verklärt. Zwischen 80 und 140 Milliarden Euro würden durch die Geheimnistuerei hinterzogen, so Experten - Geld, das dem deutschen Staat für Bildung und Soziales, bei Sicherheit und Straßenbau fehlt. Steuerfahnder wie Peter BECKHOFF in Wuppertal-Barmen sind deshalb in den letzten zwei Jahrzehnten ziemlich forsch vorgegangen, um die unterschlagenen Summen der deutschen Staatskasse zurückzuholen. Wie forsch? Zu forsch? Es sind Fragen, die in Deutschland nur wenig gestellt wurden. Das NRW-Landesfinanzministerium wollte Medien verbieten, den Namen des Steuerfahnder-Chefs zu nennen. Es ist damit gescheitert.

Geheime Treffen

Der Österreicher UMFOGL ist mit „mappe1-test1.xlx.“ und weiteren ersten Dateien des iranischen IT-Experten Sina L. bei BCKHOFF's legendärer Behörde gelandet. Wie das genau passierte?  Das liegt bis heute im Dunkeln. Sicher ist nur: P1 und P2,  beamtete nordrhein-westfälische Steuerfahnder aus Düsseldorf und Wuppertal, waren die Kontaktleute. Dazu kam P3, BECKHOFF selbst. Sieben mal trafen sich Umfogl und die drei P's in den nächsten eineinhalb Jahren. Zwei Mal in Düsseldorf. Das Air Berlin Ticket von Zürich her bezahlte die NRW-Kasse. Dann reisten die Ermittler dem Zwischenhändler Umfogl, der sich als M. Weber meldete und unter der Tarnung auch einen SMS-Austausch („Hallo Meister“) mit den Wuppertalern pflegte, bis an die Schweizer Grenze entgegen.

Treffs gab es in Villingen-Schwennigen, Meersburg und im Stuttgarter Hotel „Krone“. Ein Date - so geht es aus Umfogls elektronischem Terminkalender hervor, den die Schweizer Polizei auf seinem PC beschlagnahmen konnte - fand am 11. November 2009 in Kreuzlingen statt. Der Treffpunkt Kreuzlingen ist spannend.

Kreuzlingen (CH) - Konstanz (DE), Anklicken öffnet die Karte von googlemaps

Denn Kreuzlingen liegt in der Schweiz. In Düsseldorfer Parallel-Unterlagen, die sonst mit den der  Schweizer weitgehend übereinstimmen, steht hier abweichend das deutsche Konstanz. Die Städte sind geografisch Nachbarn am Westufer des Bodensees und ihre City-Bereiche nur durch einen Schlagbaum getrennt. Aber es macht einen gewaltigen Unterschied: Das Völkerrecht untersagt Polizisten Fahndungen auf dem Terrain anderer Staaten, wenn die nichts davon wissen. Steuerfahnder, die dienstlich ohne das Ja des Gastlandes die Grenze überschreiten? Dürften das gar nicht.

Es ist also nicht so, dass die NRW-Regierung einfach eine Silberscheibe von einem Trödler am Rheinufer angekauft hätte, wie eine Mitteilung des damaligen CDU-Finanzministers Helmut LINSSEN von März 2010 Glauben machen könnte. Das Gegenteil ist der Fall: Die Spürhunde aus Barmen haben immer wieder nachschnüffelt. Sie haben gedrängelt und massiv Druck gemacht.

Dass sie Probelieferungen verlangten? Geschenkt. Das gehört zum Geschäft. Auch der Staat muss sich ja sicher sein, dass er beim Handeln mit Hehlern nicht hereingelegt wird. Sie forderten den Vermittler Umfogl aber auch auf, die Kontoeröffnungsdaten der Steuersünder zu besorgen, um Verjährungen auszuschließen. Sie fanden es wichtig, aus den Bankunterlagen speziell die Angaben zu den „Typen der Panini-Bilder“ zu bekommen - was eine spannende Nebenspur aufdeckt: Haben Profis der deutschen Nationalelf illegale Konten in der Schweiz gehabt? BECKHOFF und seine beiden Kollegen waren aber vor allem an bankinternen Anweisungen der Credit Suisse an ihre Mitarbeiter interessiert, aus denen hervorgeht, wie die deutschen Kunden zu ködern sind. Diese Anweisungen sind eine Art Blaupause der Kreditinstitute für das Versteckspiel mit den schwarzen Milliarden. Das macht klar: NRW wollte für seinen Feldzug den gegnerischen Generalstabsplan.

