Stephen Grey's Netzwerk

Synergieeffekte in einem funktionierenden journalistischen Netzwerk

An der Enthüllung der "rendition-flights" und der weltweiten Folterverhör-Logistik der CIA waren anfänglich nur einzelne Journalisten beteiligt, die zunächst noch garnicht ahnen konnten, was sie da beobachtet und beschrieben hatten. Erst der britische Journalist Stephen GREY konnte dieses logistische System detaillierter und im Zusammenhang beschreiben. Dies war ihm aber nur möglich, weil es ihm gelang, alle Journalisten, die in irgendeiner Form darüber recherchierten, in einer Art Netzwerk zusammenzubinden. Die umfänglichen Ergebnisse hat er in seinem spannenden Buch beschrieben: "Das Schattenreich der CIA. Amerikas schmutziger Krieg gegen den Terror" (432 Seiten, Verlag DVA, 17,90 €). Dort sind alle Recherchewege und sehr viele Quellen minutiös beschrieben und wer ihm dabei geholfen hat.

Marco HEDINGER, Redaktionsmitglied von ansTageslicht.de hat Stephen GREY in London besucht und viele zusätzliche Informationen mitgebracht. GREY's Netzwerk hat er hier kompakt analysiert.



 

Winter 2001/2002, New York/Washington

Nach den Anschlägen des 11. September 2001 war der britische Journalist Stephen GREY für die Sunday Times, London, in den USA, um die Hintergründe der Anschläge zu recherchieren. Die Sonntagszeitung hatte insgesamt 30 Journalisten, teilweise auch Freie, mit Recherchen weltweit beauftragt. Auch DER SPIEGEL war mit ähnlicher Truppenstärke unterwegs.

Unter anderem fiel das neu eröffnete Gefangenenlager Camp X-Ray in Guantanamo auf Kuba in das Interesse der Journalisten. In Washingtoner Journalistenkreisen zirkulierte das Gerücht, dass dieses Lager nur die Spitze des Eisbergs eines weltweit verstreuten Gefängnissystems der CIA war, von dem die Öffentlichkeit nichts erfahren durfte.

Einen ersten konkreten Hinweis erhält GREY vom Kongressmitglied und Sprecher des Geheimdienstausschuss, Peter GOSS, der im August 2004 Chef des CIA werden und den in die Kritik geratenen George TENET ablösen wird. „It’s called a ‚rendition’. Do you know that?”, sagt GOSS Ende 2001. Menschen durch Gefangennahme und rendition außer Gefecht zu setzen, sei sehr effektiv!

GREY erhält einen weiteren Hinweis durch einen geschäftlichen Kooperationspartner der CIA, der ihm eine ähnliche Richtung vorgibt, die 1972 auch der damals der geheimnisumwitterte Informant „Deep Throat“ den beiden Washington Post-Reportern empfohlen hatte, die später den Watergate-Skandal ans Tageslicht brachten. Deep Throat damals: „Geht dem Geld nach!“. Der Informant zu GREY 2002: „Halten Sie nach Guantanamo Ausschau, sehen Sie sich die Presseverlautbarungen an. Sie werden feststellen, dass Gefangene kommen und dass Gefangene gehen. Fragen Sie sich, was mit diesen Leuten geschieht: Wohin gehen sie, und wie werden sie transportiert?“

GREY schreibt Berichte über die weltweiten Aktivitäten bei der Suche nach Bin Laden, über den drohenden Irak-Krieg usw.. Die geheimen Überstellungen (renditions) lassen ihn jedoch nicht los. Zwar verfügt die investigative Rechercheabteilung „Insight“ derSunday Times über einen komfortablen Etat, der Chefredakteur will dafür aber regelmäßig Ergebnisse sehen. Um diese ‚Quote’ erfüllen zu können, werden zwar Themen aufgerissen, aber nur sehr selten wirklich ausrecherchiert. Für das Thema renditions bleiben keine freien Kapazitäten.

