Zwei Journalisten plaudern aus dem Nähkästchen

Ein Interview mit den beiden SZ-Redakteuren Nicolas RICHTER und Hans LEYENDECKER

Für ansTageslicht.de führten Sebastian PIOCH und Marco HEDINGER mit den beiden Preisträgern jeweils telefonische Interviews. Die wichtigsten Passagen sind hier auf dieser Seite in Absprache mit den Interviewten in einem Interview zusammengefasst zu lesen. Sie können sich die einzelnen Interviews aber auch vollständig anhören:


1) Telefoninterviews als Audiofile:

Telefonisches Interview mit Nicolas RICHTER: mp3-Audiofile (Länge 24:09 Min - 22 MB)

Telefonisches Interview mit Hans LEYENDECKER: mp3-Audiofile (Länge 19:38 Min - 18 MB)
(Die Ladezeiten sind von der Internetverbindung abhängig)


2) Zusammengefasstes Interview zum Lesen:

ansTageslicht.de:
Warum sind Sie Journalist geworden?

Hans Leyendecker (HL): Ich bin Journalist geworden, weil ich gerne schrieb und weil ich mich für manchen Sachverhalt interessiert habe. Das war früher für’s Feuilleton, Theater und für Sport, dann später mehr für andere Geschichten.

Nicolas Richter (NR): Ich habe schon immer die SZ gern gelesen, das Streiflicht, die Reportagen und Kommentare. Während ich Jura studierte habe ich nebenbei für den Lokalteil der Zeitung geschrieben. Das entwickelte sich während der Studienzeit immer weiter und ich begann damit auch ein wenig Geld zu verdienen.

ansTageslicht.de:
Herr Leyendecker, Sie sind dann ja vom Spiegel zur SZ gewechselt („`97“ wirft HL ein) Was war der Grund dafür?

HL: Auseinandersetzungen mit Stefan Aust. Ich hatte mit Stefan großen Krach, und hab’ dann fristlos gekündigt.

ansTageslicht.de:
Was treibt Sie als Journalist an, immer wieder nachzuhaken? Schließlich ist das „Investigative“ ja kein leichtes Feld.

HL: Das ist ein bisschen wie beim Steine sammeln. Was am Anfang noch leicht scheint, wird dann immer schwerer. Ich mach’s ganz gerne, weil manche Leute mich interessieren, viele Sachverhalte. Aber auch ein bisschen wegen der Hoffnung auf Veränderung und schließlich ist es ein Handwerk, für das ich bezahlt werde.

ansTageslicht.de:
Kommen wir zu dem Fall von EL MASRI. Die New York Times berichtete ja als erstes Blatt darüber. War der Artikel für Sie ausschlaggebend um mit den Recherchen zu beginnen?

NR: Ja, ganz klar. Die New York Times hat es enthüllt. Das war Anfang 2005. Wir haben darauf hin Kontakt zu dem Rechtsanwalt von Herrn EL MASRI aufgenommen und einen Interviewtermin in derselben Woche vereinbart. Bei diesem Interview hat er mir seine ganze Geschichte in vier Stunden noch mal erzählt und wir haben dann seine Aussagen mit den Berichten anderer Opfer von Renditions verglichen. Dabei haben wir frappierende Parallelen in den Schilderungen festgestellt. Es bestand also eine große Glaubwürdigkeit an Herrn EL MASRI, obwohl es zu dem damaligen Zeitpunkt keine Beweise für seine Geschichte gab.

ansTageslicht.de:
Es ist ja so, dass viele Organe in diesen Fall involviert sind, das BKA der BND und auch die Bundesregierung. Nun sind ja sehr spärliche Aussagen getroffen worden, wie ist es dennoch möglich Herr Leyendecker, als Journalist in solchen Fällen an die entsprechenden Informationen zu kommen?

HL: Also die offiziellen Auskünfte sind nicht einmal ein Rinnsal. Und bei dem, was man im Hintergrund hört geht es wiederum um die Glaubwürdigkeit. Es ist da die Frage, ob das, was man im Gespräch mit Herrn MASRI oder Herrn GNJIDIC bzw. den Sicherheitsleuten erfahren hat, eine entsprechende Substanz hat. Das sind ja auch nur Quellen und diese Quellen können ja falsch sein.

NR: Eine wichtige Spur waren damals schon die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München gegen die Täter die ja inzwischen auch zu Haftbefehlen geführt haben. Die Staatsanwaltschaft München hatte keine Hilfe von der Bundesregierung erhalten, obwohl, wie man heute weiß, das Innenminister Otto SCHILY von den Amerikanern bestätigt bekommen hatte, dass EL MASRI tatsächlich entführt worden war und dass es sich hierbei um einen Irrtum gehandelt hat.

ansTageslicht.de:
Wie kommen Sie als Journalist an Informationen, die sich hinter der Geheimhaltungsstufe befinden. Welche Mittel und Tricks kann man sich da vorstellen?

