Steuerflucht über den Wolken

Piloten oder Flugbegleiter können besonders leicht Steuern sparen. Wer seinen Wohnsitz in Deutschland abmeldet, muss nämlich nur versteuern, was er in Deutschland verdient. Und das sind bei fliegendem Personal nur die wenigen Flugstunden über deutschem Boden. Die Hauptsteuerlast fällt dann im gewählten Niedrigsteuerland an.

von Mona Bahnassawy, Thomas Reichart und Ulrich Stoll

Dubai, ein Traumziel für Urlauber: Für viele Piloten der Lufthansa ist Dubai auch noch eine Steueroase. Hunderte deutscher Piloten und Flugbegleiter wohnen angeblich am Golf, unerreichbar fürs Finanzamt. Ihre Spitzengehälter kassieren sie ohne Abzüge aus Deutschland.

Reinhard Kilmer von der Gewerkschaft ver.di und Steuerfahnder sagt dazu: "Bei Piloten scheint es sich offensichtlich herumgesprochen zu haben, dass man durch eine Scheinsitzverlegung des Wohnsitzes eine Menge Steuern sparen kann. Offensichtlich ist es wohl so, dass über den Wolken die Raffgier grenzenlos ist. Aus Bodennähe betrachtet, muss man allerdings sagen, dass sich hier um eine wirklich gut organisierte Steuerhinterziehung handelt. Und man kann auch sagen, es ist eine ziemliche Sauerei, was da abläuft."

Anonymer Hinweis

Der Trick ist einfach: Die Piloten verlegen ihren Wohnsitz zum Schein an Orte wie Dubai, Bangkok oder Nairobi. Jahrelang bleibt das unbemerkt. Doch dann bekommt die deutsche Steuergewerkschaft einen anonymen Hinweis.

Ein Mitarbeiter der Lufthansa verrät, wie seine Kollegen das Finanzamt austricksen: "Der Pilot (...) nimmt (...) sich einen Wohnsitz in einer Steueroase (gerne arabische Emirate). (...) So macht man aus 150.000 brutto 150.000 netto (...) So haben sich (...) Wohngemeinschaften in Dubai mit bis zu 70 Piloten gebildet. Die leben dort allerdings sehr beengt in einem Postfach."

Gier nach Geld

Seither sind Steuerfahnder bundesweit im Einsatz. Die Aachener Ermittler haben jetzt einen der Piloten aufgespürt, die sich in Deutschland verstecken.

Norbert Greß, Leiter der Steuerfahndung Aachen, erläutert das: "Die Gier nach Geld steht da im Vordergrund. Sie müssen sich vorstellen, dass der Fall, den wir hier aufgedeckt haben, rund 5000 bis 6000 Euro im Monat mehr verdient hat als er vorher verdient hat. Da macht man schon manches."

Formsache Umzug

Und so hat er getrickst: Der Pilot meldet seinen deutschen Wohnsitz ab, zieht offiziell nach Dubai, eine Formsache. In wenigen Minuten ist er so die Steuerpflicht fast vollständig los. Er verwischt alle Spuren seiner Existenz in Deutschland, meldet das Auto auf einen anderen Namen an. Sein Versteck in Deutschland ist eine Wohnung zur Untermiete, die das Finanzamt nur schwer entdecken kann. Doch die Steuerfahndung Aachen kam dem Piloten auf die Schliche.

Greß weiter: "Der hat sich so auch gut versteckt, dass er fast, aber eben nur fast, an alles gedacht hat. Der war sich eigentlich relativ sicher, dass wir ihn nicht erwischen würden, und hat ein sehr überraschtes Gesicht gemacht, als wir bei ihm geklingelt haben." Dank des vorgetäuschten Wohnsitzes im Ausland musste der Pilot nur noch seine Arbeitszeit in Deutschland versteuern - und das waren lediglich ein paar Minuten bei Start und Landung. Statt 6000 Euro pro Monat zahlte der Pilot zuletzt nur noch 35 Euro Steuern in Deutschland.

Ein Vorbild für viele seiner Kollegen: In Internetforen tauschen sie sich ganz offen über den Steuertrick aus. So fragt ein Pilot: "Ich habe von einem Steuermodell von Rechtsanwalt R. aus D. für Piloten/Flugbegleiter gehört. Stimmt es, dass ich dadurch steuerfrei werde?" Die Antwort: "Mache ich jetzt schon drei Jahre. Keine Steuer, kein Soli. Optimal."

Ralf Heinrichs, Webmaster von "Cockpitjobs.de", betreut das Internetforum, in dem diese Steuertipps kursieren. Er ist selbst Pilot und würde auch gern Steuern sparen: "Wenn das auf legalem Wege machbar ist, dann muss ich ganz ehrlich sagen, warum nicht? Es machen ja auch Großkonzerne in diesem Land, wenn das möglich ist, und jeder - ich sag' mal: kleine Mann - würde sich freuen, es so machen zu können."

