Presserecht und Maulkorb

Warum in den Zeitungsberichten schwarze Balken sind

 

Presefreiheit

In einem freien Land darf man alles denken und (fast) alles sagen. Andere beleidigen allerdings nicht.

Für die Medien gelten diese Rechte natürlich auch, allerdings sind die juristischen Spielregeln ein wenig anders gesetzt, weil die Presse eine gewisse publizistische Macht ausübt. Dinge, die nicht in Ordnung sind oder waren und über die berichtet wurde, ändern sich ja oft hinterher.

Deswegen hat die Presse auf der einen Seite eine „öffentliche Aufgabe“ : Sie darf und soll über alles berichten, was von öffentlichem Interesse ist. Diese Aufgabe geht – auch unter juristischem Schutz – sogar soweit, dass die Medien Dinge berichten dürfen (und sollen), die eigentlich irgendwie ‚geheim’ sind. Solche Informationen gelangen meist auf etwas abenteuerlichen und teilweise auch ‚illegalen’ Wegen an die Presse. Trotzdem dürfen die Medien über solche öffentlichkeitsrelevanten Dinge schreiben und senden. Dies hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich so entschieden.

"Abwägung der Interessen"

Allerdings wird dabei eine Interessensabwägung vorgenommen: was ist schwerwiegender: Das Interesse der Öffentlichkeit auf Informationen – und zwar z. B. durch Nennung von „Ross und Reiter“ (nur mit relevanten Informationen kann man sich eine eigene Meinung bilden und am demokratischen Geschehen teilnehmen) –, oder das Recht der Beteiligten an „Anonymisierung“?

Denn natürlich kann jemand einen erheblichen Schaden erleiden, wenn er unter Namensnennung an die Öffentlichkeit gezerrt wird und über ihn in diskreditierender Weise berichtet wird.

Sind die Dinge wichtig und besteht ein wirklich hinreichender Verdacht für die kritischen Äußerungen, und hat sich die Presse um möglichst vollständige Aufklärung – unter Berücksichtigung der gebotenen Aktualität der Berichterstattung – bemüht, dann darf der Name des Betroffenen veröffentlicht werden, sonst muss – wenn überhaupt berichtet werden darf – anonymisiert werden.

Jeder Mensch hat eine „Privatsphäre“, die er schützen darf – auch vor der Presse. Anders dann, wenn das öffentliche Interesse größer ist als das private Schutzinteresse des „Betroffenen“. Wenn in der Berufstätigkeit des Betroffenen Dinge irgendwie als „faul“ erscheinen, muss die Presse dies aufdecken dürfen. Ebenso dürfen diejenigen, die sich aus eigenem Interesse öffentlich in Szene setzen (z. B. Stars, Personen des öffentlichen Lebens usw.), unter Namensnennung bei Berichterstattung über ihr berufliches (nicht privates und vor allem nicht intimes) Umfeld benannt werden.

Einstweilige Verfügungen: Maulkörbe

Im Fall der „Alten Dame“ musste das  Hamburger Abendblatt  zunächst eine ganze Reihe von Einschränkungen in der Berichterstattung hinnehmen – einer der beiden ursprünglichen Betreuer, der das Haus der „Alten Dame“ an die Gemeinde Kummerfeld verkauft hatte, wollte sich die Berichterstattung nicht bieten lassen, obwohl er nicht beim vollen Namen, sondern nur in „anonymisierender“ Weise genannt worden war. So praktizieren das die Medien solchen Fällen, wenn nicht so sehr der konkrete Name von öffentlichem Interesse ist, sondern die Existenz einer solchen Person an sich (nur Vorname plus Anfangsbuchstabe des Nachnamens wird genannt).

Konkret bedeutet dies, dass (namentlich oder anonymisierend genannte) Betroffene mit Hilfe eines Gerichts im Wege einer so genannten Einstweiligen Verfügung das ganz schnell verhindern können. Jedenfalls eine Zeit lang, bis in einer regulären Hauptverhandlung über diese Frage entschieden wird. So war es auch bei Thea SCHÄDLICH.

