Das Desaster in Kurzform: der Einsturz der Eissporthalle Bad Reichenhall

Was am 2. Januar 2006 um 15:55 Uhr geschah - fünf Minuten bevor der Hallenmeister aufgrund einiger Hinweise, die er gerade erhalten hatte, alle Eisläufer von der Eisfläche schicken wollte, um die Halle um 16:00 Uhr zu schließen, passierte genau 5 Minuten zu früh. Er hatte wenig Entscheidungsspielraum. Bereits am morgen hatte er beim Verantwortlichen im Rathaus der Stadt Bad Reichenhall angerufen, die Höhe der Schneelast durchgegeben und gefragt, ob er denn die Halle schließen solle? Es hatte nicht nur die letzten Tage geschneit, der Schnee kam unaufhörlich herunter und auf dem Dach der Eissporthalle wurden die Schneemassen immer höher. Und schwerer. Nasser Schnee hat ein enormes Gewicht, das man ihm nicht unbedingt ansieht. 
Er solle nichts unternehmen, lautete die Anweisung seines städtischen Vorgesetzten! 

Nicht nur solch 'eigenmächtige' Vorsicht - wäre sie bereits in den letzten 30 Jahren angewandt worden - hätte das Desaster verhindern können. Bereits ganz normale Aufsichts- und Kontrollpflichten hätten dazu gereicht. Das deutsche Baurecht und die (typisch) deutschen Sicherheitsvorschriften mögen vielen als zu aufwendig erscheinen, als Vorsorge aus Vorsicht, um Schlimmes zu verhindern, machen sie durchaus Sinn.

Allerdings nur, wenn sie auch angewendet werden. Und das heißt auch: nur wenn sie kontrolliert werden. Und es heißt ebenfalls: sie funktionieren ebenfalls nur, wenn jene, die Fehler bemerken, dies auch melden. Wegschauen ist das Gegenteil von Verantwortung.

Genau dies ist über 30 Jahre lang in Bad Reichenhall geschehen. Der eine arbeitete zu oberflächlich, andere störten sich nicht an fehlenden Prüfstempeln und Genehmigungen, wieder einem anderen waren 3.000 Euro zu wenig Geld, ein wenig genauer hinzuschauen. Undsoweiter. Eine Verkettung kollektiver Nicht-Verantwortung bzw. Verantwortungslosigkeit. 

Inzwischen haben Richter gesprochen. Vorerst. Sie können/dürfen nur nach Verantwortung aus strafrechtlicher Sicht fragen. Sie hatten nur die Frage zu bewerten, wer sich (überhaupt) der fahrlässigen Tötung bzw. der fahrlässigen Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gemacht hat.

Aus ihrer Sicht waren das - bisher - nur einer: jener, der ganz am Anfang der Kette stand und falsch gerechnet hat, aber auch wusste, dass die Dach-Bauweise, die letztlich das Desaster verursacht hatte, nicht vorgesehen, weil nicht genehmigt war. Andere wussten es auch bzw. mussten es bemerkt haben. Die hatten sich daran allerdings nicht gestört.

So kam es, dass die Staatsanwaltschaft zwar gegen 9 Personen ermittelt hatte, aber nur gegen 5 Anklage erhob.

  • Ein Zimmerermeister, der einen absolut ungeeigneten, sprich falschen Leim für die Dachkonstruktion benutzt hatte, starb vor Prozessbeginn.
  • Ein anderer, der auf Seiten der Stadtverwaltung für die Baugenehmigung und die Prüfung von Prüfunterlagen etc zuständig war, wurde - wie das so oft üblich ist - krank; sein Gerichtsverfahren wurde abgetrennt.
  • Übrig blieben demnach 3 Personen, wovon nur einer für schuldig befunden wurde: jener, der ganz am Anfang der Kette stand und dafür 18 Monate Gefängnis auf Bewährung erhielt.
  • Jener Prüfingenieur, der a) in und b) für und c) von der der Stadt Bad Reichenhall schon öfters lukrative Aufträge erhalten hatte und 2003 die von mehreren Menschen kritisierte Halle und das Eindringen von Wasser in und durch das Dach überprüfen sollte und dem 3.000 Euro offenbar nicht ausreichend waren, um diesen Job auch (halbwegs) ordentlich auszuführen (der diplomierte Ingenieur untersuchte 1 von insgesamt 10 Kastenträgern ordentlich, die anderen 9 nur mit dem Teleobjektiv vom Fußboden aus), wurde ebenfalls freigesprochen.