Das Wuppertaler Fahnder-Trio hat das alles bekommen. UMFOGL, der von ihnen mit einzelnen Aufträgen versehene Zwischenhändler, bestellte beim Spion Sina L., setzte dafür Termine, der junge Iraner lieferte. Auch die drei Powerpoint-Präsentationen mit den Mitarbeiter-Anweisungen waren dabei. Am Ende bezahlte die NRW-Regierung 2,5 Millionen Euro für die vielfachen Informationen, überwiesen von einem Notar Armin L. aus dem niederrheinischen Goch. Der Notar schickte das Geld in drei Tranchen auf Konten UMFOLG's in Prag, im österreichischen Feldkirch und bei der badischen Sparkasse Hochrhein. Dabei machte er, im Nachhinein betrachtet, eine schwer wiegende Falschangabe. In die Feldkircher Überweisung, 893 660 Euro, schrieb er  eine brisante Herkunftsangabe, um die Geldquelle zu kaschieren: „Erbteilung gemäß Aufteilungsvereinbarung“, stand da.  Eine Erbschaft? So lügen nur Geheimdienste und Geldwäscher, wenn sie tarnen. Notare dürfen das nicht.

Angeworben beim Golf

Ein Einzelfall? Es gibt weitere. Der Deutsche Lutz OTTE ist ein stämmiger Typus, bärtig, geboren im bergischen Solingen. Er war nach einer Tätigkeit als selbständiger Unternehmer in Göttingen ziemlich blank und setzte sich in die Schweiz ab. Seit 2007 werkelte der IT-Experte für die Zürcher Bank UBS. In der Heimat ließ er sich lieber nicht blicken. Dort hatte er noch immense Steuerschulden, angeblich in Millionenhöhe. Irgendwann, so die Darstellung des Solingers, hat ihn an einem sonnigen Abend im Club am Zürichsee ein Golf-Freund angesprochen.

Wieder spielte ein seltener Zufall den Steuersünder-Jägern aus NRW in die Hände: Der Golfer-Kumpel war pensionierter deutscher Steuerfahnder mit Wohnsitz in Berlin. Ob er denn nicht mal die Daten...?  OTTE hörte zu - und verweigerte zunächst das freche Angebot mit dem Hinweis auf den hohen Sicherheitsstandard der UBS. Doch als OTTE später bei einer Kündigungswelle den Job verlor und in der konkurrierenden Bank Julius Bär anheuerte, nutzte der Freund aus Berlin hartnäckig die Chance zur zweiten Nachfrage. Jetzt nickte Lutz OTTE - und lieferte über seinen Ansprechpartner 1000 Kundendaten an die Oberfinanzdirektion Münster. Um den telefonischen Kontakt zu halten, fuhr der IT-Experte regelmäßig über die nördliche Staatsgrenze nach Deutschland. Die sprudelnde Datenquelle flog auf, als deutsche Bär-Kunden kurzfristig Besuch von der Steuerfahndung bekamen und sich darüber bei ihrer Zürcher Privatbank beschwerten. Die witterte Verrat in den eigenen Reihen und ließ Büros und Rechner fleddern.

OTTE's panische Absetzbewegung kam zu spät. An einem Morgen Mitte 2011 musste er zum Chef, wo sechs Schweizer Zivilpolizisten warteten. Abgeführt durch die Tiefgarage, Fahrt mit Blaulicht, die Verhöre - „das ganze Programm“ sei dann abgelaufen, erzählte er später der Wochjenzeitung DIE ZEIT: "Geld ist nie weg" (€ !).  Der Solinger gestand, wurde verurteilt und verbrachte ein Jahr in Schweizer Haft. Heute lebt er mit seiner Frau an der Ostsee und steht von der moralischen Seite her zu seiner Tat. Er hat einen Roman über seine Erlebnisse geschrieben, leicht verändert und mit einer knackigen, verkaufsfördernden Liebesgeschichte garniert. Der Titel aber klingt nach Hardware: „Schwarzgeld“ (siehe Foto).

Tod im Gefängnis

Lief die Kontaktaufnahme bei dem Österreicher Wolfgang UMFOGL, der Norbert WALTER-BORJANS Vorgänger LINSSEN das Daten-Paket der Credit Suisse verkauft hatte, vielleicht ähnlich? Wurde er von den Deutschen angesprochen? Oder hat er, umgekehrt und wie man in Düsseldorf Glauben machen will, die Deutschen angesprochen? Wir wissen: Umfogl kann dazu keine Interviews mehr geben. Er kann auch keine Bücher mehr schreiben. Er ist tot. 

