Die Berichte des Hamburger Abendblatt, 28.04.2006

Telefonaktion: Der Fall der alten Dame- Hunderte Abendblattleser suchen Rat bei Experten

Alt, allein - und betreut: Was muß ich tun, damit es mir nicht so ergeht wie im Fall der alten Dame, der Betreuungsaffäre um Thea Schädlich aus Kummerfeld? Das Interesse an der Abendblatt-Telefonaktion war überwältigend, die Anrufe kamen sogar aus dem Ruhrgebiet. Mehr als 100 Leser sprachen in zwei Stunden am Mittwoch nachmittag mit den fünf Experten. Ungezählte riefen vergeblich an, weil die Telefonleitungen besetzt waren. Selbst die Experten überraschte diese große Resonanz: "Das zeigt auch uns, wie wichtig das Thema ist", hieß es. Wir dokumentieren die wichtigsten Fragen und Antworten der Aktion auf dieser Seite:

"Ich will nicht, daß mich, wie im Fall der alten Dame aus Kummerfeld, eines Tages ein Fremder betreut. Was kann ich tun?"

Reinhard Langholf: "Sie können einem Menschen, dem Sie vertrauen, eine Vorsorgevollmacht erteilen. Er darf Sie rechtlich vertreten, wenn Sie Ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln können. Ein Betreuer braucht dann nicht mehr bestellt zu werden."

"Wen setze ich am besten als Bevollmächtigten ein?"

Rolf-Hermann Henniges: "Sie können mehrere Personen bevollmächtigen. Es bietet sich an, zuerst den Ehegatten zu bevollmächtigen und eine Ersatzvollmacht an ein volljähriges Kind auszustellen. Aber auch zwei Kinder können als Bevollmächtigte benannt werden. Sie müssen sich allerdings entscheiden, ob die Bevollmächtigten gemeinschaftlich handeln müssen oder ob jeder für sich handlungsfähig sein soll. Gemeinschaftliches Handeln kann zu Schwierigkeiten führen, da dann immer beide verfügbar sein müssen, um wirksame Entscheidungen zu treffen."

"Was mache ich, wenn ich keine Angehörigen habe oder nicht möchte, daß meine Angehörigen die Vormundschaft erhalten?"

Rolf-Hermann Henniges: "Entscheidend ist: Bei der Ausstellung einer Vollmacht muß ein absolutes Vertrauen herrschen. Natürlich können Sie auch Freunde einsetzen. Und wenn Sie verhindern wollen, daß Angehörige irgendwann über Sie bestimmen, dann können Sie eine Betreuungsverfügung ausstellen. Die Betreuungsverfügung ist eine Anweisung an das Vormundschaftsgericht, jemanden zum Betreuer zu bestellen - oder eben auch nicht. Die Betreuungsverfügung wird sinnvollerweise mit der Vorsorgevollmacht kombiniert."

"Muß ich eine Vorsorgevollmacht jährlich neu unterschreiben, um meine geistige Verfassung zu bestätigen?"

Bernd-Rüdeger Sonnen: "Die Unterschrift kann nicht verfallen, Sie müssen die Vorsorgevollmacht also nicht jährlich neu unterschreiben."

"Wie hoch sind die Kosten, wenn man Verfügungen von einem Notar aufsetzen läßt?"

Rolf-Hermann Henniges: "Die Kosten sind gesetzlich festgelegt und richten sich nach dem Vermögenswert. Sollten Sie ein Vermögen von 100 000 Euro haben, müssen Sie 103,50 Euro bezahlen. Ab einem Vermögen von 500 000 Euro müssen Sie 405,50 Euro bezahlen, jeweils plus Mehrwertsteuer. Das ist die größtmögliche Summe."

"Was mache ich, damit alle erfahren, daß ich eine Vollmacht ausgestellt habe?"

Rolf-Hermann Henniges: "Sie können die Vollmacht etwa bei der Bundesnotarkammer in Berlin registrieren lassen. Dort muß sich das Vormundschaftsgericht erkundigen und weiß sofort, ob und wie Sie verfügt haben."

"Birgt eine Vorsorgevollmacht auch Gefahren?"

Klaus Förter-Vondey: "Der Bevollmächtigte kann ohne Aufsicht Dritter, das heißt ohne Kontrolle durch ein Gericht, über alles bestimmen. Ein gerichtlich bestellter Betreuer ist dagegen rechenschaftspflichtig und wird kontrolliert."

"Ich habe den Verdacht, daß der Bevollmächtigte meinen Verwandten schlecht behandelt und ausnutzt. Wie kann ich helfen?"

Reinhard Langholf: "Sie können die Bestellung eines Kontrollbetreuers anregen. Der Kontrollbetreuer verfolgt die Rechte des Betroffenen gegenüber dem Bevollmächtigten, kontrolliert also dessen Tätigkeit. Wenden Sie sich an das Vormundschaftsgericht am Wohnort Ihres Verwandten."

"Kann ein Betreuer einfach so mein Haus verkaufen?"

Klaus Förter-Vondey: "Nein, so einfach geht das nicht! Will der Betreuer das Haus veräußern, braucht er eine Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Dies prüft zunächst, ob der Verkauf überhaupt notwendig und berechtigt ist."

"Ich verdächtige den Berufsbetreuer meiner Mutter der Mißhandlung. Wie kann ich gegen ihn vorgehen?"

Bernd-Rüdeger Sonnen: "Nehmen Sie einen belegbaren Vorfall, wie zum Beispiel eine Mangelernährung, die durch ein ärztliches Gutachen nachweisbar ist. Die Verjährungsfrist für solche Straftaten beträgt fünf Jahre. Wenden Sie sich damit dann an einen Fachanwalt für Betreuungsrecht, der möglichst nicht aus dem Umfeld des Betreuers oder Vormundschaftrichters kommt. Entsprechende Auskunft dazu kann Ihnen etwa ein Betreuungsverein geben."