Im Herbst 2003 entschließt sich GREY, seinen angestellten Job zu kündigen und als freier Journalist zu arbeiten. Sein Recherchethema: die renditions, über die man zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehr viel weiß: 4 ganze Artikel weltweit wurden dazu bisher veröffentlicht. Warum es bisher nur so wenig Berichterstattung gab, erfahren Sie unter Wie die Welt von den geheimen Foltergefängnissen erfuhr

 

Ein Renditionopfer erzählt seine Geschichte

Einer der ersten, der aus solch einer Gefangenschaft entlassen wurde, war Maher ARAR. GREY treibt ihn auf und lässt sich von dem Kanadier bis ins kleinste Detail die Umstände seiner Entführung schildern. Das Ergebnis waren viele kleine Hinweise über das Flugzeug, das Agententeam, das ihn begleitete, die Reiseroute und Reisezeiten.

Als wichtigstes Indiz stellen sich ARAR’s Aussagen über die Flugroute heraus. ARAR konnte in dem kleinen Jet auf einem Monitor verfolgen, welche Stationen sie zu welchen Zeiten anflogen. Der Journalist versucht daraufhin Daten über die Flugbewegungen aus dieser Zeit zu besorgen. Die Recherche wird durch das Informationsfreiheitsgesetz (FOIA) der USA möglicht: Jeder Bürger weltweit hat das Recht, (fast) alle gesammelten Daten und Informationen, Akten und sonstige Materialien bei US-Bundesbehörden einzusehen. Im konkreten Fall kann sich GREY Massendaten über tausende von Flugbewegungen in und aus den USA direkt von der Website der amerikanischen Bundesluftfahrtbehörde FAA bestellen.

Mittels einer sehr speziellen Software, die üblicherweise von Kriminalfahndern, Sicherheitsbehörden, Geheimdiensten und ähnlichen Security-Institutionen genutzt wird, gelingt das gezielte Filtern: GREY kann ein Flugzeug zu identifizieren, das an dem betroffenen Tag alle Flughäfen anflog, wie ARAR es beschrieben hatte. Ein Beweis für die Beteiligung der CIA war das nicht, aber dafür, dass es dieses Flugzeug gab, das exakt den Aussagen von Maher ARAR entsprach. Die Geschichte des entführten Opfers gewinnt an Glaubwürdigkeit.

 

17.05.2004, Stockholm/London – Erste Veröffentlichungen

Um ausreichend internationale Aufmerksamkeit für seine bisherigen Recherchen zu bekommen, nutzt GREY die internationale Empörung über die Folterbilder aus dem irakischen, aber unter US-Militär- und CIA-Verwaltung stehenden Gefängnis Abu Ghraib. Er veröffentlicht seine ersten Erkenntnisse als Titelstory im New Statesman"America’s Gulag“.

Zufällig am selben Tag berichtet in Schweden ein Journalistenteam des Kanal TV4 in der Sendung Kalla Fakta über ihre Recherchen über eine schwedischen Beteiligung an einer CIA Operation am Flughafen Stockholm/Bromma. Zwei Ägypter wurden nachts durch eine Gruppe maskierter Männer mit einem Privatflugzeug, einer Gulfstream V, in ihr Heimatland deportiert.

Die schwedischen Journalisten sind zu diesem Zeitpunkt bereits einen Schritt voraus. Sie haben die Registrierungsnummer N-379P des Flugzeugs in einem pakistanischen Zeitungsartikel gefunden. Sie ermittelten die Betreiberfirma des Flugzeugs in den USA und es gelang ihnen sogar, eine Bestätigung über eine Beteiligung der amerikanischen Regierung zu bekommen. Wie die drei Reporter vorgegangen sind, können Sie hier nachlesen.

Stephen GREY ist sich im Klaren – nach insgesamt 2 ½ Jahren Dranbleiben am Thema und nach einem Jahr selbstständiger Recherche als freier Journalist - , dass die Chancen höher wären, alles aufzudecken, wenn die Journalisten ihr gewonnenes Wissen teilen und miteinander kooperieren würden. Er fliegt nach Stockholm, um das Team von Kalla Fakta zu einer Kooperation zu bewegen. Die stimmen sofort zu.

