So liefen die Recherchen bei der FTD

von Sonja SCHINDE

Ein erster Tipp

Eigentlich hatte ich eine ganz andere Geschichte schreiben wollen, als mein Gesprächspartner fragte: "Wollen Sie mal was richtig Interessantes hören?". Wollte ich natürlich. Und dann erzählte er von einer Firma in NRW und deren Geschäftsmodell: Billig Zahnersatz in China herstellen lassen, den Krankenkassen aber die Ware zum fünfmal höheren deutschen Preis in Rechnung stellen und dann mit dem jeweiligen Zahnarzt den "Überschuss" teilen. Millionen gingen dabei über den Tisch, sagte er, Millionen. Mit anderen Worten: Betrug im großen Stil. Globudent hieße das Unternehmen, erzählte er. - Nie gehört. Und dann kommt auch noch die Warnung: "Seien Sie vorsichtig, das ist organisierte Kriminalität, die sind nicht zimperlich."

Mein erster Gedanke: "Heiße Kiste, coole Story." Mein zweiter: "Kann das stimmen, was der erzählt oder ist das bloß eine Räuberpistole?" Mein Dritter: "Wie vertrauenswürdig ist der Informant?" Denn schriftlich gibt es nichts. Keine Beweise, kein Papier, keine Strafanzeige. Nichts, wo ich einhaken könnte. So weit, so schlecht. Ich verabredete einen weiteren Termin mit meinem Gesprächspartner und beginne mit der Wühlarbeit.

Fragen über Fragen

Zurück im Büro prüfe ich das Handelsregister im Amtsgericht und informiere mich bei "Creditreform". Das ist eine private Auskunft für und über Firmen. Sie benatworten Fragen wie z.B.: Gibt es diese Firma wirklich? - Es gibt sie. Auch eine Internetseite ist vorhanden inklusive Video über die Produktion in der chinesischen Freihandelszone Shenzhen. Globudent wirbt mit 50 Prozent billigerem Zahnersatz um Kunden. Aber - illegal ist das nicht.

Wo also ist der Betrug? Ziemlich schnell stellt sich heraus: Ich weiß zu wenig über das System:

  • Wie funktioniert es genau? 
  • Wer rechnet mit wem was ab? 
  • Welche Möglichkeiten zum Betrug gibt es? 
  • Wo sind die "Lücken im System?" 

Ein befreundeter Arzt kann mir nicht weiter helfen, hat aber davon gehört, dass manche Krankenkassen, ihre Patienten ermutigen, ausländischen Zahnersatz zu ordern. Also doch alles legal? Ich telefoniere mit ein paar Krankenkassen und frage nach. In der Tat, billiger Zahnersatz aus Osteuropa steht hoch im Kurs. Aber weiter hilft mir das auch nicht.

Ein zufälliger Kontakt mit dem Vorstand einer kleinen Krankenkasse bringt mir schließlich den entscheidenden Hinweis: Patienten und Kassen sparen, wenn sie Zahnersatz billig importieren. Die Kasse, weil sie weniger Geld ausgeben muss für die gleiche Leistung, der Patient, weil er weniger dazu bezahlen muss. So weit, so legal. Und wo ist der Betrug?

Ein erster Hinweis

Ich telefoniere noch einmal mit einem Informanten und erfahre: Zahnersatz ist ein durchlaufender Posten. Der Zahnarzt rechnet seine Leistung - untersuchen, bohren, füllen, überkronen - mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) ab. Brücken, Kronen und Gebisse bekommt er fertig angeliefert inklusive Rechnung über Material- und Zahntechnikerkosten. Diese Rechnung reicht er direkt an die KZV weiter. Seine eigene Rechnung legt er dazu. Die KZV rechnet dann gebündelt und anonym mit der Krankenkasse ab. Die überweist der KZV einen großen Topf Geld und die bezahlt daraus sämtliche Zahnärzte und Zahntechniker.

Und bei Globudent hatten die KZVen keinen Grund, misstrauisch zu werden, denn nach außen schien alles korrekt abgerechnet - auf den ersten Blick. Allerdings, monieren Experten, hat sich niemand die Mühe gemacht, per Stichprobe mal nachzuprüfen, wer Globudent ist, und was die so tun. Spätestens dann wäre zumindest aufgefallen, dass das Unternehmen ganz offen mit billigem Zahnersatz aus China warb. Und allerspätestens da hätte jemand bemerkt, dass etwas mit den Globudent-Rechnungen zu deutschen Preisen nicht stimmen konnte. Aber das hatte eben keiner für nötig befunden. Das System Globudent florierte - jahrelang. Derlei Überprüfungen seien nun mal nicht Aufgabe der KZVen heißt es bei der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung. So etwas ließe sich nur durch Zufall entdecken.