Wenn man will, hat der damals 43-Jährige seine Festnahme in der Schweiz Anfang September 2010 dem von der NRW-Regierung beauftragten Notar zu verdanken und dessen falscher Herkunftsangabe („Erbteilung“) bei der Überweisung nach Feldkirch. Die Vorarlberger Bankmitarbeiter sind damals nämlich routinemäßig der Spur der vermeintlich toten Oma in Deutschland nachgegangen, um Geldwäsche auszuschließen. Schnell erkannten sie: Die Oma gab es nie. Unter dem Druck einer Geldwäsche-Anklage in der österreichischen Heimat legte der Mann aus dem Pitztal  eine nachgeschobene Erklärung der Oberfinanzdirektion Rheinland über die wahre Herkunft des Geldes vor, die deren damaliger Chef Ulrich MÜTING persönlich unterzeichnet hatte: Die 893 666 Euro dienten der „Begleichung einer vertraglichen Verpflichtung des Landes Nordrhein-Westfalen“.

Eine verräterische Formulierung. Die österreichischen Behörden, die vom Schweizer Wohnsitz des Österreichers wussten, brauchten nur wenig Phantasie, um das plötzliche Vermögen UMFOGL's mit dem Ankauf von Bankdaten zu erklären. Wiens Justizminister gab den heißen Tipp an den Kollegen in Bern. Für UMFOGLund Sina L. und auch dessen tschechische Freundin, die in Prag verhaftet wurde, war das Leben in Freiheit am gleichen Tag zu Ende. Bundesanwälte in Bern erhoben Anklage: Diebstahl, Geldwäsche, Wirtschaftsspionage. Eidgenossen nennen das: „Wirtschaftlicher Nachrichtendienst“.

Es ist der 29. September 2010. Die Frühschicht im Regionalgefängnis Bern kontrolliert die Zellen. Um 6.30 Uhr öffnen sie, weil sich kein Laut tut, UMFOGL's Tür. Sein Körper hängt leblos im Fernsehkabel. Die Obduktion ergibt: „Er hat sich das Leben genommen. Dritteinwirkung kann ausgeschlossen werden“. 

Er hat entscheidende Fragen mit ins Grab genommen. Ist der 16-seitige Ermittlungs-Report der Schweizer Bundesanwälte, der auch im Düsseldorfer Finanz- und im Berliner Bundesjustizministerium als Rechtshilfeersuchen vorliegt, richtig, dann hat der Inhaftierte eigentlich nicht an Selbstmord gedacht. Er wollte plaudern. „Wolfgang UMFOGL zeigte sich von Beginn an kooperativ“, schreiben die Berner Ankläger über dessen letzte Lebenstage. „Er machte Aussagen, bestätigte Indizien, schwieg aber bei Vorhalten bezüglich des Verkaufs von Bankdaten an Deutschland. Dies bezüglich verwies er immer wieder auf eine Schweigevereinbarung. Er ließ durchblicken, dass er nach Rücksprache mit einem neu zu bestellenden Rechtsanwalt bei Einvernahmen detaillierter aussagen werde“.

Die Fährten

Schweigevereinbarung? Wieso? Die Landesregierung in Düsseldorf räumte den Ankauf der Daten gerne offen ein. Sie wies auch alle Vorwürfe, der Kauf von gestohlener Daten sei unmoralisch, mit dem Hinweis auf die enormen Einnahmen für den Landeshaushalt zurück. Warum also sollte UmMFOGL schweigen? Doch tatsächlich haben die Landesregierungen von Anfang an alle operativen Details der erfolgreichen Käufe von Daten-CD's  vertraulich behandelt. Banken in Zürich und Basel und die Schweizer Bundesanwälte sollten nicht erfahren, wie Ankäufe ablaufen. Dennoch konnten die Eidgenossen bemerkenswert viel ermitteln. Wie machten sie das?

Sie haben mehrere Quellen genutzt. Die beschlagnahmten Dateien UMFOGL's in seinem Büro in Wil, den PC von L. in der Zürcher Bank und vor allem die Aussagen des Iraners nach seiner Festnahme haben ihr Bild schnell komplettiert. Ihnen kam aber auch ein ungeklärter Vorgang zu Gute. Irgendwann zwischen Ende 2010 und 2012 geriet ein geheimer Bericht des Düsseldorfer Generalstaatsanwalts mit den Treff-Orten und Treff-Zeiten der Wuppertaler Fahnder mit Vermittler UMFOGL und den gezielten Anfragen an ihn an die falsche Mailadresse - und wenig später auf den Schreibtisch des Schweizer Bundesanwalts Carlo BULETTI. Der erließ Haftbefehl gegen die jetzt namentlich bekannten Wuppertaler Finanzermittler wegen „Gehilfenschaft zum wirtschaftlichen Nachrichtendienst“, wie es im Schweizer Strafrecht heißt. Noch heute meidet der inzwischen pensionierte BECKHOFF die Schweiz.

