Die Klagewelle: ein kurzer Überblick über "Hartz IV"

Die erste rot-grüne Bundesregierung sah sich 2002 gezwungen, Arbeitsmarktreformen einzuleiten. Ein ganzes Jahrzehnt lang hatte der bundesdeutsche Arbeitsverwaltungs- bzw. Arbeitsvermittlungsapparat in Gestalt von "Arbeitsämtern" bis hin in die Spitze, der "Bundesanstalt für Arbeit" in Nürnberg, systematisch Zahlen zu den vermittelten Arbeitsplätzen manipuliert. Und dies in einem Umfang, der jegliches Vorstellungsvermögen sprengte: Bis zu 70% aller Erfolgszahlen waren getürkt. So die Prüfungsergebnisse des Bundesrechnungshofs.

Warnende Hinweise, dass es bei den regelmäßig als Erfolg gefeierten Zahlen auf dem Arbeitsmarkt nicht mit rechten Dingen zugehen könne, gab es mehrfach. Sie begannen bereits Anfang der 90er Jahre. Aber Whistleblower haben hierzulande einen schweren Stand. Wir haben das Vorspiel zu den Arbeitsmarktreformen rekonstruiert: Gegen gefälschte Statistiken in den Arbeitsämtern: Erwin BIXLER.

Im Jahr 2002 dann der große Paukenschlag, als alles aufgeflogen war. Jetzt musste die Politik reagieren.

Bundeskanzler Gerhard SCHRÖDER (SPD) holte sich einen "Experten", der eine umfassende Reform mit Gutachten vorbereiten sollte: Peter HARTZ, Vorstand für Personalfragen beim niedersächsischen Automobilkonzern VW. Dort hatte HARTZ bereits ein eigenes, sehr erfolgreiches Arbeitszeitmodell praktiziert. HARTZ indes leistete mehr. Um den hauseigenen Betriebsrat geschmeidig bzw. gefügig zu machen, hatte er ein gut funktionierendes System aus sogenannten Lustreisen für seine Gewerkschafter und Betriebsräte installiert: Wer sich einmal (oder mehrmals) auf Unternehmenskosten in einem der europäischen Edelpuffs austoben darf, zeigt sich bei späteren Entscheidungsfindungen, egal ob bei Betriebsrats- oder Aufsichtsratsversammlungen, rasch einsichtsfähig. Mehr dazu unter www.ansTageslicht.de/VW.

So gab es mehrere Reformen. Auf Hartz I folgte Hartz II und III und dann - als krönender Abschluss gedacht - Hartz IV. Die Reformen waren als Bestandteil in die später verkündete "Agenda 2010" eingebettet.

Doch das, was (zunächst) als Reform bzw. "Hartz IV" zelebriert wurde, entwickelte sich zunehmend zum Desaster:

  • Unzureichende, weil wenig präzise Formulierungen in den Gesetzestexte
  • diverse Computerprobleme
  • eine dramatische Anzahl von falschen Bescheiden
  • sowie Personalmangel

führten dazu, dass das Konstrukt Hartz IV nach wie vor weit entfernt davon ist, reibungslos zu funktionieren. Im Gegenteil: Die Sozialgerichte kamen mit der Bearbeitung von eingegangenen Klagen verärgerter Hartz IV-Empfänger gar nicht mehr hinterher. Und täglich wurden es mehr. Bis heute ist die Klageflut ungebrochen.

Gleichzeitig aber auch die Erfolgsaussichten, vor den Sozialgerichten Recht zu bekommen. Dies hat die Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Fraktion DIE LINKE im April 2013 bestätigt. So steht "Hartz IV" zum einen für einen nicht wirklich gelungenen Reformversuch, auf der anderen für erneute statistische Tricksereien und Praktiken in den Jobcentern (die früher Arbeitsämter hießen). Denn das eigentliche Problem bleibt nach wie vor ungelöst: Die Arbeitslosigkeit auf ein 'normales' Niveau abzusenken. Anders gesagt: das Problem an der Wurzel zu lösen. Das aber würde grundlegende Veränderungen in unserem tradierten Gesellschafts- und Wirtschaftssystem voraussetzen. 

Darum geht es hier nicht. Wir dokumentieren, wie sich die Arbeitsmarktreformen bis heute entwickelt haben. Insbesondere "Hartz IV". Und wie sich das für die Betroffenen auswirkt: in der Chronologie der Hartz-Gesetze.

Und wir lassen zwei 'Betroffene' zu Wort kommen: 
Hartz IV-Betroffene als Experten.

Es berichten

  • eine Redakteurin, die im Rahmen eines Selbstversuches vier Wochen lang von Hartz IV gelebt hat
  • sowie eine Auszubildende, die einen Rechtsstreit mit der ARGE führen musste. 

Was es mit den ganzen Regelungen und neuen Begrifflichkeiten (Haushaltsgemeinschaft, Bedarfsgemeinschaft) auf sich hat, klären wir im Hartz IV-Lexikon. Üblicherweise ist es auch so, dass es viele Selbstberufene gibt, die der Meinung sind, von hohem Roß aus anderen Ratschläge und Empfehlungen geben zu müssen. So auch Thilo SARRAZIN, lange Zeit Finanzsenator von Berlin. Er weiß - angeblich aus eigener Erfahrung: Man kommt mit weniger als 4 Euro pro Tag fürs Essen wohlbekömmlich aus. Nachzulesen unter Thilo SARRAZIN's Rezepte.

Zudem können Sie sich Dokumente zum Thema Hartz IV ansehen. Dazu gehört zum Beispiel auch ein Musterantrag auf ALG II. Das TV-Magazin panorama beim NDR hatte sich als eines der Medien als erstes mit der Klageflut gegen Hartz IV beschäftigt. Hier geht es zu den panorama-BerichtenUnter Interview mit panorama -  Autor Volker STEINHOFF können Sie zu den Berichten weitere Informationen aus erster Hand erfahren. 

Und wer weitere Hinweise und Tipps benötigen sollte, z.B als Betroffener, erfährt dies unter Wer kann im Zweifel weiterhelfen?

Wenn Sie diese (leider wohl unendliche) Geschichte bzw. dieses Thema direkt aufrufen oder verlinken wollen, so können Sie das tun unter www.ansTageslicht.de/HartzIV.

 

(JL)