Nur mit einem sehr eigenartigen Unterschied: Nicht die „Alte Dame“ hatte das veranlasst, sondern ihr ehemaliger von Amts wegen vorgesetzter Zweitbetreuer, der dann – gegen den ausdrücklichen Willen der „Alten Dame“ – einen eigenen Medienanwalt aus Berlin eingeschaltet hatte. Der hatte dann nicht nur dem  Hamburger Abendblatt ersteinmal verbieten lassen, den Betreuer überhaupt in seiner Existenz zu erwähnen, sondern er ließ auch verbieten, den Namen des Ortes und des im öffentlichen Leben stehenden Bürgermeisters zu nennen. Auch die Nennung seines eigenen Namens als Rechtsanwalt sollte verboten sein. Und: Er wollte sogar Thea SCHÄDLICH einen Maulkorb umhängen – auch ihr sollte verboten werden, sich in eigener Angelegenheit mit Journalisten unterhalten zu dürfen – angeblich ja in ihrem eigenen Auftrag (über den vorgesetzten Zweitbetreuer). Aus diesem Grund wurde in den Artikeln des  Hamburger Abendblatts aus Thea SCHÄDLICH - vorübergehend - eine anonymisierte "Alte Dame".

Wäre es dabei geblieben, wäre dies ein Maulkorb in Reinkultur gewesen, nicht nur für die Presse.

Siege vor Gericht - in Etappen

Der Maulkorb für die Presse oder auch für die „Alte Dame“ konnte vor Gericht in der entscheidenden Sitzung natürlich keinen Bestand haben. Es müsse eine „Grund-Grundrecht“ auf freie Meinungsäußerung geben, meinten die Richter am Landgericht Berlin.

Das  Hamburger Abendblatt  durfte daher zunächst über seinen eigenen Prozess berichten. Deshalb können Sie über den folgenden Artikel des  Hamburger Abendblatts  auch erfahren, wer der „berühmt-berüchtigte“ Medienanwalt aus Berlin ist, der die Redakteure des  Hamburger Abendblatts  „Schmierer“ genannt, einen Artikel des  SPIEGEL  über diesen Fall als „alles Kotze“ bezeichnet hatte und der zu dem Anwalt des  Hamburger Abendblatts  meinte: „Wenn ich so eine Fratze hätte und so scheiße aussehen würde wie Sie, würde ich auch lieber ein Bild von mir in die Zeitung setzen lassen“: Sieg vor Gericht. Dort erfahren Sie auch, wie der fragliche Prozesstag abgelaufen ist.

Trotz dieses ersten Teilerfolgs blieben Schwärzungen in den Texten des  Hamburger Abendblatts : der Zweitbetreuer bestand auf Anonymität. Die wurde erst am 24. April 2007, also ein Jahr nach der veröffentlichten Affäre, aufgehoben: Das Berliner Kammergericht entschied, dass der Zweitbetreuer von dem Augenblick an, von dem er seine ‚Betreuungsfunktion’ auch auf die Betreuungs-Zuständigkeit der Presse gegenüber erweitert hatte (oder sich gerichtlich erweitern liess - heute ist er ja nicht mehr zuständig), nicht mehr anonym agieren kann.


Allerdings: Das  Hamburger Abendblatt  hatte ja kein Interesse, den Namen des (ehemaligen) Betreuers zu skandalisieren. Der Zeitung ging es einzig und allein um die vielen Merkwürdigkeiten und Widersprüche bei dieser ganzen Geschichte - konkretisiert am Beispiel des Menschen Thea SCHÄDLICH. Deshalb wird der fragliche Name des Ex-Betreuers auch nie mehr auftauchen - obwohl eine Namensnennung möglich wäre.

Trotz Sieg über den Maulkorb: geschwärzte Texte

Die bisher gesperrten bzw. im Archiv des Hamburger Abendblatt geschwärzten Berichte können von nun an wieder im Original erscheinen.

Wir dokumentieren beides: die durch Einstweilige Verfügungen durchgesetzten Schwärzungen, aber auch die originalen Berichte. Und wir dokumentieren, wie die Richter am Landgericht Berlin (Pressekammer Berlin) und die Richter der nächsten Instanz des Berliner Kammergerichts (Oberlandesgericht) Pressefreiheit für ein wesentliches Gut halten:

  • den Ablauf vor dem Landgericht hat das Hamburger Abendblatt kompakt in seiner Ausgabe vom 15. bis 17.April 2006 (Osterausgabe) skizziert:
    Dort finden Sie auch den Namen des berühmt-berüchtigten Berliner Medienanwalts, der regelmäßig vor Gericht alles untersagen lassen will: Dass es überhaupt ein Verfahren gibt; dass er dabei als Anwalt auftaucht; die Nennung seines Namens und was er in seinen Reden so zum Besten gibt ...

 

(JL)