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Dazwischen: Filigrane Ermittlerarbeit. Ihr ging 2013 ein „August König“ - so nennen ihn Schweizer Medien -  ins Netz, zumindest vorläufig. König ist nach Schweizer Ermittlungen jener Datendieb, dem die nordrhein-westfälischen Steuerbehörden im Jahr 2012 rund 3,5 Millionen Euro für eine Daten-CD der Zürcher Bank UBS gezahlt haben sollen. Sie enthielt Konten und Namen von 550 Anlegern und Dokumente von mehr als 770 Stiftungen - alles Grundlagen, um Steuerbetrüger an Rhein und Ruhr und darüber hinaus zu enttarnen. Ausgerechnet der deutsche Privatdetektiv Werner MAUSS, der Bundesregierungen über Jahrzehnte bei Auslandsoperationen gedient hatte, wurde zum Beifang der Aktion und ist deshalb vom Bochumer Landgericht zur Bewährungsstrafe verurteilt worden.

König ist ein Jahr nach seinem mutmaßlichen Deal mit der Wuppertaler Steuerfahndung in die Falle der Schweizer getappt. Speziell ausgebildete Forensiker waren dem UBS-Mitarbeiter in sechsmonatiger Arbeit auf die Schliche gekommen. Ihn verriet, dass er seine Informationen aus der bankinternen Abteilung „Trust and Foundation“ abgegriffen hatte - ein Bereich, der ihn eigentlich nichts anging. Die Durchsuchung seiner Basler Wohnung blieb ergebnislos. Dafür war der Blick der Fahnder in den Kofferraum von August Königs BMW ein Treffer. Dort fanden sie erste Hinweise, dass eine nordrhein-westfälische Bank große Summen auf ein Konto Königs bei der Filiale der Deutschen Bank in Palma de Mallorca überwiesen und dass König auf der spanischen Ferieninsel eine teure Immobilie beschafft hatte. 

Eine Bank aus NRW? Das elektrisierte die Schweizer Ermittler. Sie sahen sich im Verdacht bestätigt. Als sich ihr Mann am 17. September 2013 vom Flughafen Basel nach Palma absetzen wollte, klickten kurz vor dem Start der Maschine die Handschellen. Inzwischen hat er sich auf welchem Weg auch immer nach Deutschland absetzen können, das die Schweizer gerne den „großen Kanton“ nennen.  

Der perfekte Thriller

Wir schreiben 2017. Fast sieben Jahre schon bekriegen sich Schweizer und Deutsche. Irgendwie haben beide Parteien keine Lust mehr am Streit. Wenige Monate ist es her, da einigten sich die Regierungen in Bern und Berlin auf ein „No Spy-Abkommen“ - ein einstweiliger Verzicht auf Spionageoperationen.

Doch am 28. April des Jahres klopft es an der Tür eines Frankfurter Hotelzimmers, und ein blauägiger Mann wird von der deutschen Kripo abgeführt. Daniel M., Schweizer Staatsbürger, geboren im Kanton Solothurn und ehemaliger Polizist der Zürcher Kantonspolizei. Ab 2000 hat er für die Konzernsicherheit der Schweizer UBS-Bank gearbeitet und 2010 eine eigene Detektei eröffnet.

Daniel M. sorgte für die bisher letzten großen Schlagzeilen im mitteleuropäischen Krieg um Milliarden. Die deutsche Staatsanwaltschaft warf ihm vor, im Auftrag des Berner Geheimdienstes die Namen und Daten der drei NRW-Fahnder ausspioniert zu haben. Mehr noch: Über M. soll der Schweizer Geheimdienst irgendwann nach 2011 einen eigenen Maulwurf geworben haben, um die gegen die Schweiz gerichteten Aktivitäten rund um das Bürogebäude Unterdörnen 96 in Wuppertal (Publikumszeiten Mo, Di, Do und Fr von 12 -18 Uhr) und im NRW-Finanzapparat auszukundschaften. Ein V-Mann in der deutschen Steuerfahndung also? NRW-Finanzminister Norbert WALTER-BORJANS tobte in den Frühjahrstagen 2017: „Wenn Nachrichtendienste Spione beauftragen, in Deutschland Steuerfahnder zu bespitzeln, muss man sich doch fragen, in wessen Interesse sie handeln. Im Namen der Steuergerechtigkeit ja wohl kaum“.

