Süddeutschen Zeitung 2014/2015, 01.07.2014

von Bastian OBERMAYER, Uwe RITZER

Nur nicht festlegen

Problemfall ADAC: Der Ruf ist ramponiert, doch die Geschäfte laufen prächtig, der Reformwille droht nun zu erlahmen. 
Ein halbes Jahr nach dem Skandal um die Manipulationen beim Gelben Engel ist völlig unklar, wohin die Reise geht 

München – Der ADAC verkauft keine Kindersitze mehr, weil er auch Kindersitze testet und neutral sein will. Seine 18 Gaue tauft er nun auch offiziell in „Regionalklubs“ um, weil das moderner klingt. Neue Mitglieder sollen nicht mehr so aggressiv geworben werden wie bisher; Jugendliche in Discos zum Beispiel sind für die Akquise neuerdings tabu. 
  War es das schon? War das der „tiefgreifende Reformprozess“, den Europas größter Automobilklub seit dem Skandal um die manipulierte Wahl zum „Lieblingsauto der Deutschen“ gebetsmühlenartig verspricht? 
  Nein, nein, versichert ADAC-Interimspräsident August Markl, da komme schon noch einiges. Zum Beispiel mehr Demokratie im Verein ADAC, und im Konzern ADAC eine zeitgemäße Führungs- und Compliance-Struktur. Wie das alles genau aussehen wird, das müsse man aber erst noch sehen. Bis zur außerordentlichen Hauptversammlung im Dezember in München werde das Reformpaket geschnürt, an dem derzeit „mehr als 100 ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter und externe Spezialisten arbeiten“ (Markl). Ach ja, vom Ziel des ungebremsten Mitgliederwachstums habe man sich schon verabschiedet. 
  So blieb vieles im Ungefähren, bei der Bilanzpressekonferenz des ADAC an diesem Montag in München. Was Markl und die Topmanager des ADAC dort vortrugen nährt allerdings Zweifel, ob der Reformwille in eigener Sache tatsächlich so groß ist, wie die ADAC-Protagonisten behaupten. Entflechtung von Verein und Konzern? Mehr innere Demokratie? Das eigene Geschäftsgebaren? Alle 360 ADAC-Produkte stünden auf dem Prüfstand, sagt Markl. Alles weitere werde man sehen. 
  Dabei ist es schon ein halbes Jahr her, dass die Manipulationen bei der Autowahl „Gelber Engel“ und anschließend viele weitere Fragwürdigkeiten und Peinlichkeiten öffentlich wurden. Sie entfalteten einen Sog, in dem mit Präsident Peter Meyer, Geschäftsführer Karl Obermair und Kommunikationschef Michael Ramstetter die drei mächtigsten ADAC-Manager aus den Ämtern gefegt wurden. Es ging um Gelbe Engel, die havarierten Autofahrern nicht nur helfen, sondern ihnen auch möglichst viele Batterien verkaufen. Um Präsidiumsmitglieder, die in Rettungshubschraubern zu Terminen schwebten. Um Interessenskollisionen bei Vertragsanwälten und unterjochte Vertragspartner. 
  Vor allem aber sind es Geschichten über Selbstherrlichkeiten und Selbstbedienungsmentalität von Funktionären, sowie die Profitgier eines zum Konzern mutierten Vereins. Dessen Mitglieder halten trotzdem treu zum ADAC, es kommen sogar viele neue hinzu. 320 000 haben seit Jahresbeginn der Verfehlungen wegen gekündigt. Doch da fast genauso viele Menschen eingetreten sind, stagniert die Zahl der Mitglieder bei etwa 18,93 Millionen. Macht gut eine Milliarde Euro pro Jahr an Beitragseinnahmen. Davon wurden für die Unfall- und Pannenhilfe lediglich 270 Millionen Euro gebraucht. 4,1 Millionen Mal rückten die Pannenhelfer 2013 aus, knapp 51 000 mal stiegen Rettungshubschrauber und 14 000 mal Ambulanzflugzeuge auf. 
  Jenseits aller Hilfsdienste laufen die Geschäfte des ADAC so prächtig wie eh und je. Der Konzern mit seinen 44 Tochterfirmen erwirtschaftete 2013 knapp 1,1 Milliarden Euro Umsatz. Nichts deutet daraufhin, dass es 2014 nennenswert weniger wird. Der ADAC ist nach wie vor Deutschlands zweitgrößter Rechtsschutzversicherer und Marktführer im Auslandskrankenschutz. Auch Kreditkarten, Darlehen und Kfz-Finanzierungen verkaufen sich bestens. Die Skandale und Skandälchen mögen den Ruf des ADAC als gesellschaftliche Instanz schwer ramponiert haben, doch seinen Geschäften scheinen sie kaum zu schaden. Was die Frage aufwirft, wie viel Reformdruck im Kessel ist, wenn doch wirtschaftlich alles läuft wie gehabt. 
  „Offensichtlich fehlt der Wille, wirkliche Änderungen durchzuführen“, sagt der ADAC-Kritiker Ferdinand Dudenhöffer, Auto-Professor an der Uni Duisburg-Essen. „Man spielt mehr als sechs Monate nach den großen Skandalen und Enthüllung der Betrügereien weiter auf Zeitgewinn und lässt das Thema Reform scheinbar versanden.“  
  Baustellen gibt es zuhauf: Das Registergericht hinterfragt den Vereinsstatus. Die Finanzbehörden erwägen Nachforderungen von 150 bis 200 Millionen Euro an Umsatz- und Versicherungssteuer. Mit Ex-Kommunikationschef Ramstetter, dem mutmaßlichen Verantwortlichen für die Autowahl-Manipulation, droht ein schmutziger öffentlicher Prozess – der ADAC hat ihn gerade auf Schadenersatz verklagt. 
  Die Reform, wie immer sie ausfällt, kostet viel Geld. Wie viel will beim ADAC niemand sagen. Nach SZ-Informationen ist es ein stattlicher einstelliger Millionenbetrag. Auch intern muss etwas geschehen, denn die Stimmung unter den Mitarbeitern ist schlecht. In einer internen Befragung unter mehr als 5000 Teilnehmern werden als die drei wichtigsten Themen genannt: „Ehrlichkeit der internen Informationen“, „Führungsverhalten im ADAC“ und „Transparenz nach außen“. 
  Überall scheint noch Luft nach oben.