Süddeutschen Zeitung 2014/2015, 11.02.2014

von Bastian OBERMAYER, Uwe RITZER

Ihr mich auch

Der ADAC, wie er sinkt und kracht: Der Rücktritt des Präsidenten nach fast 13 Jahren gerät furios – und die restliche Clubführung reagiert eiskalt. Es sind noch zu viele Rechnungen offen 

München – Am Ende war es nicht der Druck von außen, dem der Präsident sich beugte. Es waren die internen Angriffe. Am Ende entschied sich Peter Meyer, 64, der den Allgemeinen Deutschen Automobilclub (ADAC) fast 13 Jahre führte, dann doch für den Rücktritt – also für die Lösung, die er zuvor wochenlang ausgeschlossen hatte. Noch am Sonntag war sein letztes Interview erschienen, in der FAS, in dem er so zitiert wird: „Ausbüxen ist aus meiner Sicht das falsche Signal.“ 
  Aber von ausbüxen kann auch keine Rede sein. Meyer stiehlt sich nicht davon. Er teilt hingegen noch mal richtig aus. In einer Stellungnahme am Montag schreibt er: „Wenn die Gremien in Krisen eine Gefolgschaft nicht leisten, kann es keine strukturellen und unternehmenskulturellen Veränderungen im ADAC geben.“ Er wolle „nicht länger alleine verantwortlich gemacht werden“ für „Fehler und Manipulationen von hauptamtlichen Führungskräften“, die er, Meyer, ja nicht begangenen habe. Noch im Abgang des Präsidenten präsentiert sich die Führung des ADAC als recht unvergleichliche Chaostruppe. 
  Im Präsidentenbrief heißt es, er habe diese Entscheidung „allein und sorgfältig überlegt“ getroffen. Tatsächlich hat Meyer auf ein verlorenes Gefecht innerhalb der Führungsgremien reagiert. 
  Nachdem am Montagvormittag Einzelheiten aus dem Bericht der externen Prüfer der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte zur Manipulation des Autopreises „Gelber Engel“ intern bekannt geworden waren, formten sich Präsidiumsmitglieder und Funktionäre der Regionalclubs gegen Peter Meyer. Erstmals waren sie in der Mehrheit, und sie waren entschlossen: Ein Suspendierungsantrag sollte her. Damit war der Sturz des Präsidenten beschlossen. Meyer wurde das schnell zugetragen. 
  Seine Gegner hatten angenommen, Meyer werde still akzeptieren, in Ornat und Würde sozusagen. Falsch gelegen. 
  Meyer wollte sich nicht für alle opfern. Wenn er gehen müsse, dann müssten alle aus dem Präsidium mitgehen, das ist seine Sicht der Dinge, die er in einem internen Brief an die anderen ADAC-Führungsleute mitteilt, den Meyer am Montagmittag zeitgleich mit seiner Pressemitteilung verschickte. Er schreibt in diesem internen Brief, er habe „eine gesamtverantwortliche Reaktion und Demission des Präsidiums“ gewollt. Dahinter steht die Sicht, er alleine habe keinen Fehler gemacht, allenfalls die gesamte Führung. Die Sicht der anderen: Meyer steht am Abgrund, er weiß, dass er fällt und versucht, so viele wie möglich mitzureißen. Aus dem Führungsstreit ist längst ein Machtkampf geworden, aus dem nun Meyer als vorerst alleiniger Verlierer hervorgeht. 
  Den Rücktritt hatte er über das Wochenende vorbereitet, Punkt 12.30 Uhr verschickte er vom Büro des ADAC-Regionalclubs Nordrhein, bei dem er nach wie vor als Vorsitzender fungiert, was er zu sagen hatte. Das alleine ist schon ein massiver Affront gegen die Geschäftsführung in der Münchner ADAC-Zentrale, die von dem Rücktritt kalt erwischt wurde. Hochrangige Mitarbeiter stürmten dort perplex aus ihren Büros, um sich die Nachricht auf dem Gang zuzurufen. 
  Aber wie hätte Peter Meyer sich auch halten sollen? Seit fast vier Wochen ist jeder Tag Krisentag, und ausgerechnet der Präsident hatte sich erst versteckt und dann Durchhalteparolen ausgegeben. Gleichzeitig wurden immer mehr Ungeheuerlichkeiten bekannt. Nur zum Beispiel dieser Montag, der Tag des Rücktritts. 
  Gerade mal sechs Stunden war der Tag alt, als im Morgenmagazin von ARD und ZDF über fragwürdige ADAC-Winterreifentests gemutmaßt wurde. Und es wurde ein Videoschnipsel mit einem Satz eingespielt, den Meyer in der Sendung Günther Jauchs gesagt hatte: Der ADAC profitiere nicht von dem Prämien-Vorteilsprogramm, die er seinen Mitgliedern gewähre. Dieser Satz war – wie so vieles zuvor, was in den vergangenen Wochen aus dem ADAC an Beteuerungen herauspurzelte – nachweislich falsch. Und so wäre auch dieser Tag weitergegangen. Wenn nicht Meyer selbst die Agenda verändert hätte. 
  Intern wurde Meyer zum Verhängnis, dass der geschasste Medienchef Michael Ramstetter als „sein Mann“ galt – der sich nicht dem Geschäftsführer Karl Obermair fügen musste, sondern nur ihm. „Ramstetter konnte tun und lassen, was er wollte, weil er sicher war im Schatten der Macht“, erklärt ein Insider. Diese Sicherheit – das ist mittlerweile ADAC-intern die Sicht – war der Nährboden, auf dem die Manipulationen beim „Gelben Engel“ derartig gedeihen konnten.   
  In dem Bericht der externen Prüfer ist das ganze Desaster der einst glanzvollen Autoauszeichnung festgehalten: Die veröffentlichten Stimmzahlen der Publikumsabstimmung 2014 waren frei erfunden, auch die Reihenfolge wurde manipuliert, wie die SZ bereits berichtet hatte. Es gebe zudem klare Hinweise, dass auch in den Vorjahren betrogen worden war. 
  Gegen Michael Ramstetter werden derzeit rechtliche Schritte vorbereitet. Ihm, der bislang noch immer angestellt ist, soll fristlos gekündigt werden. „Das Ausmaß dessen, was ihm zur Last gelegt wird, reicht dafür leicht“, sagt einer aus dem Innersten der ADAC-Macht. Zudem seien Juristen beauftragt, Schadenersatzansprüche gegen Ramstetter zu überprüfen. 
  Nach Ramstetter fordert die ADAC-Krise nun also ihr zweites Opfer. 
  Peter Meyer wird nicht nur als der Präsident in die Vereinsgeschichte eingehen, unter dem der ADAC von Rekord zu Rekord eilte, was Mitglieder, Umsätze oder Tochtergesellschaften angeht. Sondern auch als derjenige, unter dem der Verein in seine größte Krise rutschte. Es übernimmt kommissarisch Meyers bisheriger Vize August Markl, Chef des Regionalclubs Südbayern. Die Pressemitteilung des ADAC zum Abgang seines Präsidenten enthält übrigens nicht ein einziges Wort des Dankes. 
  Man nehme, teilt der ADAC mit, die Amtsniederlegung seines Präsidenten „zur Kenntnis“.