Vage Hinweise
„Da ist einiges faul“, hörte ich aus meinem Bekanntenkreis im Sommer 2007 regelmäßig, sobald das Gespräch auf die Trierer Handwerkskammer kam. Massive Missstände bei den Weiterbildungskursen in der Kammer-Prestigeabteilung "Umweltzentrum" sollte es geben. Außerdem dubiose Dienstleistungsverträge und Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung von Arbeitsstunden.
Meine journalistische Neugier war geweckt. Doch welche Bedeutung war den teils vagen, aber bedeutungschwangeren Äußerungen ehemaliger fester und freier Mitarbeiter und studentischer Hilfskräfte beizumessen? Wie viel Wahres war daran und wie viel entsprang möglicherweise persönlichen Animositäten?
Nachhaken: Stich in ein Wespennest
Ich hörte mich bei den Teilnehmern des angeblich betroffenen Weiterbildungskursus um – und stach in ein Wespennest: Etliche Ingenieure und Handwerker machten ihrem Ärger Luft und erzählten
- von massivem Unterrichtsausfall
- unfähigen Dozenten
- falschen Lehrplänen
- und dass sie mit falschen Versprechungen zur Teilnahme am mehr als 1000 Euro teuren Kursus verleitet wurden.
Erste Gegenreaktionen
Einer erzählte aber auch der Leitung des Umweltzentrums (UWZ) von meinen Recherchen – worauf diese den Kursteilnehmern nahe legte, sich nicht gegenüber der Presse zu äußern. Man setze schließlich auf gute Zusammenarbeit, und die Kursteilnehmer seien doch sicherlich daran interessiert, dass das UWZ die Adressen der angehenden Energieberater an potenzielle Kunden weiterreiche.
Unter Druck setzte die Kammer aber nicht nur ihre Kursteilnehmer, sondern auch mich: Mehrmals legte mir der damalige UWZ-Leiter, den meine Recherchen wenige Wochen später den Job kosten sollten, eindringlich nahe, die Beschwerden der Kursteilnehmer nicht zu veröffentlichen. Auch der Hauptgeschäftsführer der Kammer – ein mächtiger und damals gesellschaftlich höchst angesehener Mann in Trier – erklärte mir, welch „schweren Schaden“ eine Berichterstattung der Kammer zufügen würde, zumal es sich um „Interna“ handele, verschuldet durch einen einzigen Mitarbeiter des UWZ. Mit der fristlosen Entlassung dieses schwarzen Schafs sei die Sache erledigt. Der Ruf der Kammer dürfe nicht grundlos beschädigt werden, schließlich habe man mehr als 700 Mitgliedsbetriebe.
Bauernopfer oder mehr?
Dass der Hauptgeschäftsführer selbst mehr als ein Jahr später wegen den immer größer werdenden Ausmaßen der Affäre vom Kammer-Vorstand suspendiert werden würde, ahnte er zu diesem Zeitpunkt wohl nicht.
Denn die Missstände in den Weiterbildungskursen waren nur die Spitze des Eisbergs. Immer neue Tiefen des Sumpfs taten sich auf: Der fristlos entlassene Mitarbeiter hatte mit zwei Dozenten gemeinsame Sache gemacht und Honorar-Abrechnungen aufgeplustert. Die Dozenten, beide freiberufliche Ingenieure, hatten den größten Teil der Unterschlagungen an den Mitarbeiter zurückgezahlt – offenbar in der Hoffnung, dafür von diesem mit Aufträgen für ihre Ingenieur-Büros belohnt zu werden. Beweise für die Berichte mehrerer interner Quellen hatte ich bis dato allerdings nicht.
Schreibbeginn erst nach 3 Monaten
Erst der Arbeitsgerichtsprozess, den der entlassene Mitarbeiter gegen die HWK angestrengt hatte, bestätigte meine Informationen. Ich konnte mit dem Schreiben loslegen. Am 20. November 2007 - mehr als drei Monaten nach Beginn meiner Recherchen - erschien der erste Artikel im Trierischen Volksfreund: „Luftrechnungen im Umweltzentrum“. Mehr als zwei Dutzend weitere folgten in den nächsten 12 Monaten.
Kettenreaktionen: immer mehr Belege
Der erste Bericht löste eine wahre Informationsflut aus, die meinen Schreibtisch mit Briefen und Notizen überschwemmte: Anonyme und nicht-anonyme Schreiben und Anrufe enttäuschter HWK-Kunden, von Kammer-Mitgliedsbetrieben und ehemaligen Mitarbeitern prasselten auf mich ein. Die Akte füllte sich, die Arbeitstage wurden lang und länger. Teils erwiesen sich die Anschuldigungen als nicht überprüfbar, teils klangen sie unseriös.
Es gab aber auch handfeste Beweise: Zum Beispiel ein Original-Exemplar der dubiosen Dienstleistungsverträge, von denen mir mehrfach mündlich berichtet worden war. Außerdem Stundenzettel, die darauf hinwiesen, dass im Umweltzentrum die Kosten-Volumen öffentlich geförderter Projekte aufgebläht wurden, um höhere Fördergeld-Prozentsätze akquirieren zu können.
Protokolle aus Sitzungen der Führungskräfte der Kammer spielte mir ein ehemaliger Mitarbeiter zu. Sie zeigten, dass Handwerkskammer-Mitarbeiter für die Akquise öffentlicher Gelder zusätzliche Provisionen zum Gehalt erhielten. Ein Original-Brief des HWK-Hauptgeschäftsführers an einen Handwerksmeister machte deutlich, dass Mitarbeiter offenbar dazu aufgefordert wurden, Stundenzettel über nicht geleistete Arbeit auszufüllen, um so Projekt-Volumina in die Höhe zu treiben. Auch die Existenz fragwürdiger Werksverträge mit einer Unternehmensberaterin musste die HWK-Spitze einräumen.