Die Sanktionsregelungen innerhalb der Jobcenter werden verschärft - bundesweit und auch in Hamburg. Nach dem neuen Fortentwicklungsgesetz soll jeder Antrag auf Hartz IV ab sofort auf Leistungsmissbrauch untersucht werden, um herauszufinden, ob die Antragssteller, widerrechtlich Geld erhalten.
Gesetzliche Grundlage ist das vom Bundestag
- kurz vor der Sommerpause und
- wieder in großer Eile
verabschiedete „Hartz IV – Fortentwicklungsgesetz“.
Neben den verschärften Sanktionen wird die eigene Altersvorsorge (z.B. Lebensversicherungen) etwas besser berücksichtigt: Für jedes Lebensjahr dürfen Arbeitslose 250 € ansetzen, die die Jobcenter nicht in die Leistungsbemessung mit einrechnen müssen. Maximal aber nur 16.250 Euro, die ungeschoren bleiben. Beim sonstigen Vermögen (z.B. Erspartes) wird der Satz von 200 auf 150 € pro Lebensjahr reduziert – der maximale Freibetrag, der nicht angetastet werden muss, beträgt nun 13.000 Euro.
Auch dieses Gesetz wird im Eiltempo durch den Bundestag gejagt – die Abgeordneten wollen schließlich pünktlich in ihren Urlaub. Dabei passiert eine Panne: Bei der Neufassung des „Schonvermögens“, zu dem auch der geringfügig erhöhte Freibetrag (von 150 auf 200 Euro) bei der Altersvorsorge gehört, hat man vergessen, klarzustellen, dass dies nur gilt, wenn vertraglich ausgeschlossen ist, dass die Ersparnisse vor Rentenbeginn verwertet werden können. Jetzt würde der Gesetzestext bedeuten, dass Hartz IV-Empfänger ihre Lebensversicherung kündigen müssten.
Die Bundesregierung zeigt sich, angesprochen auf diesen Fehler, generös: Sie will die neue Rechtslage vorerst nicht anwenden – solange bis die Panne ausgebügelt ist.
Für die Jobcenter-Mitarbeiter stehen von nun an Zahlen im Vordergrund der Arbeit:
Je mehr Sanktionen ein Mitarbeiter im Jobcenter tätigt, desto mehr Geld wird eingespart und die „Sanktionsquote“ wird erfüllt. Eine „Sanktionsquote“ für die Mitarbeiter, also vorgegebene Sollzahlen, die intern erfüllt werden sollen, gibt es – nach außen hin und offiziell – natürlich nicht. De facto wohl, wie Inge HANNEMANN in einem Interview mit uns berichtet.
Die Verschärfungen der Sanktionsregelungen sind Auslöser für HANNEMANN‘s inneren Widerstand gegen das Hartz IV-System. Das Versäumen von sog. Meldeterminen wird bei den U25 (Unter 25-Jährige) als auch bei den Ü25 (Über 25-Jährige) mit jeweils 10% sanktioniert. Dieses kann sogar kumuliert werden.
Es gibt bei den Erwachsenen über 25 Jahren (Ü25) drei Sanktionsstufen:
- Stufe 1: Die erste Pflichtverletzung, zum Beispiel Nichtbewerben auf eine vorgeschlagene Arbeitsstelle: Hierbei wird das Arbeitslosengeld II um 30 Prozent gemindert.
- Stufe 2: Bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung wird das Arbeitslosengeld II um 60 Prozent gemindert.
- Stufe 3: Bei jeder weiteren Pflichtverletzung kommt es zu einem kompletten Wegfall der Leistungen – die Vollsanktion tritt in Kraft.
Wenn die Jobcenter-Mitarbeiter sanktionieren, um die interne Quote zu erfüllen, denken die meisten allerdings nicht über die Gründe des Nichterscheinens der „Kunden“ nach, obwohl diese in den Regelungen der Sanktionsbestände festgelegt sind und nach Vorgehensmustern überprüft werden sollten. Laut HANNEMANN können einige "Kunden" beispielsweise nicht zu ihren Terminen erscheinen, weil sie psychisch oder physisch nicht in der Lage sind das Haus zu verlassen. In diesen Fällen sollte man ihrer Meinung nach nicht sanktionieren.
Und dies sind die Gründe, weshalb „Kunden“ die vorgeschriebenen Termine nicht wahrnehmen. Beziehungsweise so sieht die Statistik von Inge HANNEMANN aus:
In 50% der Fälle sehen die „Kunden“ keinen Sinn darin – sie sind bereits desillusioniert
In 40% der Fälle sind die „Kunden“ krank, konkret leiden sie an Depressionen und trauen sich teilweise. sogar nicht mehr aus dem Haus
10% der Betroffenen wollen oder können sich die Fahrtkosten zum Jobcenter nicht mehr leisten
Hier findet sich eine Übersicht von Tatbeständen, die eine Sanktion auslösen können. Es ist ein internes Dokument der Arbeitsverwaltung, als Leitfaden für die Jobcenter-Mitarbeiter gedacht. Die BILD-Zeitung wird das Dokument später als "Geheimpapier" bezeichnen: