Kölner Stadt-Anzeiger ein halbes Jahr später, 06.11.2009

von Andreas DAMM, Detlef SCHMALENBERG

Alarmzeichen ignoriert?

Alarmzeichen ignoriert?

Kölner Stadt-Anzeiger , 06.11.2009
von Detlef SCHMALENBERG

Geheimniskrämerei, immer wieder Risse in den Schutzwänden der Baugrube, ein unverantwortungsvoller Umgang mit dem Grundwasser, zahlreiche Alarmzeichen, die zum direkten Baustopp hätten führen müssen: Nach Informationen des "Kölner Stadt-Anzeiger" wirft die Aussage des renommierten Ingenieurwissenschaftlers Professor Rolf Sennewald ein zweifelhaftes Licht auf die Bauarbeiten an der U-Bahn-Haltestelle Waidmarkt, die am 3. März 2009 wohl zum Einsturz des Kölner Stadtarchivs führten. 

Der Münchner Experte war seit Februar 2004 als Prüfingenieur für die Sicherheit in einigen Baugruben des Projekts Nord-Süd-Stadtbahn mitverantwortlich. Er bewertete die Richtigkeit der statischen und konstruktiven Berechnungen und Ausführungspläne, die von der Arbeitsgemeinschaft (Arge) der am Bau beteiligten Unternehmen vorgelegt wurden.

Ihm gegenüber seien die offensichtlichen Schwierigkeiten beim Bau des Gleiswechsels Waidmarkt verschwiegen worden, hat Sennefeld dem Vernehmen nach bei seiner polizeilichen Aussage betont. Bei Anfragen, etwa im Herbst 2008 wegen einer dünnen Braunkohleschicht, die man nachträglich unterhalb der Baugrube gefunden hatte, sei ihm etwa nicht gesagt worden, dass es bereits erhebliche Probleme mit dem Grundwasser gegeben hatte.

Nach den Berechnungen des Sachverständigen hätten lediglich 30 bis 300 Kubikmeter Wasser pro Stunde in der Grube anfallen dürfen. In den Wochen vor dem Unglück jedoch wurden stündlich 750 bis 1000 Kubikmeter Wasser abgepumpt. Wie nach dem Einsturz bekannt wurde, hatten die Baufirmen deshalb bis zum März 23 Brunnen bohren lassen, obwohl die behördliche Genehmigung für lediglich vier Brunnen vorlag.

Dass die von ihm prognostizierte Wassermenge um ein Vielfaches überschritten wurde, habe man ihm niemals mitgeteilt, beklagte Sennewald in seiner Vernehmung. Wie ihm mittlerweile bekannt sei, habe es auch auf der Baugrubenseite zum Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, das gegenüber dem Archiv liegt, mehrere fehlerhafte Stellen in der Schlitzwand gegeben, die zu immensem Wassereinbruch geführt hätten und deshalb ausgebessert werden mussten. Zu allem Überfluss habe es im Februar 2009 dann noch unerwartete und erhebliche Setzungen am Gebäude des Stadtarchivs gegeben, deren Ursachen erneut hätten erforscht werden müssen.

Ob diese Ereignisse damals denn Hinweise auf eine gefährliche Situation gewesen seien? Dies sei eindeutig der Fall, antwortete der Professor. In der Summe der Vorkommnisse hätten die Bauarbeiten sofort gestoppt werden müssen, betonte Sennewald, dem auch das Verhalten der Arge-Unternehmen nach dem Unglück befremdlich vorkam. 

Die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) hätten ihm jegliche Unterstützung bei dem Versuch angeboten, die Einsturzursache aufzuklären. Doch der Anweisung durch einen KVB-Mitarbeiter, ihm sämtliche Unterlagen zur Verfügung zu stellen, seien die Arge-Firmen nicht nachgekommen. Im Gegenteil: Eine "konstruktive Problemlösung" sei nicht einmal "im Ansatz zu erkennen" gewesen. Als "nicht nachvollziehbare" Begründung für den Boykott sei ihm lediglich gesagt worden, die Geschäftsleitungen der Unternehmen hätten ein striktes Informationsverbot für alle Mitarbeiter verhängt, so Sennefeld.

Der Münchner Experte hält zudem nichts von der These eines plötzlichen und unvorhersehbaren hydraulischen Grundbruchs als Ursache für den Einsturz, wie es in der Öffentlichkeit geheißen hatte. Diese Variante könnte als unvermeidbares Risiko eingeschätzt werden, als Schicksalsschlag also, für den eventuell nicht die Firmen, sondern ausschließlich deren Versicherungen aufkommen müssten.

Naheliegend als Ursache jedoch sei vielmehr die Vermutung, dass in den Monaten vor dem Einsturz entweder die Beschaffenheit des Bodens falsch eingeschätzt wurde oder eine fehlerhafte Schlitzwand zum Einbruch geführt habe, so Sennewald. Würde sich diese Einschätzung bestätigen, könnte einigen der beteiligen Firmen zumindest eine Mitschuld an dem Unglück gegeben werden.

Lücken in der Schlitzwand als denkbare Unglücksursache nannten nach Informationen des "Kölner Stadt-Anzeiger" außer einem Gutachter auch die Mitarbeiter einer Brunnenfirma, die am 3. März 2009 in der Baugrube gearbeitet hatten. Das Wasser sei seitlich eingedrungen, hieß es bei der polizeilichen Vernehmung. Er habe etwa einen Meter oberhalb des Baugrunds schon Stunden vor dem Einsturz zwei Austrittsstellen gesehen, betonte einer der Zeugen. Dies indes widerspricht den Angaben von Mitarbeitern einer Tiefbaufirma, die einen fontäneartigen Wasserausbruch aus dem Boden beobachtet haben wollen, was einem hydraulischen Grundbruch entsprechen könnte.

Er wolle sich nicht an "Spekulationen" beteiligen, sagte Sascha Bamberger von der Bilfinger Berger AG, die für die Arge-Unternehmen spricht. Die Ursachen des Einsturzes, bei dem zwei Menschen starben, seien weiterhin völlig unklar. Ergebnisse der vor Ort tätigen Gutachter seien erst in einigen Monaten zu erwarten.

Für Rechtsanwalt Andreas Kerkhof, der die Angehörigen eines der Opfer der Katastrophe vertritt, scheint schon jetzt eins klar zu sein: "Die bisherige Aktenlage jedenfalls lässt auf Pfusch und Schlamperei am Waidmarkt schließen."

Verdacht auf fahrlässige Tötung und Baugefährdung

Nach dem Einsturz des Stadtarchivs am 3. März 2009, bei dem zwei junge Männer zu Tode gekommen sind, hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen. Geprüft wird der Verdacht der fahrlässigen Tötung und der Baugefährdung. Es gilt als sicher, dass das Unglück mit den Bauarbeiten für die U-Bahn im Zusammenhang steht.

Die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) als Bauherr haben ein gerichtliches Beweissicherungsverfahren beantragt. Dafür sind mehrere Gutachter im Einsatz. Die Staatsanwaltschaft wiederum hat eigene Sachverständige mit der Suche nach der Einsturzursache beauftragt. Weitere Experten sind für die Bauunternehmen tätig. Noch ist offen, wann die ersten Gutachter-Ergebnisse vorliegen. Die Kosten für den Einsturz werden auf über eine Milliarde Euro geschätzt. (det)