Financial Times Deutschland, 20.11.2002

von Sonia SHINDE

Zahnärzte betrügen Kassen um Millionen

Die Wuppertaler Staatsanwaltschaft ist einem millionenschweren Abrechnungsskandal um Billig-Zahnimplantate auf der Spur. Nach Erkenntnissen von Krankenkassen sollen rund 900 Zahnärzte aus ganz Deutschland ihren Patienten jahrelang Prothesen eingesetzt haben, die in China gefertigt wurden. Den Kassen stellten sie jedoch den fünfmal höheren Preis eines deutschen Implantats in Rechnung. Der Schaden beläuft sich laut Allgemeiner Ortskrankenkasse (AOK) auf mindestens 50 Mio. Euro.

Im Mittelpunkt der Betrügereien soll nach Unterlagen, die der Financial Times Deutschland vorliegen, die Mülheimer Firma Globudent/O-Dent-O-Dentalhandelsgesellschaft gestanden haben. Deren Mitarbeiter sollen die Prothesen angeboten, die Zahnärzte zum Mitmachen bewegt und einen Teil der Gewinne diskret und in bar an die Mediziner geschickt haben.

Die Ermittlungen leitet der Wuppertaler Staatsanwalt Herbert Mühlhausen, der bereits den Herzklappen- Skandal aufdeckte, bei dem Chirurgen die Kassen 1994 mit überteuerten Herzklappen um Millionenbeträge geprellt hatten. Für heute hat die Staatsanwaltschaft nach einer offenbar beabsichtigten Durchsuchung eine Pressekonferenz angesetzt.

Nach Aussage eines Zahnarztes setzte Globudent für die erste Kontaktaufnahme eine Blondine ein, die das Angebot anpries. Sie habe vorgefühlt, ob Interesse besteht. Dann habe ein Regionalleiter den Deal abgeschlossen. Den Ärzten winkte dabei zwischen einem Drittel und einem Fünftel der gefälschten Rechnungssumme als "Rückvergütung". Nach den bislang bekannt gewordenen Informationen soll das Unternehmen aus Mülheim an der Ruhr frisierte Rechnungen ausgestellt haben. Danach seien Prothesen in China bestellt und an einen Kooperationspartner in Hongkong geliefert worden, der sie weiter nach Deutschland versendete. Überwiesen die Krankenkassen das Honorar, ging der Anteil für die Laborarbeiten angeblich in voller Höhe an Globudent.

Etwa 900 Euro berechnen Labore im Schnitt für einen in Deutschland gefertigten Zahnersatz. Rund 180 Euro soll das Mülheimer Unternehmen seinen chinesischen Vertragspartnern gezahlt haben. So blieben pro Gebiss rund 720 Euro Profit, an dem die Ärzte beteiligt wurden.

Aussagen von Zahnärzten zufolge packte der Globudent-Regionalleiter Axel C. das Geld in Briefumschläge, kündigte den kooperierenden Medizinern per Telefon den Geldeingang an und gab die Umschläge ohne Absender bei verschiedenen Postämtern ab. Geschätzten Kunden soll er das Geld auch schon mal persönlich ins Behandlungszimmer gebracht haben.

Globudent habe mit dieser Masche "Jahr für Jahr Millionengewinne" gemacht, sagt Peter Scherler, Leiter der AOK-Task-Force für Abrechnungsbetrug in Niedersachsen. Allein in diesem Bundesland hat die AOK in den vergangenen zwölf Monaten mehr als drei Dutzend betrügerische Zahnärzte hochgehen lassen. "Im Moment habe ich fast jeden Tag einen neuen Fall von ausländischem Zahnersatz mit frisierten deutschen Rechnungen auf dem Tisch", sagte Scherler.

Den ersten Hinweis auf die unsauberen Geschäfte erhielt er vor 14 Monaten nach einer anonymen Anzeige gegen drei Zahnärzte in Bremen. Bei den Ermittlungen stieß der AOK-Experte auf das Firmengeflecht des Globudent-Geschäftsführers John M. und "irgendwann packten einige Zahnärzte aus", so Scherler.

Die Duisburger Staatsanwaltschaft ermittelt unter Aktenzeichen 142JS251/01 gegen Globudent-Regionalleiter Axel C. "Ich halte es aber für ausgeschlossen, dass ein Regionalleiter diese Geschäfte ohne das Wissen der Geschäftsführung betrieben hat", sagte Scherler. "Es geht hier nicht um ein paar Tausend Euro, sondern um Millionen."

Nach den Erkenntnissen der AOK flog C. regelmäßig zu den Geschäftspartnern nach Hongkong, um Geld zu holen - bei jedem Besuch zwischen 300 000 und 400 000 Euro in bar. Der Stapel Scheine, etwa doppelt so dick wie ein Taschenbuch, passte problemlos ins Handgepäck. Schon seit zehn Jahren, so vermuten die AOK-Experten, laufen die Geschäfte der Globudent-Zentrale in Mühlheim wie geschmiert.