ABC der Trickserei – Arbeitgeberstrategien zur Umgehung des Mindestlohns

Seit dem 1. Januar 2015 gilt der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Nicht alle Arbeitgeber erhöhen den Lohn, sondern versuchen den Mindestlohn zu umgehen. Im folgenden ABC sind insgesamt zwölf Tricksereien aufgelistet. Dabei wird der jeweilige Trick erläutert und mit einem Beispiel veranschaulicht. Weiterhin werden beispielhaft Berufe bzw. Branchen genannt, in denen der Trick angewendet wird. Bei Umgehung des Mindestlohns droht dem Arbeitgeber unter anderem eine Geldbuße bis zu 500.000 Euro, den Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge und Nachforderungsansprüche der Sozialversicherungsträger.

Anrechnung/ Wegfall von Zuschlägen für Sonntags- Nacht- und Feiertagsarbeit und Urlaubs- und Weihnachtsgeld

Beschreibung

Die Zuschläge für die Arbeit an Sonntagen, Feiertagen oder während der Nacht werden nicht mehr bezahlt, um die gestiegenen Kosten beim Mindestlohn zu senken. Dies gilt auch für das Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Oder die Zahlungen werden auf den Grundlohn angerechnet, um auf den Mindestlohn zu kommen. Das Mindestlohngesetz sieht jedoch vor, dass Zuschläge für Überstunden, Sonn-, Feiertags- oder Nachtarbeit nicht berücksichtigt werden dürfen. Einmalzahlungen (z.B. Urlaubs-/Weihnachtsgeld) dürfen nur für den Fälligkeitszeitraum angerechnet werden. Das bedeutet, dass eine Einmalzahlung des Weihnachtsgeldes im Dezember nur auf den Mindestlohn im November angerechnet werden darf, da die Fälligkeiten der Mindestlohnzahlungen von Januar bis Oktober bereits abgelaufen sind.

Berufe/Branchen

  • Gaststätten
  • Hotels
  • Dienstleistungsfirmen
  • Tierpfleger
  • Bäcker

Beispiel

Ein Beispiel kommt aus der Systemgastronomie. Der Tarifvertrag zwischen dem Bundesverband der Systemgastronomie, der u.a. Mc Donald´s und Burger King vertritt, und der Gewerkschaft NGG wurde zum Jahresende 2014 gekündigt. Die Konzerne wollten aufgrund der Einführung des Mindestlohns Zuschläge wie das Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht weiter zahlen. Dies konnte durch Warnstreiks und Schlichtungsverfahren verhindert werden. Im neuen Tarifvertrag, der seit dem 01.01.2015 gültig ist, ist ein unterster Lohn von 8,51€ vereinbart und Urlaubs- und Weihnachtsgeld werden weiterhin gezahlt.


Aufstockung durch Sachzulagen

Beschreibung

Die Arbeitgeber stocken den bisherigen Lohn nicht auf den Mindestlohn auf, sondern zahlen die Differenz zum Mindestlohn in Naturalien. Diese können dann in dem Unternehmen eingelöst werden, wie beispielsweise Gutscheine für den Besuch des Solariums, der Sauna oder des Fitnessstudios oder auch die Mitnahme von liegen gebliebenen Broten. Das Bundesarbeitsministerium sieht dies jedoch als gesetzwidrig an, da der Mindestlohn so ausgelegt ist, dass der Lohn ausgezahlt wird.

Berufe/Branchen

  • Saunabetrieb

  • Fitnessstudio

  • Solarien

  • Bäckereien

  • Gastronomie

  • Kinobetreiber

Beispiel

Das Nürnberger Kino Cinecitta wollte den Mindestlohn nicht voll auszahlen. In einer Mail an die Angestellten informierten sie die Mitarbeiter, dass der zum Mindestlohn fehlende Betrag durch Gutschriften für Kinokarten und Gastronomie abgedeckt werde. Das Unternehmen ist jedoch zurückgerudert und erklärt, dass es sich hierbei nur um eine Idee gehandelt habe und der Lohn in voller Höhe ausgezahlt wird.


