Frontal21, 19.10.2004

von Herbert KLAR

Betrug am Patienten

Die Machenschaften der Zahngold-Mafia

In deutschen Zahnarztpraxen und Laboren werden Jahr für Jahr Tonnen von Zahngold verarbeitet. Goldkronen werden eingesetzt, alte gegen neue ersetzt. Für Zahnärzte, Labore und Edelmetallhändler ist das ein glänzendes Zusatz-Geschäft.

Alltag in jeder Zahnarztpraxis: Neue Goldkronen werden geschliffen und eingesetzt - die alten bleiben zurück. Hält sich der Zahnarzt ans Gesetz, schweißt er die alten Goldzähne ein und gibt sie dem Patienten zurück. So verfährt auch Zahnarzt Jens Fritz. Häufig aber flattern ihm dubiose Angebote von Goldhändlern ins Haus. Sie bieten einen schnellen, illegalen Nebenverdienst an.

"Es ist teilweise schon sehr suspekt. Es sind verschiedene Firmen - ich denke, bestimmt zehn Firmen - die bei uns nachfragen. Wir lehnen das immer wieder ab, denn dort wird auch Bargeld angeboten. Und das erscheint mir nicht seriös", meint Fritz.

Es geht um viel Geld

Mehr noch - es ist kriminell. Es geht um sehr viel Geld. Um jährlich 300 bis 500 Millionen Euro. So viel ist das in Deutschland gesammelte alte Zahngold wert. Wer es verscherbeln will, findet leicht Abnehmer. Immer mehr Goldfirmen versprechen in Fachzeitschriften: "Bargeld sofort", "Bargeld oder Scheck", "Absolute Diskretion".

Wir besorgen uns ein Pfund üblicher Zahngoldreste und nehmen Kontakt mit Zahngoldhändlern auf. Einer von ihnen ist Ulrich G.. Wir haben gehört, dass er illegale Geschäfte machen soll. In einem Hotel verabreden wir ein Treffen, drehen mit versteckter Kamera. Wir zeigen ihm unsere 500 Gramm Altgold und warten auf sein Angebot.

G. kommt schnell zur Sache und erzählt, dass er mit einem renommierten deutschen Unternehmen zusammen arbeite: "Ich habe eine Firma in Deutschland und eine in Luxemburg", erzählt uns Ulrich G. "Das Gold schmelzen wir in Pforzheim ein - bei der Firma Wieland. Wir treffen uns da, dann können Sie selbst kontrollieren, wenn das Gold gewogen wird. Dann wird es eingeschmolzen und zwei Wochen später bekommen sie Ihr Geld - bar natürlich. Die Abrechnung machen wir über meine Firma in Luxemburg. Das ist doch auch in Ihrem Sinn."

"Ein unsittliches Angebot"

Aber nicht im Sinne des Finanzamtes oder des Gesetzes. Reinhard Kilmer ist Steuerfahnder. Er sagt: "Ein solches Angebot ist eindeutig ein unsittliches Angebot. Denn es ist völlig klar: Hier sollen Schwarzgeschäfte an der Steuer vorbei getätigt werden."

Wieland in Pforzheim ist eine der größten und bekanntesten Edelmetall-Firmen in Deutschland. Ist ein weltbekanntes Unternehmen in dubiose Goldgeschäfte verstrickt? Wir fragen Wieland, ob das Unternehmen tatsächlich mit Ulrich G. zusammenarbeitet. Schriftlich teilt man uns mit: "Herr Ulrich G. ist uns bekannt als Inhaber eines Dentallabors in Deutschland sowie als Geschäftsführer einer Firma in Luxemburg. In der Geschäftsbeziehung zwischen uns und Herrn G. wurden in jeder Hinsicht die einschlägigen rechtlichen Bestimmungen beachtet, insbesondere auch in steuerrechtlicher Hinsicht."

"Beihilfe zur Steuerhinterziehung"

Wieland scheint also Herrn G. zu vertrauen. Steuerfahnder wie Kilmer halten das für leichtfertig: "Ich gehe davon aus, dass ein ordentlicher Kaufmann auch immer ein großes Interesse daran hat, dass die Leute, mit denen er Geschäfte macht, auch irgendwie halbwegs ordentlich arbeiten. Wenn ich mich mit Gaunern einlasse und das weiß, dann setze ich mich möglicherweise auch der Gefahr aus, wegen Beihilfe verfolgt zu werden - Beihilfe zur Steuerhinterziehung."

Wir recherchieren verdeckt weiter - fahren in die Schweiz. Wir haben einen Termin in einer der bekanntesten Gold-Scheideanstalten der Alpenrepublik. Sie soll, so haben wir gehört, Altgold aufkaufen und hier gleich weiterverarbeiten, unter anderem in Edelmetalle für Schweizer Nobeluhren.

Dieses Mal schlüpfen wir selbst in die Rolle von Dental-Händlern - haben angekündigt, dass wir 100 Kilogramm Zahngold haben. Unsere Gesprächspartner sind der Chef der Altgold-Abteilung und sein Marketingleiter. Gleich am Anfang rühmen sich die beiden, dass sie schon 600 Kunden in Deutschland haben - meist Zahnärzte.