Weitere Puzzlesteine

In meinem Kopf formt sich eine Idee. Die KZV ist also eine Art Black Box, keiner weiß, was in ihr geschieht, das lädt ein zum Betrug. Die Tücken sind die Lücken im System. Das wird mir helfen bei einer späteren Geschichte, die sich aus dem Globudent-Komplex entwickelt. Vorerst ist es nur ein Mosaiksteinchen in meinem Recherchepuzzle.

Anrufe bei der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und beim Verband der Zahntechniker-Innung bringen mich dennoch ein paar Puzzlesteine weiter: Durchschnittlich 900 Euro kostet ein in Deutschland gefertigtes Gebiss. Wenn die Chinesen für ein Fünftel des Preises produzieren, also etwa 180 Euro berechnen, bleiben 720 Euro "Profit" für Globudent und Komplizen. Ein Zahn kostet immerhin 200 Euro in Deutschland, aber nur 40 Euro in China, macht immer noch 160 Euro "Gewinn". - Kein schlechter Deal und das fast perfekte Verbrechen: "Wenn die Arbeit korrekt ausgeführt ist, können sie nicht unterscheiden, was in Deutschland und was im Ausland gefertigt wurde", sagt man mir bei der Deutschen Gesellschaft für zahnärztliche Prothetik in Erlangen auf die Frage, ob es einen Unterschied zwischen deutschem Zahnersatz und Importware gäbe. Die Zahntechniker-Innung wiegelt ab bei Fragen, wie weit verbreitet der Import von Zahnersatz in Deutschland wäre: Bisher sei das mit dem Zahnersatz aus dem Ausland noch nicht so virulent, heißt es.

Ein Fachmann bringt mich auf eine neue Fährte: "Die können im Ausland auch eingeschmolzene Türklinken für Zahnersatz verwenden, nachprüfen lässt sich das nicht mal so eben. Nur per Analyse im Labor und das ist teuer und aufwändig." Das hört sich nach einer neuen Geschichte an, aber mögliche Gesundheitsschäden bei Patienten sind jetzt erst einmal ein Nebenaspekt, ich suche nach dem Betrug.

Weitere Recherchen

Ich hangele mich von Experte zu Experte und stoße dabei auf einige Zahntechniker, denen ich den Fall sehr vorsichtig schildere. Ich erfahre Erstaunliches: "Kickbacks sind kein Einzelfall", geben sie mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu Protokoll. Mal fordert ein Zahnarzt Rabatte, mal kostenlose Reparaturen und manchmal sogar Geld. Doch zitieren lassen will sich niemand mit diesen Erfahrungen, zuviel Angst vor Nachteilen: "Dann bin ich aus dem Geschäft raus und bekomme kein Bein mehr auf die Erde", sagt man mir, oder: "Da kann ich ja gleich auswandern." Eine Schweinerei sei diese Praxis, das finden alle, aber dagegen aufzumucken traut sich keiner.

Ich treffe mich ein weiteres Mal mit meinem Informanten. Inzwischen liegt tatsächlich eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Wuppertal vor - endlich - und es ist ein weiteres Verfahren wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung bei der Staatsanwaltschaft in Duisburg anhängig. In Essen hat sich die Soko Zahnersatz gebildet. Außerdem gibt es eine weitere Information: Ein Globudent-Regionalleiter soll mindestens einmal die Woche nach Hongkong geflogen sein, um Geld zu holen, mit dem die Zahnärzte bezahlt wurden. Jedes Mal zwischen 300 000 und 400 000 Euro in bar. Und wie kommt der damit durch den Zoll?

Journalistische Kleinarbeit

Ich rufe beim Zollkriminalamt in Köln an und frage - rein hypothetisch versteht sich - ob es denn möglich wäre, fast eine halbe Million Euro unbeobachtet im Handgepäck durch den Zoll zu schleusen? Ich erfahre schon wieder Erstaunliches: Bargeld muss man nur auf Befragen des Zöllners deklarieren und das auch nur bei mehr als 15 000 Euro. Und eine halbe Million sei ja auch nicht auffällig: ein Stapel Scheine gerade einmal doppelt so dick wie "ein dickes Taschenbuch". Und außerdem könne man bei mehr als 130 000 Fluggästen am Tag allein in Frankfurt und mindestens 42 000 in Düsseldorf nur Stichproben machen, da sei "die Chance, einfach durchzurutschen, relativ groß".