NR: Journalisten können nur einen Teil der Aufklärung leisten. Deshalb hat es auch nicht nur von uns, sondern auch von anderen Medien einen großen Rechercheaufwand zu dem Fall gegeben. Aber es gibt im Endeffekt dann doch immer Unterlagen und Kenntnisse, an die Journalisten nicht herankommen, weil die Regierung ein sehr großes Interesse hat, diese Angelegenheiten geheim zu halten. Im Fall MASRI war es eine große Hilfe, dass der öffentliche Druck letztlich dazu geführt hat, dass ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde.

HL: Es lag dann auch die Stärke darin, dass uns im Hintergrund immer wieder Leute an die Hand genommen haben und gesagt haben: „Das ist so.“ Ich glaube, wenn es überhaupt einen Verdienst gibt, dann den, in dieser Geschichte nicht locker gelassen zu haben.

ansTageslicht.de:
Andere Medien sind ja dann auch schnell eingestiegen, insbesondere Stephen GREY aus England. Inwieweit hat’s da eine Zusammenarbeit gegeben?

HL: Also es hat mit allen immer wieder eher eine sporadische Zusammenarbeit gegeben. Es ist ja ein internationales Netzwerk. Das was Stephen GREY gemacht hat, ist höchst verdienstvoll, jene Flugbewegungen rauszusuchen und auch sein Buch ist ein wertvolles Arbeitsmaterial. Ich glaube die Geschichte zeigt, dass wenn Journalisten versuchen, Netzwerke zu nutzen, sie viel stärker sind, als wenn sie als Einzelkämpfer durch die Lande ziehen.

ansTageslicht.de:
Nun, möchte ich hier keine Verschwörungstheorie hervorphantasieren, aber glauben Sie wirklich, dass z.B. die Sache, die in Italien gelaufen ist, (Entführung von Abu Omar) dass die Handys teilweise sehr präzise geortet wurden, glauben Sie, dass einer Organisation wie dem CIA das zufällig passiert, oder können Sie sich vorstellen, dass dort die Medien absichtlich mit diesen Informationen auf eine falsche Fährte gelockt werden sollten?

HL: Sie wollen andeuten, dass die CIA absichtlich handwerklich schlecht war?

ansTageslicht.de:
Ich kann mir schlecht vorstellen, dass denen so etwas „zufällig“ passiert, sagen wir’s mal so.

HL: Doch fortwährend! Also ich glaube, es gibt kaum eine Branche, in der mehr gestümpert wird als in der Nachrichtendienstbranche. Und das gilt auch für die Amerikaner. Wenn Sie dort mal den großen Fällen nachgehen, das ist ja alles nur ein Mythos. Und wenn Sie den deutschen Nachrichtendienst anschauen, wer ist denn früher hingegangen, bevor die Personalfragen etwas schwieriger wurden? Doch die, die am schlechtesten ihr Jurastudium gemacht hatten, mit 4 oder so. Oder die, die nix werden konnten bzw. die die `nen Adelstitel hatten. Das hat sich nun geändert in den letzten Jahren.
Und bei den Amerikanern gab’s ja auch immer Auf’s und Ab’s. Also da glaub’ ich keine Sekunde, dass das irgendjemand konstruiert hat, sondern die haben sich relativ sicher gefühlt, und das, was die Amerikaner jetzt interessiert und auch irritiert, ist ja, dass die Deutschen diesen Sachen so heftig nachsteigen und sogar Haftbefehle erlassen. Das gilt auch für Italien, die haben nicht gedacht, dass die Kumpel, mit denen sie immer zusammenarbeiten, plötzlich gegen sie ermitteln werden.

NR: Natürlich könnte man eine Verschwörungstheorie entwerfen, aber die Frage ist dann, was die CIA davon hätte, dass sie das tut. Die CIA und die US Regierung sind durch die ganzen „Rendition“ - Angelegenheiten („Rendition“ = Überstellung“) unheimlich in ihrer Glaubwürdigkeit und ihrem Image beschädigt worden. Agenten der CIA werden in Europa als kriminelle gesucht, es gibt Haftbefehle aus Italien und Deutschland. Das alles ist keine gute PR für die CIA.

ansTageslicht.de:
Wann entscheiden Sie, ob eine Information veröffentlicht wird, weil die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, oder wann ist diese Information sicherheitsrelevant?