Wir fragen ihn: "Haben Sie es sich denn auch überlegt, Sie sind ja auch Pilot?" Er sagt: "Ja, ich habe mir das natürlich überlegt. Ich habe auch mit dem Rechtsanwalt gesprochen und mir überlegt: Kann das für mich in Frage kommen?"

"Ohne Risiko und Kapitaleinsatz"

Für ihn nicht - Ralf Heinrichs fliegt zu wenig ins Ausland. Doch andere profitieren: Die Mitarbeiterin einer Anwaltskanzlei schreibt im Piloten-Forum: "Das Steuersparmodell meines Chefs befreit angestellte Piloten und Flugbegleiter ohne Risiko und Kapitaleinsatz innerhalb von drei Wochen von der Einkommenssteuer. Im Lufthansa-Konzern haben wir das schon tausendfach gemacht."

Jetzt durchsuchte die Steuerfahndung die Anwaltskanzlei, die angeblich Piloten beim Steuersparen in großem Stil hilft. Die Mandantenkartei, so hoffen die Fahnder, wird sie auf die Spur weiterer Steuerflüchtlinge führen.

Massenhafte Steuerflucht

Kilmer über die Dimensionen: "Man kann davon ausgehen, dass bei der Wohnsitzverlegung insgesamt nahezu 2000 Piloten von dieser Regelung betroffen sind. Bei dem Einkommen der Piloten kann man davon ausgehen, dass pro Pilot ein Steuerausfall festzustellen ist, der in etwa zwischen 30.000 und 50.000 Euro pro Jahr liegt."

Das wären bis zu 100 Millionen Euro Steuern, die die Piloten dem Staat vorenthalten. Wir fragen Markus Kirschneck von der Pilotenvereinigung Cockpit, was er von der massenhaften Steuerflucht hält: "Wir haben hier eine grundsätzliche Position. Die Steuer ist Privatsache, und das muss jeder Pilot mit sich selbst ausmachen, wie viel Risiken er bereit ist, bei der Steuererklärung einzugehen."

Tipps zum Steuersparen

Frontal21 fragt nach: "Warum gibt die Vereinigung Cockpit dann in ihrer Mitgliederzeitschrift selbst Tipps zum Steuersparen: Wie man also seinen Wohnsitz ins Ausland verlagert und dadurch Steuern umgeht?" Er antwortet: "Das macht die Vereinigung Cockpit nicht." Wir fragen weiter: "Sie haben das in einer Ausgabe Ihrer Mitgliederzeitschrift gemacht." Er erwidert: "Nein. Haben wir nicht." Darauf unser Reporter: "Ich kann die Ihnen gerne noch einmal vorlegen, 2002 war das." Kirschneck dazu: "Also, können wir mal kurz abbrechen ..."

Was der Verbandssprecher bestreitet: Ein Artikel in der eigenen Mitgliederzeitschrift gibt ausführlich Tipps zum Steuersparen: "Soll folglich das Ziel erreicht werden, sich der unbeschränkten Steuerpflicht zu entbinden, so ist die Aufgabe des Wohnsitzes erforderlich. (...) Postzustellung während der Zeit des Wohnsitzes im Ausland möglichst an einen neutralen Dritten (z.B. Rechtsanwalt, Steuerberater)."

Auf seinen Wunsch hin geben wir dem Piloten-Sprecher ein paar Tage später noch einmal Gelegenheit zur Stellungnahme. Wir fragen Kirschneck: "Ist es für Sie moralisch vertretbar, solche Hinweise zu geben, dass gut verdienende Piloten sich der Steuerpflicht in Deutschland entziehen?"

"Nichts Verwerfliches"

Er sagt dazu: "Wir geben diese Empfehlung doch nicht an die Leute ab. Wir erklären den Leuten, was sie tun müssen." Unser Reporter stellt klar: "Hinweise sagte ich." Kirschneck antwortet: "Wir erklären den Leuten, wir geben den Leuten Hinweise, wie sie ihre Steuererklärung (...), oder was sie bei der Steuererklärung zu berücksichtigen haben, wenn sie ihren Wohnsitz ins Ausland verlagern. Nicht mehr und nicht weniger."

Frontal21 darauf: "Sie helfen den Leuten damit, dass sie in Deutschland keine Steuern mehr zahlen." Kirschneck erwidert: "Wenn sie im Ausland ihre Steuern bezahlen, ist daran meines Erachtens auch nichts Verwerfliches."

Keine Einkommenssteuer

Doch viele Piloten nehmen ihren Wohnsitz nur zum Schein im Ausland. Und in Ländern wie Dubai wird überhaupt keine Einkommenssteuer erhoben. Die Piloten kassieren brutto für netto. Auf Kosten der Steuerzahler in Deutschland.