Egal, wie man die (straf)rechtliche Würdigung bewertet: Hätte jemand (oder mehrere) rechtzeitig Alarm geschlagen, z.B.

  • weil es keine Prüfstatik gab
  • es demzufolge auch keine Baugenehmigung hätte geben dürfen
  • der ganze Bauvorgang 'aktenmäßig' unvollständig war
  • niemand einschlägigen Hinweisen nachgegangen war,

wäre das alles nicht geschehen. 
Der Umstand, dass es - wie es der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung beschrieben hatte - an dem Unglück "ein gravierendes Mitverschulden" einer "ganzen Reihe von Personen" gegeben habe, macht deutlich, dass Whistleblowing, sprich rechtzeitiges Alarmschlagen nützlicher ist als im Nachhinein die strafrechtliche Schuld einzelnen Personen zuzumessen.

Bad Reichenhall ist deshalb zu einem von leider vielen Beispielen geworden, in denen es keine Whistleblower gab.
 
Was 35 Jahre lang (nicht) geschah - vom Baubeginn bis zum Unglück -, haben wir u.a. auch grafisch kompakt zusammengefasst: Auf 1 Blick: Ereignisse > keine Whistleblower > Folgen. Was genau in dieser Zeit geschehen ist - bis zum 2. Januar 2006, haben wir rekonstruiert in einer Kleine Chronologie der vielen Fehler, die in 35 Jahren niemand gemeldet hat. Ebenso finden Sie hier Nach dem Einsturz - die Chronologie der Ereignisse.

Die wichtigsten Personen und Beteiligten sind im ABC der Akteure aufgelistet.

Wie der Einsturz hätte verhindert werden können, das erklärt in einem verständlichen Kurzgutachten Prof. Dipl. Ing. Rolf SENNEWALD, der uns dieses Manuskript freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Kurzformel: neben mehreren krassen Fehlern lag es auch an der absolut unzureichenden Wartung dieser intensiv genutzten Sportstätte.

Während ein Auto alle zwei Jahre zum TÜV muss und auch Brücken regelmäßig auf ihre Standfestigkeit hin untersucht werden müssen, gab es solche Vorschriften für die weitspannenden Dächer von großen Gebäuden de facto nicht. Das hat sich nun geändert. Sicher nicht zur vollständigen Zufriedenheit von Sicherheits-Experten. Aber immerhin ein erster Einstieg in die Überwachung von potenziell genauso gefahrvollen Dachkonstruktionen. Wir haben rekonstruiert, was sich danach verändert.

Die wenigen Fotos, die wir hier veröffentlichen (wollen), stammen mit freundlicher Genehmigung von der Feuerwehr in Bad Reichenhall, die zusammen mit dem Technischen Hilfswerk bis zum Letzten ihr Äußerstes gegeben hat, um zu retten, was noch zu retten war. Weitere Bilder und einen Einsatzbericht finden Sie auf der Seite der Feuerwehr Bad Reichenhall

Wir empfehlen ebenfalls zur Lektüre: eine kleine Reportage des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL, in der sehr einfühlsam beschrieben wird, wie man dieses Unglück und das Zustandekommen in Bad Reichenhall am liebsten verdrängen möchte und wie jene, die persönlich betroffen genau das verhindern möchten und was ihnen dabei widerfahren ist. Klicken Sie dazu auf das Bild rechts - Sie landen dann im Onlinearchiv des SPIEGEL.

Wenn Sie diese Geschichte direkt aufrufen oder verlinken möchten, können Sie dies unter www.ansTageslicht.de/Reichenhall tun.