Dieser Thriller hat die diversen Steuer-Coups perfekt gemacht. Der Krach flammte erneut auf. Und das Spiel wurde zum kompletten Verwirrstück. Denn M. soll zuvor deutsche Steuersünder an die bundesdeutschen Finanzbehörden verpfiffen und nach einer einschlägigen Verhaftung durch Schweizer Polizei spontan die Seite gewechselt haben. Top-Detektiv Werner MAUSS, selbst der Steuerhinterziehung angeklagt, soll das alles zunächst eingefädelt, dann aber die Vernehmungsunterlagen der Zürcher Ermittler an die Deutschen weitergegeben und so den M. in die Falle im Frankfurter Hotel geschickt haben. Kam er deswegen in seinem eigenen Bochumer Steuerprozess mit einer milden Strafe davon? Besonders erfolgreich war die Mission des eidgenössischen Agenten wohl nicht: Bis heute ist offen, ob es im Düsseldorfer Ministerium je einen V-Mann im Auftrag der Schweiz gegeben hat. Daniel M. erhielt eine Bewährungsstrafe.

Lutz OTTE, der für die NRW-Behörden wohl erfolgreicher als Daniel M. auf der Gegenseite spioniert hat, musste seine Arbeit für die deutsche Seite mit einem Jahr Haft büßen. Sina L. hat nach kurzem Aufenthalt im Gefängnis die Schweiz mit unbekanntem Ziel verlassen. Der "August KÖNIG" genannte Mann, dem Werner MAUSS seine Enttarnung als Steuersünder zu verdanken hat, konnte nach der Flucht nicht zur Familie in der Schweiz zurück, weil ihm die Festnahme drohte. Wolfgang UMFOGL aus dem Pitztal, der „M.Weber“ aus unserer Geschichte, hat die durchaus gut honorierte Arbeit für die Landesregierung am Rheinufer nicht überlebt. Ob seine Tiroler Eltern je ein Kondolenzschreiben der deutschen Auftraggeber bekommen haben, ist unbekannt. 

In Düsseldorf gab es nie Grund, in Fürsorge zu empfinden. Es ist nur ein kaltes Geschäft mit Hehlern und Datendieben. Ein Wirtschaftskrieg eben. Ob und wie die Jagd nach Daten-CD noch weiter geht oder nicht, ist unbekannt. Schweizer Banken mahnen heute ihre Kundschaft, Steuern auf die Einnahmen zu zahlen. Und die Nachfolger von Finanzminister Norbert WALTER-BORJANS sind nach den letzten Regierungswechseln in Nordrhein-Westfalen längst auf neuen Spuren unterwegs, außerhalb der Schweiz. Man interessiert sich nicht mehr für die illegale Geldanlage „kleinerer“ Sparer. Eine Ermittlungs-Untergrenze liegt jetzt bei 100 000 Euro. Man geht lieber gegen komplizierte, aber einträglichere Cum-Ex-Betrügereien vor oder die Dealer der Panama-Papers und überlässt, wie bei Cum Ex, die Fahndung der Staatsanwaltschaft in Köln.

Schade nur: Der Wuppertaler Steuerfahnder-Chef Peter BECKHOFF, der geniale, vielleicht skrupellose Fahnder mit dem langen braunen Ledermantel, wird wohl keine eigenen Memoiren mit spannenden Berichten von der vordersten Front schreiben. Er bleibt seinem Ruf auch als Pensionär treu. Sein Spitzname war „geheimer Eichkater".


Anmerkungen und Quellen

Diese Darstellung der Ereignisse beruht auf teilweise internen Dokumenten der Schweizer Bundesanwaltschaft und Vorarlberger Justizbehörden sowie Interviews mit Steuerexperten. Wir haben Aussagen von Angeklagten und Zeugen in Gerichtsverfahren der Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz verwertet und Berichte u.a. der Medien Rheinpfalz, Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) Essen, der Neuen Zürcher Zeitung und des Zürcher TagesAnzeigers. Ausgewertet wurde der Tatsachenroman „Schwarzgeld“ von Lutz OTTE(Edition Temmen, 2015) und sein „ZEIT“-Interview zum eigenen Fall. Mehrere Nachnamen sind im Text zum Schutz der Betroffenen abgekürzt wiedergegeben. Sie sind unserer Redaktion bekannt. Das gilt auch für die Klarnamen der Steuerfahnder P1 und P2.   

(DS)