Beschäftigung von Minderjährigen

Beschreibung

Unternehmen fragen bei Ihren Angestellten an, ob in der Familie ein Minderjähriger ist, der den Arbeitsvertrag unterschreiben kann. Wer die tatsächliche Arbeit dann leistet, ist dem Unternehmen nicht wichtig. Grund hierfür ist, dass Personen unter 18 Jahren bei der Zahlung des Mindestlohns ausgeschlossen sind.

Berufe/Branchen

  • Zeitungsausträger

Beispiel

Die Vertriebsfirma Zustelldienst GmbH und Co. KG rief ihre Boten an und fragten, ob sie ein Kind hätten, das deren Vertrag übernehmen kann. Der Geschäftsführer der Firma, Klaus Heun, bestätigte diese Anrufe. Weiterhin verlegte die Wochenanzeiger SWA (Verlag und Zustellfirma sind rechtlich verbunden) ihr Erscheinungstermin auf samstags. Minderjährige dürfen an Sonntagen nicht arbeiten.


Beschäftigung von Praktikanten

Beschreibung

Arbeitsverhältnisse werden als Praktika ausgeschrieben, obwohl die Tätigkeiten dieser Position keine Lernverhältnisse beinhalten. Die Unternehmen legen die Positionen so aus, dass diese durchaus für die Aus- und Fortbildung wichtig sind. Für Praktika, die nicht länger als drei Monate dauern, muss ein Unternehmen keinen Mindestlohn zahlen.

Berufe/Branchen

  • Eventveranstaltungen

Beispiel

Die Berlinale setzte im Jahr 2015 Praktikanten anstatt den bisherigen Volonteers ein. Unter den 1300 Mitarbeitern waren insgesamt 120 Praktikanten, die gerade einmal einen Stundenlohn von 2,56 Euro erhalten haben. Der Einsatz der Praktikanten ist legal, da die Jobs als interessante Möglichkeit für die Aus- und Fortbildung von Studenten gesehen werden. Bewerben durften sich nur Studenten, deren Studium ein Pflichtpraktikum in der Studienordnung vorsieht. Dadurch gilt die Beschäftigung offiziell als Lehr- und Lernstunden.


Beschäftigung von Schwarzarbeit

Beschreibung

Seit Einführung des Mindestlohns, nimmt die Beschäftigung von Schwarzarbeit zu. Bei Schwarzarbeit zahlen Arbeitgeber und Beschäftigte weder Steuern noch Sozialabgaben. Hierbei gibt es mehrere Methoden. Die Arbeitszeit eines Angestellten wird nicht korrekt dokumentiert und dadurch kann ein Teil des Lohns schwarz ausbezahlt werden. Oder anders herum: die Arbeitszeit wird richtig dokumentiert, der Chef überweist den zustehenden Mindestlohn, aber der Angestellte muss dem Chef in bar einen Teil zurückzahlen.

Berufe/Branchen

  • Bauwirtschaft

  • Pflegebereich

  • Gaststätten

  • Hotels

  • Landwirtschaft

  • Dienstleistungen im Haushalt

  • Hafen

  • Speditionen

Beispiel

Eine Prognose des Tübinger Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung und der Universität Linz zeigt, dass die Schwarzarbeit nicht weiter zurückgeht, obwohl die Lage auf dem Arbeitsmarkt und die robuste Konjunktur für einen Rückgang sorgen müssten. Diese Entwicklung ist durch den Mindestlohn bedingt.