"Ich habe mich erfolgreich gegen eine Betreuung gewehrt. Wie komme ich an die Gutachten, die über mich erstellt wurden?"

Jochen Cassel: "Beim Amtsgericht können Sie Akteneinsicht beantragen. Nehmen Sie Ihren Personalausweis mit. Sollten Sie aus gesundheitlichen Gründen das Haus nicht verlassen können, bevollmächtigen Sie eine Person Ihres Vertrauens oder einen Anwalt. Am besten kündigen Sie den Besuch vorher an."

"Mein Vater leidet unter zunehmender Demenz. Wie kann ich eine Betreuung beantragen?"

Jochen Cassel: "Beim Amtsgericht erhalten Sie entsprechende Formulare. Der Hausarzt sollte attestieren, daß eine Betreuung erforderlich ist. Nachdem Ihr Antrag beim Vormundschaftsgericht eingegangen ist, wird Ihr Vater angeschrieben und befragt. Dabei wird ihm auch das Vorgehen erläutert. Danach wird ein Betreuer bestimmt. Bestenfalls sollte es sich hier um ein Familienmitglied handeln, das als ehrenamtlicher Betreuer jährlich eine Aufwandsentschädigung von 323 Euro erhält."

"Kann ein Betreuer einfach in alle Lebensbereiche eingreifen?"

Klaus Förter-Vondey: "Nein. Die Aufgaben des Betreuers hängen vom Einzelfall ab. Grundsätzlich legt das Vormundschaftsgericht fest, in welchen Bereichen der Betreuer tätig werden soll. Basis dafür muß eine Anhörung und ein Gutachten sein, das aufzeigt, in welchen Bereichen der Betroffene Hilfe benötigt. Die Befugnisse des Betreuers können so auf Aufgaben wie etwa die Vermögenssorge beschränkt werden."

"Wie kann ich mich gegen eine falsche Entscheidung meines Betreuers wehren?"

Klaus Förter-Vondey: "Der Betreute hat jederzeit das Recht, Beschwerde gegen den Betreuer einzulegen. Hat er Ihrer Ansicht nach eine falsche Entscheidung getroffen, bitten Sie das zuständige Gericht um Aufklärung und prüfen Sie, ob es Genehmigungen gab und mit welchem Hintergrund sie erteilt worden sind."

"Ist eine vom Gericht angeordnete Betreuung endgültig?"

Klaus Förter-Vondey: "Nein. Eine Betreuung kann jederzeit aufgehoben werden. Sie darf nur so lange dauern, wie sie tatsächlich auch notwendig erscheint. Die Dauer bestimmt das Vormundschaftsgericht. Es muß die Betreuung regelmäßig überprüfen. Auch der Betreuer ist gesetzlich dazu verpflichtet, dem Gericht zu sagen, wenn die Betreuung nicht mehr erforderlich ist."

"Ich habe den Verdacht, daß der Betreuer falsch abgerechnet hat. Was kann ich tun?

Klaus Förter-Vondey: "Wenn Sie Zweifel haben, bitten Sie den Betreuer um Aufklärung oder wenden Sie sich an das zuständige Gericht. Der Gesetzgeber schreibt seit Juli 2005 eine Vergütungspauschale vor, die auch beinhaltet, wieviel Zeit der Betreuer je nach Fall abrechnen darf. Grundsätzlich gilt: Besitzt der Betreute mehr als 2600 Euro sogenanntes geschütztes Vermögen, muß er auch so weit wie möglich für die Betreuungskosten aufkommen."

"Darf ich als Betreuter entscheiden, wofür ich Geld ausgebe?"

Klaus Förter-Vondey: "Ja. Auch wenn Sie betreut werden, sind Sie grundsätzlich weiterhin geschäftsfähig. Sieht das Vormundschaftsgericht jedoch eine erhebliche Gefahr für die betroffene Person oder deren Vermögen, kann es einen Einwilligungsvorbehalt anordnen. Das bedeutet, daß in den Angelegenheiten, in denen ein solcher Vorbehalt angeordnet wurde, ein Geschäft nur mit Zustimmung des Betreuers gültig ist. So soll der Betreute geschützt werden."

"Wie werde ich ehrenamtlicher Betreuer?"

Reinhard Langholf: "Betreuer werden von Gerichten bestellt. Jeder, der sich engagieren will, kann ehrenamtlicher Betreuer werden. Sie sollten Verständnis für die Lebenslage des Betroffenen aufbringen und seine Interessen angemessen vertreten können. Wenden Sie sich an die Hamburger Betreuungsvereine, die es in jedem Bezirk gibt."

"Wo kann ich weitergehende Informationen bekommen?"

Die Hamburger Betreuungsvereine, die es in jedem Bezirk gibt, haben eine eigene Homepage: www.betreuungsvereine.hamburg.de Der Verein im Bezirk Nord etwa ist unter Telefon 27 28 77 zu erreichen. Bei den Amtsgerichten und der Sozialbehörde gibt es die Broschüre "Ich sorge vor". Antworten auf Fragen finden sich auch im Internet unter www.betreuungsrecht.hamburg.de Auf den Internet-Seiten des Bundesjustizministeriums finden sich neben der Broschüre "Betreuungsrecht" auch Formulare für Vorsorge-Vollmachten oder Betreuungsverfügungen.

Mitarbeit: Bianca Demuth/Christian Denso/ Friederike Grupe/Sophie Laufer/ Nico Pointner/Stefan Dreyer