Frontal 21, 03.05.2005

von Jörg BRASE, Johannes HANO

Terrorverdächtige vom CIA verschleppt?

Ein Gulfstream-Jet startet in Shannon, Irland - vermutlich eines jener geheimen Flugzeuge, mit denen maskierte Überfallkommandos der CIA auch Bürger aus Europa entführen - zum Verhör in Länder wie zum Beispiel Afghanistan. Jahrelang sahen die Europäer dabei nur zu. Jetzt aber könnte diese Praxis zu einem diplomatischen Konflikt zwischen Europa und Amerika führen.

"Der Verdacht, dass hier Bürger gekidnappt worden sind, der Freiheit beraubt worden sind und ohne rechtsstaatliche Verfahren behandelt worden sind, das ist für Bürger der EU so wenig hinnehmbar, wie das generell nicht hinnehmbar ist. Und da werden wir schon nachhaken", sagt der Fraktionsvorsitzende der SPE im EU-Parlament Martin Schulz.

Verhaftung eines Unschuldigen

Der Fall des deutschen Staatsbürgers Khaled el Masri spielt dabei eine zentrale Rolle. Ende 2003 wird er in Mazedonien verhaftet. Ein US-Kommando bringt ihn mit einem Flugzeug nach Afghanistan. In der Nähe von Kabul wird er angeblich in einem CIA-Gefängnis, Codename "Salt Pit", monatelang zu mutmaßlichen Terrorkontakten verhört.

Doch die Amerikaner haben einen Unschuldigen geschnappt. Nach amerikanischen Geheimdienstquellen werden CIA-Chef Tenet und Sicherheitsberaterin Rice darüber informiert und ordnen seine Freilassung an. Doch noch weitere sechs Wochen wird er festgehalten.

Namen von Verantwortlichen

Auch für den ehemaligen Chefjuristen der CIA, Jeffrey Smith, ein Skandal: "Es ist völlig klar: Die Vereinigten Staaten dürfen weder nach nationalem, noch nach internationalem Recht jemanden ohne Anklage, ohne Grund auch nur einen Tag länger einsperren als absolut notwendig. Und wir haben überhaupt kein Recht jemanden einzusperren, von dem wir wissen, dass es der falsche Mann ist."

Um Khaled el Masris Identität zu überprüfen, hätte es nur wenige Tage gebraucht und nicht viele, lange Monate - meint auch sein Anwalt, Manfred Gnjidic. Dass mit Tenet und Rice erstmals die Namen von Verantwortlichen genannt werden, ist für ihn von entscheidender Bedeutung für eine mögliche Schadensersatzklage gegen die US-Regierung.

Anwalt fordert Entschädigung

"Natürlich ist Khaled el Masri für ein halbes Jahr lang in Afghanistan gewesen und hat viele, viele unglaubliche Leiden erfahren. Und für diese Leiden bedarf es in gewisser Weise einer Art von Wiedergutmachung und Entschuldigung. Und die muss her", sagt Gnjidic.

Allein in Europa sind bisher vier Fälle solcher Verschleppungen durch US-Kommandos bekannt geworden. Neben el Masri, der in Skopje/Mazedonien entführt wurde, gibt es den Fall des Islampredigers Abu Omar in Mailand, und den von zwei ägyptischen Asylbewerbern in Stockholm.

SOZIALDEMOKRATEN IM EU-PARLAMENT FORDERN AUFKLÄRUNG (TEIL 2)

Frontal21 liegen Verhörprotokolle vor. Darin berichten schwedische Geheimdienstmitarbeiter, wie die Übergabe von zwei ägyptischen Asylbewerbern auf dem Stockholmer Flughafen Bromma Ende 2001 ablief.


Jörg Brase und Johannes Hano

Die zwei Männer sollten von Schweden an Ägypten ausgeliefert werden. Die CIA bot ihre Hilfe an und schickte ein Flugzeug. Doch dann lief alles ganz anders ab.