Bezahlung nach Stückpreis

Beschreibung

Anstatt einen Stundenlohn zu zahlen, wird ein Stücklohn vereinbart. Dabei richtet sich der Lohn an konkreten und messbaren Ergebnissen der Arbeit. Beispielsweise wird pro zugestellter Zeitung bezahlt. Für die zu leistende Arbeit wird eine Zeitvorgabe angesetzt, die den Mindestlohn entspricht. Jedoch kann die zu leistende Arbeit kaum in der vorgegebenen Zeit geschafft werden. Eine Bezahlung nach Stückpreis ist gesetzlich erlaubt, jedoch muss sichergestellt sein, dass für die geleisteten Stunden der Mindestlohn gezahlt wird.

Berufe/Branchen

  • Zeitungsausträger

  • Paketzusteller

  • Zimmermädchen

  • Putzfrauen

  • Herstellung von Produkten

  • Baugewerbe

Beispiel

Der rumänische Bauarbeiter Marius Ionescu kam mit einem Kleinbus nach Deutschland. Beschäftigt werden sollte er bei einem Subunternehmer, der Bau- und Fleischbetriebe mit ausländischen Billigkräften versorgt. Die Tätigkeit von Ionescu bestand in der Reparatur von Europaletten, für die er einen Lohn von 25 Cent pro Europalette bekommen sollte. Er schaffte an seinem ersten Tag insgesamt 34 Paletten, das macht einen Lohn von insgesamt 8,50 Euro. Für die Paletten brauchte er acht Stunden, das macht einen Stundenlohn von gerade einmal einem Euro. Bezahlt bekommen hat er nicht einmal die 8,50 Euro, da es laut dem Unternehmen nur ein Probetag gewesen sei. Auf die Frage, warum Marius Ionescu für so wenig Lohn nach Deutschland kommt, antwortet er, dass der Verdienst immer noch höher als in Rumänien ist. Mit dem Gehalt möchte er ein Haus in Rumänien bauen.


Klauseln im Arbeitsvertrag,

die unwirksam sein können:

Derer gibt es eine ganze Menge. Sie können entweder unwirksam sein oder auch den gesamten Arbeitsvertrag außer Kraft setzen. Vorausgesetzt, man akzeptiert sie nicht und geht gegen sie vor.

Der Verband der Rechtsjournalisten e.V. hat dazu ein kostenloses eBook herausgegeben, in dem z.B. 8 solcher unwirksamen Klauseln vorgestellt sind und wie man sich dagegen effektiv wehren kann: Ratgeber: unwirksame Klauseln im Arbeitsvertrag.


Streichung von Urlaubstagen

Beschreibung

Die Arbeitgeber reduzieren die Urlaubstage auf das gesetzlich vorgeschriebene Minimum. Durch die Kürzung wollen die Arbeitgeber die erhöhten Kosten kompensieren.

Berufe/Branchen

  • Viele

Streichung von Trinkgeldern

Beschreibung

Der Zusatzverdienst durch Trinkgelder wird nun auf den Lohn angerechnet, um so auf den Mindestlohn aufzustocken. Dabei werden alle Trinkgelder in einem Topf gesammelt. Von diesem Trinkgeld wird die Mehrbelastung durch den Mindestlohn finanziert. Die Anrechnung des Trinkgelds auf den Mindestlohn ist gesetzlich nicht erlaubt, da es sich um freiwillige Leistungen von Gästen bzw. Kunden handelt.

Berufe/Branchen

  • Gastronomie

  • Auslieferungsfahrer

  • Friseure

Teilzeitarbeit statt Vollzeitstelle

Beschreibung

Arbeitgeber lassen ihre Angestellten neue Verträge für Teilzeitstellen unterschreiben. Sie erhalten hierfür auch einen Lohn, der den Mindestlohn entspricht. Jedoch arbeiten die Angestellten weiterhin Vollzeit, die Überstunden werden schwarz bezahlt oder durch Freizeit ausgeglichen.

Berufe/Branchen

  • Friseure

Beispiel

In Friseurbetrieben gab es erste Versuche, die Vollzeitstellen in Teilzeitstellen umzuwandeln. Dabei ist die Reduzierung der Stundenanzahl nur formal auf dem Papier vorhanden, die Angestellten sollten trotzdem Vollzeit arbeiten.