Durch die beiden Veröffentlichungen stieg allerdings die Gefahr, dass die CIA die Spuren ihrer Gulfstream schnell wieder verwischen würde. Diese Befürchtung war berechtigt. Was die Journalisten zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, ist das die Registrierungsnummer schon im Jahr zuvor auf Antrag der Firma Premier Executive Transport geändert wurde. Jetzt war ein Zusammenlegen aller Informationen gefragt: die Flugdaten der FAA, die Möglichkeit Flüge im Internet verfolgen zu können(fboweb.com), sogenannte Planespotter, die einzelne Aufnahmen vom Privatjet gemacht hatten und ein persönlicher „Deep Throat“ von Stephen GREY, ein Informant aus der Flugindustrie, der die Möglichkeit hatte, Flugrouten weltweit zu rekonstruieren.

Die Auswertung aller verschiedenen Resssourcen bringt eine umfangreiche Dokumentation fast sämtlicher Bewegungen des Flugzeugs Gulfstream V mit der Kennung N-379P. Die erste Maschine der CIA ist enttarnt.

 

Mallorca, Skopje, Kabul und zurück - Die Spur von MASRI'S Entführer

Nachdem GREY in seinem Artikel „US accused of ‚torture flights’“ in der Sunday Times (14.11.2004) zu erkennen gibt, dass er im Besitz von Bordbüchern der CIA Maschinen ist, melden sich weltweit andere Medien, um diese zu bekommen. GREY hält sich bewusst damit zurück: andere sollen damit keine Geschichten erfinden und auf die Flugdaten hin ‚trimmen’ können, sondern er will – umgekehrt - Schicksale anhand dieser Daten abgleichen und verifizieren können. Genau diese Strategie sollte bei den Schilderungen von Khaled EL MASRI eine entscheidende Rolle spielen.

Eine heiße Spur des Kalla Fakta - Teams war die ermittelte Betreiberfirma Premier Executive Transport. Die hatte neben der kleinen Gulfstream (Kennung N-379P) noch eine weitere Maschine: eine große Boing 737 mit Kennung N-313P (hier im Anflug auf Palma de Mallorca). Die beiden Fotos, auf die wir verlinkt haben, zeigen die beiden fraglichen CIA-Flugzeuge mit den entsprechenden Kenn-Nummern.

Auch El MASRI, Anfang 2004 in Skopje (Mazedonien) von CIA-Kidnappern nach Afghanistan entführt und ein halbes Jahr wegen „Verwechslung“ wieder freigelassen, konnte – wie der Kanadier Maher ARAR - konkretere Angaben über seinen unfreiwilligen Flug über Bagdad nach Kabul zu machen. Mittels dieser Inforamtionen, ist es ihm möglich, auch diese Flugbewegungen bei der Boing N-313P nachzuvollziehen und in der New York Times, zu veröffentlichen. Für die Glaubwürdigkeit der Aussagen des Opfers war das sehr entscheidend.

Bei dieser Rekonstruktion entdeckt GREY eine Spur, die direkt zu den Entführern führt: die Boing kam aus Palma de Mallorca nach Skopje geflogen und kehrte nach ihrer ‚Mission’ aus Kabul wieder dorthin zurück. GREY’s Recherchen auf der schönen Urlaubsinsel werden durch den spanischen Reporter Matias VALLES von der Tageszeitung Diario de Mallorca unterstützt. Die CIA-Greifertruppe war im eleganten Golfhotel „Mariott Son Antem“ abgestiegen: sie ließen es sich gut gehen, besuchten die (teure) Bar, telefonierten nachhause, bezahlten mit American Express und unterschrieben mit (Tarn)Namen.

VALLES’ Artikel über die offenbar regelmäßigen Zwischenstopps von CIA-Kidnappern auf der Trauminsel Mallorca vor Beginn ihrer Rendition-Touren lösen polizeiliche Ermittlungen aus. Die neuen Hinweise der spanischen Staatsanwaltschaft auf die Entführer nutzen die Journalisten John GOETZ und Volker STEINHOFF für das ARD Magazin panorama in Zusammenarbeit mit GREY für weitere Recherchen.

