Frontal21, 13.04.2004

von Christian ESSER, Herbert KLAR

Dr. Raffzahn

Kriminelle Zahnärzte zocken ab

Zahnärzte spielen eine zentrale Rolle bei Betrügereien mit verbilligtem Zahnersatz. Wie Frontal21 berichtet, handeln die Praxisbetreiber die Höhe der Nachlässe aus.

Frontal21 besucht eine Zahnarztpraxis im Ruhrgebiet. Der dort praktizierende Zahnarzt soll kriminell sein.

Seine Masche: Er rechnet teueren Zahnersatz ab, bekommt aber viel billigeren von Zahnlaboren. Und von diesen Laboren fordert er Rabatte, will geschmiert werden. Wir drehen mit versteckter Kamera - aus juristischen Gründen dürfen wir keinen Ton aufnehmen. Wir haben uns als Mitarbeiter eines Zahnlabors angemeldet, das mit ihm ins Geschäft kommen will.

Mindestens 20 Prozent

Dr. M. erscheint. Von unserem Informanten - einem ehemaligen Laborbesitzer - wissen wir, dass Dr. M. schon seit Jahren mindestens 20 Prozent fordert. Dr. M. kommt schnell zur Sache: "Also, warum sollte ich mit ihnen Geschäfte machen? Wie viel bieten Sie denn? Unter 20 Prozent läuft gar nichts. In bar versteht sich."

Unser Informant hat Recht. Zahnarzt Dr. M. kassiert offenbar diese illegalen Rabatte und schadet so Patienten und Krankenkassen. "Dieser Zahnarzt war besonders dreist und raffgierig", so unser Informant. "Ich musste immer bis zum 15. des Monats zahlen. Wenn es mal später wurde, flippte er aus. Ich solle das Geld ranschaffen - egal wie. Und so wie Dr. M. sind viele Zahnärzte. Ich habe es lange Zeit ehrlich versucht, aber dann lief nichts. Also habe ich illegale Rabatte gezahlt."

Bundesweit rund 1000 Zahnärzte

Und weiter berichtet unser Informant: "Wir haben uns dann einmal im Monat in einem Café getroffen. Dann hab ich einen Umschlag mit der Kohle rübergeschoben. Ich bekam meine Aufträge und der Onkel Doktor sein Schwarzgeld."

Nach Recherchen von Frontal21 sind bundesweit schon rund 1000 Zahnärzte ins Visier der Fahnder geraten. Davon allein etwa 500 in Folge des Globudent-Skandals mit chinesischen Billigzähnen, den Frontal21 im November 2002 aufdeckte.

"Kriminelle Energie"

Klaus Altmann von der AOK Niedersachsen meint: "Es sind nicht nur die Laborbesitzer, die reagieren ja zum Teil auch. Denn die zentrale Rolle im Gesundheitswesen hat der Leistungserbringer - in diesem Fall also der Zahnarzt. Er sieht, der Patient braucht Zahnersatz, verordnet diesen und bezieht ihn dann auf Bestellung hin vom Labor. Wenn also nicht bestimmte Zahnärzte diese kriminelle Energie hätten und von den Laboren diese Rabatte verlangen würden, dann hätten wir das ganze Problem nicht. Erst dadurch kommt es ja zum Betrug an Krankenkassen und Versicherten."

Immer mehr Zahnärzte geraten in Betrugsverdacht und bekommen demnächst Besuch von Staatsanwälten. Frontal21 liegt ein Liste mit Namen vor, auf der ein Laborbesitzer handschriftlich vermerkt hat, wie viel illegale Rabatte er an welche Zahnärzte zahlen muss.

"Es liegt leider im System"

Jörg Engelhard vom Landeskriminalamt Berlin dazu: "Die Zahnärzte sind das, was wir Polizisten die Täter nennen, weil es den Zahnärzten verboten ist, Rabatte, die ihnen durch ein erbringendes Labor gewährt wurden, für sich zu vereinnahmen. Sie wären verpflichtet, diese Rabatte an den Kostenträger weiterzugeben."

"Es liegt leider im System und es gibt so gut wie keine Kontrollmöglichkeiten, um diese Dinge auszuschließen", meint auch Dieter Krenkel von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung.

"Da passiert ja nichts"

Und fast anderthalb Jahre nach dem Globudent-Skandal wissen die Kassen und Zahnarztverbände immer noch nicht genau, um wie viel sie und die Patienten von Zahnärzten betrogen wurden. Obwohl die Kassen Hunderttausende so genannte Heil- und Kostenpläne auswerteten.

"Mich wundert nicht, dass es so lange dauert. Ohne Mithilfe der Zahnlabore haben die gar keine Chance die Zahnärzte zu überführen", ist unser Informant überzeugt. "Aber da passiert ja nichts. Ich habe mich vor einem halben Jahr an die Staatsanwaltschaft gewandt. Bis jetzt haben die nicht mit mir reden wollen."

