Ich zeigte meinen Gesprächspartnern die Internship-Stellenanzeigen, die ich aus dem Internet ausgedruckt hatte, und sagte, dass die Gehälter mir für einen Tierarzt mit Examen und Approbation sehr gering erschienen. Meine Gesprächspartner verteidigten die geringen Gehälter voller Überzeugung. Am Ende des Gesprächs forderten sie, den vollständigen Artikel vor der Veröffentlichung lesen zu können. Ich bot an, ihnen ihre Zitate oder auch die kompletten Passagen, in denen sie zitiert waren, vor der Veröffentlichung zur Autorisierung zu überlassen. Doch sie bestanden darauf, den vollständigen Artikel inklusive aller übrigen Passagen zu lesen. Sonst wären sie nicht damit einverstanden, in dem Artikel überhaupt vorzukommen. Ich brachte mein Bedauern darüber zum Ausdruck, dass ich das interessante Gespräch nicht in meinem Artikel würde berücksichtigen können, und musste darauf verzichten, die drei Hochschulvertreter zu zitieren.
Herrn Brunnbergs Gesprächsbereitschaft zeigte mir, dass offenbar in dieser Sache kein Konsens unter den Hochschulvertretern in der Veterinärmedizin herrscht. Manche Hochschulvertreter schildern offen ihre eigenen Zweifel an einem System, in dem der klinisch tätige Nachwuchs zu sittenwidrigen Bedingungen beschäftigt ist, während andere in dem Zusammenhang überhaupt nicht zitiert werden wollen und auch kein Bewusstsein dafür zeigen möchten, dass die Situation überhaupt als problematisch empfunden werden könnte.
Auch bei den Berufsverbänden – ich kontaktierte die Bundestierärztekammer und die Landestierärztekammer Hessen – stieß ich auf rege und offene Gesprächsbereitschaft. Die Gehaltssituation wurde als „drastisch“ und „katastrophal“ bezeichnet.
Als ich im Herbst 2009 acht Wochen des Volontariats im Ressort Wirtschaft der F.A.Z. verbrachte, bot ich das Thema „Tierärzte“ für die Beilage „Beruf und Chance“ an, für die ein Medizin-Special geplant war. Um einen erzählerischen Rahmen für die bisher gewonnenen Informationen zu schaffen, fuhr ich am ersten Studientag der Erstsemester im Fach Veterinärmedizin Anfang Oktober 2009 nach Gießen, wo eine der fünf veterinärmedizinischen Ausbildungsstätten in Deutschland angesiedelt ist.
Die Gespräche auf dem Campus ermöglichten es mir, die Vorstellungen und Ziele der Studienanfänger mit der schwierigen Situation approbierter Tierärzte, wie sie etwa in der Studie von Bettina Friedrich dargelegt ist, zu kontrastieren. Nach dem ersten Bericht, der am 17. Oktober unter dem Titel „Dann geht man eben nachts putzen“ im Ressort „Beruf und Chance“ der F.A.Z. erschien, schrieb ich einige Wochen später für den Rhein-Main-Teil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung noch eine ausführliche Reportage über den ersten Studientag der Veterinärmedizinstudenten in Gießen. Sie erschien am 7. Februar 2010 unter dem Titel „Traumberuf - komme, was wolle“.
Eine dritte Reportage entstand ein Jahr später als „Samstagsreportage“ für die Seite 3 des Politikteils der Zeitung. Sie erschien im November 2010 unter dem Titel „Ein Herz für Tierärzte“. Dabei konzentrierte ich mich vor allem auf die Gehälter und Arbeitsbedingungen angestellter Tierärzte in privaten Praxen und Kliniken und auf die Frage, wie sich eine solche Situation entwickeln konnte. Diesmal stellte ich auch ein Fallbeispiel in den Vordergrund: eine junge Tierärztin, die von ihrem Beruf desillusioniert ist und unter einem Pseudonym porträtiert wird.
Wieder waren mehrere Verbands- und Hochschulvertreter bereit, das System offen zu kritisieren. Sie fanden außerdem klare Worte dafür, dass Inhaber großer Praxen und Kliniken, die mit modernen Geräten und Technologien ausgestattet sind, damit durchaus zu Wohlstand kommen – ohne aber bereit zu sein, ihre Angestellten angemessen zu bezahlen. „Eine solche Situation kann entstehen, wenn es den Beschäftigten um die Tätigkeit selbst geht bis hin zur Selbstverleugnung“, sagte etwa Arwid Daugschies, der zu dem Zeitpunkt Dekan der Veterinärmedizinischen Fakultät in Leipzig gewesen ist. „Auf der anderen Seite ist bei den Arbeitgebern die Haltung entstanden, nur das Mindeste zu zahlen, was sie zahlen müssen. Die Verantwortung und die Solidarität untereinander fehlen.“
Der erste Artikel zum Thema, „Dann geht man eben nachts putzen“, der im F.A.Z.-Ressort Beruf und Chance erschienen ist, wurde auch online auf faz.net veröffentlicht. Dadurch erreichte er eine starke Verbreitung. Von der Sprecherin der Bundestierärztekammer erfuhr ich später, dass sie nach Erscheinen dieses ersten Artikels viele Anrufe von Eltern erhalten hat, deren Töchter Veterinärmedizin studieren wollten und die sich erkundigten, ob die Arbeitsbedingungen und Gehälter tatsächlich so schlecht seien wie in dem Artikel dargestellt. Typischerweise hätten die Eltern ungläubig gesagt, das könnten sie sich kaum vorstellen, schließlich würden angestellte Humanmediziner viel höhere Gehälter beziehen, selbst direkt nach dem Examen. Auch im Internetforum foren4vet.de, indem sich Studieninteressierte, Studenten und junge Tierärzte austauschten, wurde der Artikel mehrfach diskutiert. Mir war es zum einen wichtig, dass die Informationen aus dem Artikel genau diese Gruppe erreichten: Junge Leute, von denen sich vielleicht viele niemals für ein Veterinärmedizinstudium entscheiden würden, wenn sie von der Realität der Gehälter und der Problematik eines nicht existierenden Tarifvertrags erfahren.
Zum anderen war es mir ein Anliegen, auch für alle Außenstehenden über das Phänomen an sich zu berichten: darüber, wie ein Beruf sich im Zuge eines Generationswechsels entwickeln kann. In der Öffentlichkeit wird der Tierarztberuf noch immer als solide oder gar lukrativ wahrgenommen, befeuert von den Tierarztserien im Fernsehen und davon, dass die Tierärzte lange nach außen geschwiegen haben. Somit konnte ich auch eine Geschichte darüber erzählen, dass es Parallelwelten gibt – mitten in der Gesellschaft, im Arbeitsleben.