Trierischer Volksfreund, 26.01.2008

von Christiane WOLFF

"Ganz gewaltige Geschichte"

Die Betrugs-Affäre in der Handwerkskammer (HWK) Trier hat offenbar weit größere Ausmaße als bisher angenommen. Ein Abteilungsleiter soll Fördergeldstellen um eine sechsstellige Summe betrogen haben. Persönlich bereichert habe sich der Mitarbeiter dadurch nicht, gab die Kammer an. Wohin das zu Unrecht erhaltene Geld geflossen ist, dazu wollte die HWK gestern allerdings keine Angaben machen. 

Sechsstelligen Subventionsbetrug warf Rechtsanwalt Ingo Becker gestern dem ehemaligen Leiter des HWK-Umweltzentrums (UWZ) bei einem Termin vor dem Trierer Arbeitsgericht vor. Der Abteilungsleiter soll Projektkosten durch gefälschte Abrechnungen in die Höhe getrieben haben, um mehr Fördergelder von öffentlichen Stellen, zum Beispiel dem Bundesumweltministerium, zu erhalten.

Für diese Praxis gebe es „unzählige Beispiele“, erklärte HWK-Anwalt Becker wörtlich. So habe der fristlos entlassene Abteilungsleiter bei einem Projekt mit tatsächlich abrechnungsfähigen Kosten von 83000 Euro den Subventionsstellen 160000 Euro gemeldet. Dazu soll der UWZ-Leiter Stundenzettel gefälscht haben. Zum Beispiel habe er für Mitarbeiter Arbeitszeiten im förderfähigen Gegenwert von 9000 Euro, 12000 Euro und 50000 Euro angesetzt, obwohl diese, so Becker, „keinen Handschlag dafür getan“ hätten. Bis zu 75 Prozent der so aufgeblähten Projektkosten wurden aus Steuermitteln gefördert.

Richter ordnet Erscheinen an

Täglich kämen bei der derzeitigen Revision in der HWK weitere Beispiele für den Betrug ans Tageslicht, sagte HWK-Anwalt Becker. „Das ist eine ganz gewaltige Geschichte.“ Die HWK-Spitze habe den Abrechnungsbetrug erst mit Beginn der internen Revision Ende November entdeckt, erklärte Becker vor Gericht.

Wolfgang Braun ist Rechtsanwalt des ehemaligen UWZ-Leiters. Dieser klagt gegen seine fristlose Kündigung, war aber zum Gerichtstermin nicht erschienen. Braun wollte sich nicht zu den Vorwürfen äußern. Sein Mandant befinde sich außerhalb Triers. Offenbar war der seit Mitte Oktober krank geschriebene Kaufmann bislang weder für die HWK noch für seinen Rechtsanwalt zu sprechen.

Dem Antrag der HWK, den Arbeitsgerichtsprozess so lange auszusetzen, bis die Ermittlungsergebnisse des bei der Staatsanwaltschaft Koblenz anhängigen Strafprozesses gegen den UWZ-Leiter vorlägen, stimmte Braun nicht zu. Für den nächsten Verhandlungstermin Anfang April ordnete Richter Karl-Heinz Radünzel das persönliche Erscheinen des ehemaligen UWZ-Leiters an.

Kein Hinweis auf persönliche Bereicherung

„Die Gründe für das Verhalten unseres ehemaligen Abteilungsleiters sind uns unerklärlich – vielleicht war es übertriebene Geltungssucht, vielleicht, um das UWZ weiter als Top-Abteilung der HWK erscheinen lassen zu wollen“, mutmaßte Becker. Hinweise darauf, dass sich der ehemalige UWZ-Leiter persönlich bereichert haben könnte, gebe es laut HWK-Anwalt nicht.

Offen bleibt, ob das zu Unrecht abgerechnete Geld in die Kasse des Umweltzentrums und damit der Kammer geflossen ist. Warum die augenscheinlich große Differenz zwischen den tatsächlich ausgezahlten Honorar- beziehungsweise Personalkosten und den eingeworbenen Fördergeldern über Monate und Jahre nicht der Rechnungsstelle der Kammer aufgefallen ist, dazu äußerte sich die HWK-Spitze am Freitag auf Anfrage des Volksfreunds nicht. Man wolle sich während der laufenden staatsanwaltlichen Ermittlungen nicht „an öffentlichen Spekulationen beteiligen“, teilte HWK-Präsident Rudi Müller mit.

Die Staatsanwaltschaft hatte sich eingeschaltet, als im November vergangenen Jahres massive Unregelmäßigkeiten im Umweltzentrum der HWK bekannt geworden waren. Unter anderem soll ein für die Weiterbildungskurse zuständiger Mitarbeiter zusammen mit zwei Dozenten die Kammer um 16400 Euro betrogen und in die eigene Tasche umgeleitet haben. Auch dieser Mitarbeiter klagt gegen seine fristlose Kündigung. Begründung: Der UWZ-Chef sei in den Betrug eingeweiht gewesen (der TV berichtete).

Weiter waren dubiose Werkverträge, eklatante Missstände bei der Qualität der Weiterbildung und Hinweise auf unzulässige Provisionszahlungen ans Licht gekommen.