Als Dental-Abfall deklariert

Die Herren kennen sich aus. Erklären uns in allen Einzelheiten, wie man den deutschen Zoll und das Finanzamt austrickst - ganz legal, behaupten sie augenzwinkernd. "Bringen Sie das Zahngold nicht selbst über die Grenze, das macht nur verdächtig", heißt es. "Beauftragen Sie einen Kurierdienst und deklarieren Sie das Zahngold als Dental-Abfall. Am besten schicken Sie fünf bis sieben Kilogramm schwere Päckchen. Wenn das Gold hier beim Schweizer Zoll ankommt, dann wird es nach Gewicht verzollt - nicht nach Wert. Das heißt, Sie zahlen für ein Kilogramm Zahngold ein bis zwei Franken Zoll. Für Sie fallen noch die üblichen Gebühren an. Das war's. Das Geld überweisen wir dann auf Ihr Schweizer Konto."

Zahngold wird als Dental-Abfall deklariert - fertig ist der Betrug. Zurück in Deutschland fragen wir beim Zoll nach. Der erklärt sich für machtlos. "Altgold gilt als Abfall im Sinne der Bestimmungen. Und für die Abfallbeseitigung beziehungsweise in diesem Fall die Verwertung gilt die Abfallverbringungsverordnung", erläutert Leonhard Bierl vom Zollkriminalamt. "Und das ist hier im Falle der Ausfuhr in die Schweiz insofern eine Vereinfachung, dass sich hier niemand vorab eine Genehmigung für die Ausfuhr einzuholen braucht. Er muss nur ein entsprechendes Dokument ausstellen und das muss die Sendung begleiten. Das Weitere, was dort in der Schweiz geschieht, das liegt außerhalb der Zuständigkeiten des Deutschen Zolls."

"Zahnärzte bekommen Rabatte"

Auch Kilmer meint: "Das Verbringen von Zahngold und Abfällen ins Ausland ist sicherlich eine Geschichte, die unter zollrechtlichen Gesichtspunkten noch mal näher betrachtet werden muss. Mir scheinen die derzeit gültigen Regelungen hier völlig unzureichend."

Wir setzen unsere verdeckten Recherchen fort. Die Spur führt nach Berlin, Bahnhof Friederichstraße. Wir treffen einen Zahnlaborbesitzer. Er will anonym bleiben und uns erklären, wie das Geschäft rund ums Zahngold funktioniert: "Patienten und Fiskus werden ja nicht nur beim alten Zahngold betrogen. Das ist doch beim Kauf von neuen Zähnen genauso", meint er. "Wenn alte Zähne rausgenommen werden, dann werden ja wieder neue eingesetzt. Und dazu braucht man neue Goldlegierungen. 20 bis 35 Euro kostet ein Gramm. Laborbesitzer und Zahnärzte bekommen aber Rabatte zwischen zwei und acht Euro pro Gramm. Die müssten das natürlich weitergeben. Aber das machen die nicht. Das streichen die doch ein."

Betrug mit Goldlegierungen

Werden Patienten und Fiskus also auch beim Kauf neuer Goldlegierungen betrogen? Wir gehen der Sache nach und werden in Luxemburg fündig. Dieses Mal geben wir uns als deutsche Zahnärzte aus. Unser Gesprächspartner ist Goldhändler und inseriert in Fachzeitschriften. Er kauft altes Zahngold gegen bar und verkauft neue Goldlegierungen. Er residiert im noblen Bankenviertel.

Bei der Begrüßung erzählt er uns, dass am Nachmittag schon ein deutscher Zahnarzt da gewesen sei. Und dann macht er uns einen Vorschlag: "Bei mir können Sie auch Goldlegierungen kaufen. Ich mache ihnen einen guten Preis. Bei mir bekommen Sie sechs Euro Rabatt pro Gramm Gold. Nicht schlecht, oder? Ausbezahlt natürlich hier in Luxemburg - bar, versteht sich. In Deutschland erfährt kein Mensch davon."

Fiskus entgehen Steuern

Klaus Altmann von der AOK-Niedersachsen sagt deutlich: "Diese Rabatte sind natürlich weiterzugeben. Sie dürfen nicht in den Taschen der Einkäufer - sprich: Zahnärzte oder Dentallabore - verbleiben, aber das ist der Fall. Es gibt einige wenige Einrichtungen, die von sich aus sagen: Wir rechnen nicht zu Höchstpreisen ab, sondern geben das, was wir im Einkauf günstiger bekommen haben, auch weiter. Aber das sind Ausnahmen."

Um mehr als 100 Millionen Euro jährlich werden die Patienten so betrogen, schätzen Experten. Und dem Fiskus entgehen Steuern, wenn die Rabatte in Luxemburg oder der Schweiz ausbezahlt werden. Der Betrug rund ums Zahngold läuft glänzend: Altgold, das als Müll am Fiskus vorbei ins Ausland verschoben wird. Rabatte, die nicht weitergegeben werden. Die Betrüger brauchen die Behörden nicht zu fürchten.

Glänzende Geschäfte

"Solche Fälle aufzuklären - die Möglichkeit haben wir im Prinzip nicht", so Kilmer. "Gerade mit der Schweiz nicht, weil es mit der Schweiz keine Rechtshilfeabkommen in Fiskalangelegenheiten gibt. Da kann allenfalls der Kommissar Zufall helfen." Davon ist auch Altmann überzeugt: "Um Betrug und Korruption im Gesundheitswesen zu vereiteln, zu verhindern und zu bekämpfen, wird im Augenblick in Deutschland nicht genug getan. Das muss man einfach so sagen." Und das wird sich vermutlich auch nicht ändern. Zu glänzend und zu leicht laufen die goldenenen Geschäfte.