Rund 15 Milliarden Euro zahlen die gesetzlichen Krankenkassen jährlich für Zahnersatz. Und ein erheblicher Teil davon fließt in die Taschen von betrügerischen Laborbesitzern und Zahnärzten. Doch Polizei, Staatsanwälte, Zahnärzte und Kassen tun sich schwer mit der Aufarbeitung des Betruges.

"Wenn alle zusammen arbeiten würden, dann wäre das Klima einfach nicht mehr da, um Betrug entstehen zu lassen, sondern es würden insgesamt die Daumenschrauben angezogen", so Altmann. "Wir haben hier sehr viel Geld, um das es geht. Letzten Endes sind es Beitragsgelder und ich denke, dass auch ein Teil der Finanzsorgen der gesetzlichen Krankenkassen dadurch schon behoben würde, wenn es keinen Betrug mehr oder nicht in dem Maße gibt, wie wir ihn festgestellt haben."

Neue Probleme

Doch der Betrug geht weiter. Und im nächsten Jahr könnten neue Probleme auf die Patienten zukommen. Ab 2005 muss jedes Mitglied einer gesetzlichen Kasse für den Zahnersatz eine Zusatzversicherung abschließen. Denn die Kasse zahlt nur noch einen Festbetrag - egal ob die Gesamt-Rechnung hoch oder niedrig ist.

Altmann warnt: "Den Rest macht der Patient direkt mit seinem Zahnarzt aus. Das heißt also, dass die Schutzfunktion, die die Krankenkasse für den Versicherten ausübt, hier auch völlig ausgehebelt ist. Der Patient muss dann sehen oder hoffen, dass er möglichst einen ehrlichen und guten Zahnarzt trifft, der ihn auch nicht über den Tisch zieht."

Uneinigkeit über Folgen der Reform

Dietmar Oesterreich, Bundeszahnärztekammer dagegen: "Das sehe ich eigentlich nicht so. Das Befund-orientierte Festzuschuss-System, was im nächsten Jahr letztendlich für die Patienten wirksam wird, bringt Klarheit. Das ist sicherlich die Besonderheit in der Zahnheilkunde: Für eine Diagnose, für einen Befund gibt es mehrere Lösungsalternativen und insofern hat der Patient zumindest im nächsten Jahr die Sicherheit, dass er einen Zuschuss für seine individuelle Lösung bekommt."

Kassen und Ärztevertreter sind wieder einmal uneins über die Folgen der Gesundheitsreform. Und die Patienten könnten dabei die Dummen sein. Wenn im nächsten Jahr die Neuregelung bei Zahnersatz gilt, können sie die Qualität des Zahnersatzes nicht überprüfen und sie haben keine Chance fest zu stellen, ob sie betrogen werden oder nicht.

Verhandlung über Laborpreise?

Das befürchtet auch Thorsten Jakob von der Barmer Ersatzkasse: "Für den Patienten selbst ist es sehr schwer, wenn nicht sogar unmöglich, irgendwelche Fehler in der Abrechnung zu finden oder selbst festzustellen. Er hat aber die Möglichkeit jederzeit einen zweiten Zahnarzt zu konsultieren und zwar vor der Behandlung sich einen zweiten so genannten Heil- und Kostenplan erstellen zu lassen, diese miteinander zu vergleichen. Letzten Endes hat er außerdem noch die Möglichkeit mit dem Zahnarzt über entstehende Laborpreise zu verhandeln."

"Der Patient der mit dem Zahnarzt über die Laborpreise verhandelt - das kann er gerne machen", so Krenkel. "Ob er individuell damit zum Erfolg kommt, das ist die andere Frage."

Schutz des Patienten

Die Patienten sollen mehrere Zahnärzte aufsuchen und über Laborpreise verhandeln. Merkwürdige und realitätsfremde Vorschläge der Kassen. Der Patientenschutz wird so ausgehebelt, fürchten Experten wie Prof. Karl Lauterbach, Berater der Bundesregierung: "Wünschenswert wäre natürlich, dass die Krankenkasse selbst einiges unternimmt, um den Patienten zu schützen. Es ist ja bürokratisch und für viele Patienten auch nicht zumutbar von Arzt zu Arzt zu gehen."

Doch eins scheint jetzt schon sicher: Dank der so genannten Gesundheitsreform, können Zahnärzte wie Dr. M im nächsten Jahr ihren illegalen Geschäften noch besser nachgehen.

Der Patient bleibt der Dumme

"Die haben doch die Sektkorken knallen lassen, als der Festzuschuss beschlossen wurde", meint auch unser Informant. "Dann können die doch erst richtig bei den Patienten absahnen. Dem Patienten wird ein teures Gebiss angedreht - angeblich alles notwendig, versteht sich. Aber der kann doch gar nicht beurteilen, ob das okay ist. Und wenn dann die Zähne auch noch billig in China produziert werden - na, dann können die noch mehr illegale Rabatte zahlen."

Unser Informant ist sicher: Der Patient bleibt der Dumme, der Betrug geht weiter. Er selbst wartet immer noch auf seine Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft.