Süddeutschen Zeitung 2014/2015, 05.02.2014

von Bastian OBERMAYER, Uwe RITZER

Runde Sache

Der ADAC soll auch bei Reifentests getrickst haben. 
Die Hersteller haben offenbar davon profitiert 

München – Ein Reifen ist ein Reifen, man sieht ihm nicht an, was er kann. Trägt er durch die steile Kurve? Rutscht er bei Nässe? Der normale Verbraucher kann nicht erkennen, ob ein Reifen etwas taugt oder nicht. Reifen schauen im Grunde alle gleich aus, sie haben dieselbe Form, ähnliche Profile, ähnliche Farben. Kein Mensch kauft einen Reifen, weil er schön ist, oder modisch. Entscheidend sind allein Funktionalität und Tauglichkeit. Also verlässt sich der Kunde viel häufiger als etwa beim Autokauf auf das Urteil von Experten und deren Testergebnisse. Umgekehrt bedeutet dies für die Hersteller: Die Tests sind für ihr Geschäft unglaublich wichtig. Ein „sehr gut“ als ADAC-Urteil, das hört man aus der Branche, ist nahezu die Garantie für ausverkaufte Baureihen. 
  Nun gerät, wie an so vielen Stellen in diesen Wochen, die Glaubwürdigkeit des ADAC auch beim sensiblen Thema Reifen ins Wanken. Ein Insider dieser Branche behauptet, auch hier werde getrickst. Der Insider, es handelt sich um einen ehemaligen hochrangigen Mitarbeiter eines Reifenherstellers, offenbarte sich der WDR-Sendung Sendezeit. Auch der Süddeutschen Zeitung liegt seine Aussage an Eides Statt vor. 
  Der Mann schildert ein mit den Kriterien neutraler Tests schwer vereinbares Vorgehen. Sobald der ADAC entschieden habe, welches Reifenmodell er prüfen will (es werden immer nur ausgewählte Größen getestet), wo er diese Reifen testen möchte und unter welchen Bedingungen, erfahren nach Angaben des Insiders die großen Herstellerfirmen davon; zumindest die, mit denen der ADAC in gutem Einvernehmen stünde. Woraufhin die Hersteller ihre Techniker an genau an jenes Reifenmodell setzen. 
  Mit enormem Aufwand, so behauptet der Insider, würden die Pneus verbessert und speziell für die jeweiligen Testbedingungen präpariert. Mit dem eigentlichen Serienmodell hätten diese Reifen dann nur mehr wenig zu tun. Anschließend, so der Insider weiter, würden die Herstellerfirmen diese besonderen Reifen an jene Verkaufsstellen liefern, bei denen der ADAC seine Testreifen kauft. Welche dies seien, hätten die Hersteller ebenfalls vorab erfahren. So sei die Chance groß, für ihre Reifen besonders gute ADAC-Bewertungen zu bekommen – und in der Folgezeit dementsprechend hohe Abverkäufe. Und das, obwohl die Serienreifen nicht zwangsläufig jene speziell aufgebesserten Eigenschaften aufweisen, die beim Test zugrunde lagen. 
  Sollte sich das bewahrheiten wären die Reifentests eine Farce. Ein klassischer Fall von Kundentäuschung. 
  Der ADAC bestreitet die Anschuldigungen des Insiders vehement. Es gäbe verschiedene Stufen der Qualitätssicherung, erklärt ein Sprecher, so würden dreimal bei verschiedenen Händlern Reifen geordert, um zu verhindern, dass man auf Spezialanfertigungen treffe. Zuletzt kaufe man kurz vor der Veröffentlichung des Tests noch einmal nach, um Manipulationen vorzubeugen. Es sei hochgradig unwahrscheinlich, dass ein Hersteller all dies erfahre, und dann auch noch seine Produktion daraufhin umstelle. 
  Was der ADAC einräumt, ist, dass die Hersteller über das sogenannte Testdesign informiert sind. Wie die nächsten Reifentests aussähen, würde nicht vom ADAC allein entschieden, sondern von allen Kooperationspartnern im Testkonsortium“, per „Mehrheitsbeschluss“. Darunter eben auch: die Hersteller. Allerdings erführen die Hersteller genau nicht, für welche genaue Reifengröße man sich entscheide, insofern sei auch an dieser Stelle „Manipulation ausgeschlossen“, erklärt ein Sprecher des ADAC. 
  Aber nicht nur die Reifentests setzen dem ADAC weiter zu. Am Mittwochabend wurden im ARD-Politmagazin Report Mainz auch Vorwürfe anderer Art publik. Danach hat der ADAC bei seinem Versuch, in der Türkei ein weiteres Standbein zu gründen, vor allem eines hinterlassen: Millionenschulden. Der ADAC hatte 2008 eine Tochterfirma in der Türkei gegründet und über externe Dienstleiter eine eigene Flotte mit Pannenhelfern aufgebaut. Die Idee war, türkische Autofahrer langfristig für einen eigenen türkischen Automobilklub zu gewinnen, einen ADAC Türkei sozusagen. Allerdings blieb es bei der Idee: Im Jahr 2010 ging die türkische Tochterfirma pleite. Die ADAC-Partner gerieten in Existenznot. Eine Reihe von ihnen behauptet nun Report Mainz zufolge, ihnen seien über Monate Rechnungen nicht mehr bezahlt worden. Etwa zehn Millionen Euro sollen offen sein. 
  Besondere Brisanz erhält die Sache, weil der ohnehin angeschlagene ADAC-Präsident Peter Meyer persönlich involviert gewesen, oder zumindest seit Jahren Bescheid gewusst haben soll. Meyer soll die Türkei-Expansion mit betrieben haben. Report Mainz liegt ein Brief vor, den Meyer 2011 an die türkische Botschaft schrieb. Darin bestreitet er nicht, dass es offene Forderungen gebe, gleichzeitig gibt er an, er sehe „keinen Weg zu einer Regulierung der Verbindlichkeiten.“ Außerdem seien türkische Mitarbeiter mitverantwortlich für die finanziellen Probleme. Der ADAC lässt dazu erklären: „Wir bedauern..., dass türkische Unternehmen aufgrund der Insolvenz der ADAC Service A. S. Forderungsausfälle zu beklagen haben“. Die Vorwürfe würden derzeit von „unabhängigen, externen Prüfern untersucht und aufgeklärt.“