Die Gesundheitsreform 2004

Zum 1.1.2004 trat das „Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung – GKV-Modernisierungsgesetz (GMG)“ in Kraft. Dabei handelt es sich um die derzeit letzte Reform im Gesundheitswesen – einem gesetzlich geregelten System, das im Prinzip vor dem totalen Zusammenbruch gestanden hätte, wenn die Politik seit vielen Jahren nicht immer wieder kleinere Reförmchen, d.h. Rettungsversuche in letzter Sekunde unternommen hätte. Eine wirkliche umfassende Reform, die die vielen Übel tief an den Wurzeln erfassen würde, hat es in den deutschen Sozialversicherungssystemen (Gesetzliche Krankenkasse, Rente, Pflegeversicherung) bisher nicht gegeben. So sind auch die letzten gesetzlichen Veränderungen nur als kleine Schritte zu bezeichnen.

Nach dem GKV-Modernisierungsgesetz können die Krankenkassen allerdings jetzt Leistungs- und Abrechnungsdaten der Ärzte für ihre Patienten mit den eigenen Informationen aus der Mitglieder- bzw. Beitragszahlerdatei zusammenführen. Damit ist für sie jetzt im Zweifelsfall nachvollziehbar, welche Beitragszahler bzw. welche Krankenkassenmitglieder bei Arztbesuchen welche Art Kosten in welcher Höhe verursacht haben (sollen). Bisher war dies aus Datenschutzgründen nicht möglich.

So kritisierte der Bundesbeauftragte für Datenschutz Peter Schaar im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt, dass die Abrechnungen auch in pseudonymisierter Form hätten überprüft werden können, um eventuelle Betrugsfälle durch Ärzte aufzudecken. Immerhin habe sein Amtsvorgänger Dr. Joachim Jacob aber zwei Dinge durchsetzen können: Erstens eine strenge Zweckbindung; die Krankenkassen dürfen die Daten nicht sektorenübergreifend zu einer Gesundheitsakte des Versicherten zusammenführen und nur für Abrechnungs- und Prüfzwecke nutzen, was durch technische und organisatorische Maßnahmen sichergestellt werden müsse. Ob das auf Dauer trage, sei eine andere Frage. Zweitens habe Jacob durchgesetzt, dass das gesamte Modell einer Evaluation unterzogen werde. Diese Evaluationsphase läuft bis 2008.

Dem Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V. (FoeBuD) genügten diese Einschränkungen allerdings nicht: Für das durch Pseudonymisierung vermeidbare große datenschutzrechtliche Risiko, das durch die Reform entsteht, verlieh FoeBuD Gesundheitsministerin Ulla Schmidt den Negativpreis „Big Brother Award“. Die Laudatio finden Sie hier.

Allerdings reklamiert man auf Seite der Krankenkassen, dass überhaupt kein wirkliches Interesse bestünde, angeblich „teure Versicherte“ auszusortieren, da diese de facto keine zusätzlichen Kosten verursachten. Die Krankenkassen zahlten nach wie vor der Reform nämlich Beträge an die KVen, die sich nach ihrer Mitgliederzahl richten, nicht etwa nach der Zahl der vorgenommenen Behandlungen. Diese Summe wird anschließend von den KVen an die Ärzte ausgeschüttet. Dabei erhalten diejenigen Ärzte einen größeren Anteil, die mehr Behandlungen als ihre Kollegen vorgenommen bzw. abgerechnet haben – entsprechend gehen aber die Einnahmen der Ärzte mit weniger Behandlungen zurück. 

Ein weiterer Effekt dieses Abrechnungsmodells ist übrigens, dass es für die Einnahmen eines Arztes völlig unerheblich ist, wenn durch die Einführung der Praxisgebühr weniger Patienten in seine Praxis kommen. So rechnet die gesamte Ärzteschaft nun zwar weniger Behandlungen ab, erhält dafür aber insgesamt die gleiche Summe wie zuvor. Da der Rückgang der Arztbesuche sich gleichmäßig auf alle Praxen verteilt, bleibt also auch der prozentuale Anteil des einzelnen Arztes an der von den Krankenkassen an die KVen gezahlten, unveränderten Gesamtsumme unverändert.

Aus dem gleichen Grund verursacht der Abrechnungsbetrug mit Toten übrigens keinen finanziellen Schaden auf Seiten der Krankenkassen oder Versicherten. Die Geprellten sind vielmehr die ehrlichen Ärzte, da sich ihr Anteil am Kuchen der KK-Zahlungen durch fingierte Abrechnungen ihrer Kollegen verringert.

Höhere Kosten für einzelne Versicherte auf Seiten der Krankenkassen ergeben sich hingegen durch die bereits vor der Reform transparenten weil personenbezogen abgerechneten (und weitaus teureren) stationären Behandlungen und Arzneimittel, die also schon von jeher einen „gläsernen Patienten“ zur Folge hatten und es den Krankenkassen theoretisch ermöglichten „teure Versicherte“ zu ermitteln.

Wie auch immer: Im Fall des GKV-Modernisierungsgesetzes standen ‚Mehr Transparenz und weniger Betrugsmöglichkeiten’ - und dadurch weniger notwendige Beitragserhöhungssätze - in unmittelbarer Konkurrenz zum individuellen Datenschutz bei den Gesetzlichen Krankenkassen. Wer sich privat krankenversichern lässt und Arztrechnungen über die private Krankenversicherung abrechnet, gibt bei Einreichen der Rechnungen ebenfalls alle Daten bekannt. 

Insofern ist es ein ganz natürlicher Vorgang, dass derjenige, der letztlich zahlt, weiß, wofür er bezahlt. Das ist bei den gesetzlichen Krankenkassen seit 2004 jetzt auch der Fall. Dazu hat nicht zuletzt die panorama – Berichterstattung und die dadurch ausgelösten öffentlichen Kontroversen beigetragen.

 

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