Unbezahlte Bereitschaft

Beschreibung

In den Zeiten, in denen keine Arbeit geleistet wird, wird auch kein Lohn bezahlt. Davon betroffen sind unter anderem Rufbereitschaften, Standzeiten und Bereitschaftszeiten. Das bedeutet, dass ein Arbeitnehmer keinen Lohn erhält, wenn er beispielsweise auf einen Kunden oder zu Hause auf einen Einsatz wartet. Er wird nur für die tatsächlich geleistete Arbeit bezahlt. Ob die Umwandlung des Vertrags von Arbeit in Bereitschaft rechtens ist, muss im Einzelfall geprüft werden. Das Mindestlohn-Gesetzt geht nicht auf Bereitschaftszeiten ein.

Berufe/Branchen

  • Taxifahrer

  • Speditionen

  • Veranstaltungsfirmen

  • Gastronomie

Beispiel

Die Firma eventteam legte ihren Mitarbeitern einen geänderten Vertrag vor, der einen Stundenlohn von 8.50 Euro plus Urlaubsgelt enthält. Jedoch wird zwischen der echten Arbeitszeit und der Bereitschaft unterschieden. Das bedeutet, dass jemand, der 15 Minuten nicht gearbeitet hat, für diese Zeit nicht bezahlt wird, da dies als Bereitschaftszeit zählt. Um das zu vereinfachen wird vertraglich festgehalten, dass 40 Prozent bei einem Einsatz als Bereitschaft verbucht wird.


Unbezahlte Überstunden

Beschreibung

Arbeitnehmer haben zwar in ihrem Arbeitsvertrag einen Stundenlohn, der mindestens dem Mindestlohn entspricht. Jedoch bezieht sich die Berechnung des Stundenlohns auf die wöchentliche Stundenanzahl, die im Vertrag festgelegt ist. In der Realität arbeiten die Angestellten länger, ohne diese Überstunden zu dokumentieren und bezahlt zu bekommen.

Berufe/Branchen

  • Reinigungskräfte

  • Zimmermädchen

  • Baugewerbe

  • Paketzusteller

  • Gastronomie

  • und viele mehr

Beispiel

Ein ehemaliger Koch im Hotel Adlon berichtet, dass er laut Vertrag sogar einen Stundenlohn erhielt, der über dem Mindestlohn liegt, nämlich 11,11 Euro. Der Berechnung liegt aber eine 38-Stunden-Woche zugrunde. Laut Angaben des Kochs arbeitete er mindestens 60 Stunden in der Woche, manchmal sogar 70 Stunden. Diese Überstunden wurden nicht dokumentiert und daher auch nicht bezahlt. Das bedeutet, dass der Stundenlohn bei 60 Stunden in der Woche bei etwa sieben Euro und bei 70 Stunden in der Woche bei etwa sechs Euro liegt. Der Koch habe sich sogar einmal beschwert und seine Überstunden dokumentiert. Als Antwort erhielt er, dass es völlig normal sei, Überstunden zu leisten, die nicht aufgeschrieben werden. Heute arbeitet der Koch nicht mehr im Adlon.


Wechsel in die Scheinselbst- ständigkeit

Beschreibung

Unternehmen lösen die bestehenden Arbeitsverhältnisse auf und stellen die Personen wieder als Selbstständige in dem Unternehmen ein. Da die Person jedoch weiterhin nur für das Unternehmen tätig ist, handelt es sich um eine sogenannte Scheinselbstständigkeit. Für Selbstständige greift der Mindestlohn nicht

Berufe/Branchen

  • Taxi

  • Baugewerbe

  • Friseure

  • Kellner

  • Paketzusteller

  • Reinigungskräfte

Beispiel

Die Industrie- und Handelskammer in Leipzig registriert einen Anstieg der Anträge für die Prüfung für selbstständige Taxi- und LKW-Fahrer.