Ich wühle noch ein bisschen weiter in diversen Papierbergen und finde eine Reihe von Merkwürdigkeiten: Die Globudent-Geschäftsführer O. M., T. M. und Jügen B. haben immer wieder Dentalhandelsfirmen gegründet, nur: Lange waren die nie auf dem Markt. Regionalleiter Axel C. taucht auch immer mal wieder auf. Das muss nichts heißen, ist aber schon seltsam. Ein Konkursverfahren hat es auch schon mal gegeben. Ich erkundige mich nach den Gebrüdern M., will wissen, was das so für Typen sind. Ich erfahre einiges, doch die Recherchen führen mich an diesem Punkt vorerst in eine Sackgasse.

Es wird ernst

Inzwischen ist es Spätherbst geworden und ich höre von einer geplanten Razzia. Jetzt wird die Geschichte konkret. Ich verabrede, erst dann mit der Geschichte herauszukommen, wenn die Razzia gelaufen ist, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Die nächsten Tage sind anstrengend, ständig warte ich auf Nachricht, habe Angst, den entscheidenden Moment zu verpassen. Die Geschichte ist fertig geschrieben, nur die Stelle mit der Razzia ist noch frei. Wenn es losgeht, muss es schnell gehen.

Es ist soweit: Morgen passiert's. Am Mittwoch, 20. November 2002, früh um acht klicken die Handschellen bei den Globudent-Geschäftsführern. Der rote Ferrari von O. M. parkt jetzt bei der Polizei, seine Rolex nächtigt dort ebenfalls, seine Gelder werden beschlagnahmt. Polizisten durchsuchen 15 Geschäfts- und Privaträume. Mein erster Artikel zum Fall Globudent erscheint zeitgleich in der Financial Times Deutschland (FTD).

Noch in U-Haft legen alle drei Globudent-Manager ein Geständnis ab und kommen frei - vorerst. Jetzt ist die Staatsanwaltschaft am Zug, doch der Pressesprecher mauert. Er ist sauer. In der Nacht vor der Razzia haben Fernsehkollegen, die ebenfalls an dem Fall dran waren, ihren Bericht gesendet. Das hat die Globudent-Manager alarmiert und ihnen Zeit gegeben, Beweise zu vernichten. Neben kistenweise Ordnern stellen die Beamten bei den Durchsuchungen deshalb auch Säcke mit geschreddertem Papier sicher.

Ich bleibe dran an dem Fall, spreche immer wieder mit meinem Netz an Informanten, dass ich mir während der langen Vorrecherche aufgebaut habe. Nach den Veröffentlichungen der ersten Artikel kommen neue Kontakte hinzu - und neue Hinweise auf neue Fälle für neue Artikel.

Notwendige Anmerkung

Um meinen Informanten weiterhin die Vertraulichkeit zu gewährleisten, die ich Ihnen während der Recherche versprochen habe, enthält dieses Protokoll keine Namen und nur wenige Ortsangaben.

Hinweis in eigener Sache:

Die Recherchen zu diesem Fall liefen mehr oder weniger parallel zu den Recherchen eines ZDF-Reporters der Sendung Frontal 21. Die Veröffentlichung der Ergebnisse beider Recherchen sah so aus, dass am Dienstag, den. 19. November 2002 um 21 Uhr, Frontal 21 den Film "Falsche Zähne" des Journalisten Herbert Klar ausgestrahlt hatte. Damit geriet die Staatsanwaltschaft, die bisher eher lustlos ermittelt hatte, unter Zugzwang: Sie durchsuchten am nächsten Tag, Mittwoch, den 20.11., ab 8 Uhr die Geschäftsräume von Globudent. Zuvor hatten die Manager dieser Firma ausreichend Zeit, Unterlagen zu vernichten oder beiseite zu schaffen, wurden aber die ganze Nacht über vom ZDF dabei beobachtet und gefilmt. Praktisch zeitgleich mit der polizeilichen Razzia an diesem Mittwoch erschien dann auch der erste Bericht von Sonia Shinde in der Financial Times Deutschland.

Wie die Recherchen des ZDF liefen und wie diese überhaupt erst nach mehrmaliger Vorwarnung die Staatsanälte auf die Beine brachten, können Sie unter "Recherchen und Filme des ZDF" nachlesen. Klicken Sie dazu wieder auf die linke Navigationsleiste.