Der Chef der schwedischen Sicherheitspolizei berichtete in einem Verhör, wie ein vermummtes Einsatzkommando aus dem kleinen Privatjet sprang: "Meine Leute draußen auf Bromma waren ziemlich überrascht. Es war klar, dass die Amerikaner so was schon oft gemacht hatten. Die Truppe hatte große Routine in diesen Sachen. Alles, was die machten, lief blitzschnell, wie am Schnürchen ab. Sie haben die beiden nicht normal ausgezogen, sondern ihnen die Kleider vom Leib geschnitten, und dann haben sie ihnen Kapuzen aufgesetzt."


Überflugrechte für Europa

Diese Aussagen des schwedischen Sicherheitschefs decken sich genau mit den Angaben, die Khaled el Masri über den Ablauf seiner Verschleppung in Skopje gemacht hat.

Schweden nahm das Angebot der CIA vor allem aus einem Grund an, berichtet der Sicherheitschef: "Es ging darum, dass ein Flugzeug, das die Amerikaner hatten, unmittelbaren Zugang zum europäischen Luftraum hatte und somit die Vollstreckung sehr schnell vollzogen werden konnte."


Geheime CIA-Maschinen

Für die CIA ist es offenbar leichter, in Europa Überflugrechte zu bekommen, als für ein Mitgliedsland der Europäischen Union. Nach Recherchen von Frontal21 tauchen die geheimen CIA-Maschinen überall in Europa auf. In rund 2,5 Jahren landeten die Jets weit über 80 Mal allein in Ramstein und Frankfurt am Main.

Sollte auch nur einer dieser Zwischenstopps in direktem Zusammenhang mit einer illegalen Verschleppung stehen, dann - meinen Juristen - habe die Bundesrepublik ein Problem.


Völkerrechtliche Mitverantwortung

"Wenn der deutsche Luftraum beziehungsweise deutsche Flughäfen dafür genutzt würden, um Personen in Länder zu schaffen, in denen sie unmenschlich behandelt würden, oder gefoltert würden, dann würde eine völkerrechtliche Mitverantwortung der Bundesrepublik Deutschland bestehen", sagt der Völkerrechtler Georg Nolte von der Universität München.

Wir fragen Regierungssprecher Bela Anda: "Was tun sie denn, um zu verhindern, dass sich solche Entführungen und Verschleppungen in Deutschland, in Europa, in Zukunft nicht wiederholen?"


Der Staat muss seine Bürger schützen

"In Ihrer Frage liegt eine Feststellung. Ich mache mir diese Feststellung nicht zu eigen. Dies ist Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen. Die werden von der Staatsanwaltschaft München durchgeführt. Und dort wird es auch verfolgt. Das Verfahren ist nicht abgeschlossen. Und deswegen - auch deswegen - werde ich mich dazu nicht äußern", so Anda.

Die Angst vor einem Konflikt mit den USA ist offenbar so groß, dass dem Regierungssprecher noch nicht einmal eine Selbstverständlichkeit über die Lippen geht, dass es natürlich Aufgabe des Staates ist, seine Bürger zu schützen. Beim Europäischen Parlament dagegen nimmt man die Sache sehr ernst. Schließlich geht es um schwere Straftaten und die Verletzung aller Rechtsgrundsätze in der Europäischen Union, meint Schulz.


Forderung nach Aufklärung

"Wir prüfen zur Zeit, mit welchem Instrumentarium wir die Kommission und den Rat, also die Vertretung der Mitgliedstaaten, mit dem Fall konfrontieren können. Wir sind schon der Auffassung, dass, wenn die Verdachtsmomente, die sich ja immer mehr erhärten, zutreffen, wir Aufklärung darüber haben wollen, wie die EU in der Lage ist, einen Bürger eines Mitgliedsstaates der EU vor solchem rechtswidrigem Tun des Geheimdienstes eines befreundeten Staates zu schützen. Also so kann das nicht laufen, und deshalb wollen wir da Aufklärung haben", so Schulz.

Während die CIA-Maschinen weiter im Einsatz sind, schweigt Berlin und versteckt sich hinter den Staatsanwälten. Dass die den Fall aufklären können, ist zweifelhaft. Denn dafür bräuchte es politischen Druck auf Washington. Der kommt jetzt - wie es aussieht - aus dem Europäischen Parlament.

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