John GOETZ, in Deutschland ebenso zuhause wie in den USA, spürt in Amerika die Tarnnnamen auf: in ihren Heimatorten in ihren Häusern. Diesen Film können Sie hier bei panorama, dem Politmagazin des NDR sehen. Die recherchierten Fakten des panorama-Teams wiederum sind die Grundlage für die Staatsanwaltschaft in München, nun tatsächlich internationale Haftbefehle gegen die CIA-Entführer auszustellen. Und doch scheinen die Agenten nichts befürchten zu müssen. Als die Journalisten im Februar 2007 nachhakten was aus den Haftbefehlen geworden ist, stellten sie erneut Ungereimtheiten bei der Weiterführung der Fahndung fest. Sehen Sie hier, wie sich die Politik um diese unangenehmen Fahndungen winden möchte - auch dies ein enthüllender Beitrag von panorama.

Das Investigativteam der New York Times (NYT), mit dem GREY ebenfalls kooperiert, nimmt die mallorcinischen Spuren auf und recherchiert in Richtung der CIA Tarnfirmen die hinter den Flugzeugen stehen. Die NYT-Journalistin Margot WILLIAMS findet heraus, dass die Identitäten der Entführer in den 90er Jahren kreiert wurden und enthüllt ein ganzes Netzwerk aus Tarngesellschaften der CIA: Verstrickungen zwischen mehreren Fluggesellschaften, die Flugzeuge im Auftrag der CIA rund um den Globus schicken. Meist sind es Leitende Angestellte, die für alle Firmen in Personalunion arbeiten und deren Post auf wenigen Postfächern zusammen läuft.

 

Die Aufdeckung der Flotte

Nach und nach kommen immer mehr Hinweise auf das ‚extraordinary rendition program’ zusammen. GREY sammelt alle und erstellt - wie ein Fahnder - ein ‚Täterprofil’ für verdächtige Flugzeuge. Ein Flugzeug, dass die Landeerlaubnis auf US-Militärbasen hat, typische Ziele im Kampf gegen den Terrorismus wie z.B. Guantanamo, Kabul oder Bagdad anfliegt und zeitgleich mit schon bekannten CIA Maschinen auf gleichen Flughäfen trifft, kommt in die engere Auswahl.

Dem Journalisten gelingt es, 25 Flugzeuge als CIA-eigene Maschinen zu enttarnen. Darüber hinaus entdeckt er, dass diverse weitere Flugzeuge zeitweise durch die US Regierung gechartert und von der CIA für renditions genutzt wurden. Die Chancen für die Glaubwürdigkeit ehemaliger Opfer steigt mit jedem Flugzeug, dass GREY identifizieren kann. Stöbern sie selbst in den Fluglisten des britischen Journalisten.

Viele Hunde sind des Hasen Tod

Stephen GREY hat frühzeitig erkannt, dass es für einen einzelnen Journalisten sehr schwer werden würde, einem übermächtigen Geheimdienst wie der CIA bei einem streng geheimen Programm auf die Schliche zu kommen. Er selbst hat durch die akribischen Auswertungen der Flugbücher das zentrale Wissen über das CIA Programm erhalten. Dieses Wissen teilte er mit Kollegen, die jeweils vor Ort bessere Recherchemöglichkeiten besaßen und durch lokale Kontakte schneller an neue Details kamen.

GREY verstand es, ein transatlantisches journalistisches Netzwerk zu bilden, in dem die Konkurrenz der Medien und berufsspezifische journalistische Eitelkeiten eine eher untergeordnete Rolle einnahmen. Es wurden effektiv über ihn als Schnittstelle alle relevanten Informationen zwischen Europa und den USA ausgetauscht. Ohne diesen journalistischen Zweckverbund wären das weltweite Netz der CIA-Rendition-Flights nie und nimmer ans Tageslicht gekommen.