HL: Also die Frage nach der Sicherheitsrelevanz stellt sich für mich gar nicht. Weil nach meiner Meinung alles, unterhalb des Staatsgeheimnisses, aufgeblasen ist. Das Staatsgeheimnis ist eine andere Frage. Aber wenn ich mir angucke, was heutzutage alles als vertraulich eingestuft wird, dann ist das großer Mumpitz der Sicherheits-behörden. Sicherheitsbehörden sind wichtigtuerisch. Wenn Sie sich den Fall CICERO angucken, hatten Sie da zwei Wichtigtuer: das BKA und den Journalisten, der darüber berichtet hat. Die kommen in dieser Geschichte zusammen. Der, der immer darauf verweist wie vertraulich das alles sei – letztlich haben das Papier über 200 Leute gelesen.

ansTageslicht.de:
Sicherheitsrelevanz könnte natürlich auch meinen, dass Quellen Probleme bekommen.

HL: Ja, das ist eine andere Frage. Wenn es klar wird, dass eine Quelle ein Problem bekommt, dann muss man die Quelle darauf aufmerksam machen, wie groß der Verteiler ist und dafür sorgen, dass es einen größeren Verteiler gibt. Dann bekommt die Quelle zwar immer noch Probleme, aber man kann sie mindern. D.h. das ist dann die Fürsorgepflicht, den See sozusagen ein bisschen größer zu machen.

ansTageslicht.de:
Mal angenommen jemand würde sich bei Ihnen als Whistleblower (Informant) äußern und Ihnen Informationen zukommen lassen, die zum einen an die Öffentlichkeit gehören und zum anderen in irgendeiner Form sicherheitsrelevante Daten sind. Wie geht man als Journalist damit um, welche Entscheidungsgrundlagen haben Sie ob es veröffentlicht werden kann oder nicht?

NR: Der Auftrag der Journalisten ist ein anderer als der der Regierung. Journalisten haben den Auftrag die Öffentlichkeit aufzuklären. Wenn Journalisten Hinweise erhalten müssen diese die genau überprüfen. Man darf auch nicht alles für bare Münze nehmen, was man aus den Geheimdienstkreisen erfährt oder was die Opfer sagen. Man muss so gut es geht versuchen die erhaltenen Informationen zu verifizieren, eine weitere Quelle finden und diese auf die Glaubwürdigkeit überprüfen.

ansTageslicht.de:
Herr EL MASRI hat ja immer wieder über „SAM“ geredet, (angeblich ein deutscher BND/BKA – Mann, der el Masri getroffen und nach Deutschland begleitet haben soll Anm. d. Red.) gibt’s da neue Informationen und geht man der Sache überhaupt noch nach?

HL: Ja, sowohl die Behörden gehen dem nach als auch Journalisten. Es gab ja unterschiedliche Geschichten. Wie z.B. von diesem Menschen, der angeblich SAM war, berühmt geworden ist und über den ein Buch geschrieben wurde. Der bestreitet, SAM zu sein und kann auch belegen, dass er an diesen Tagen im Dienst war.
Und dann gibt es eine Geschichte, dass es jemand sein soll, der 25 cm kleiner ist als der, den el Masri beschrieben hat. Die ist auch allerdings nicht sehr wahrscheinlich. Von daher ist es nicht gelöst, aber es ist schon eine wichtige Frage, ob tatsächlich deutsche Sicherheitsbehörden das Parlament und die Öffentlichkeit belogen haben, oder ob das eine Erfindung von MASRI ist.

ansTageslicht.de:
Zum Teil wurde in der Süddeutschen ja auch mit John GOETZ zusammen gearbeitet. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

NR: John GOETZ ist ein freier Journalist, der sich im Prinzip aussuchen kann mit wem er zusammen arbeitet. Er hat viel für das Fernsehen gearbeitet und hat auch schon einige Geschichten in der SZ gemacht. Aber das ist dann keine gezielte Kooperation zwischen den Medien für die Herr GOETZ arbeitet, sondern das ergibt sich dann im Einzelfall.

HL: Ich kenne John GOETZ lange, er ist einer der besten Rechercheure, die es gibt und ich bin dankbar, dass er mitmachte. John Goetz hat immer wieder Zugänge, die man alleine oder auch zu zweit nicht leicht bekommt.
Bei einer Tageszeitung müssen Sie ja viel schneller reagieren, als wenn Sie für ein Monatsblatt arbeiten. Da haben Sie eigentlich ja Zeit. Aber bei einer Tageszeitung gibt’s ganz andere Gesetzmäßigkeiten und deshalb ist es wichtig, dass man Teambildungen anstrebt und Spezialisten zusammenholt. Das ist viel besser als das Prinzip, dass nur der Einzelne seine Geschichte machen muss.

ansTageslicht.de:
Noch mal zurück zum Fall El MASRI. Es ist ja so, STEINMEIER hat vor dem Untersuchungsausschuss ausgesagt, dass er angeblich von nichts gewusst hat. Im Gegenzug hat sich Otto SCHILY für meine Begriffe vor STEINMEIER gestellt, indem er gesagt hat, „Ich wusste davon.“

HL: Also Otto SCHILY ist gleichzusetzen mit Rechthaberei. Der ist ein älterer Mann, der immer noch zeigen will, dass er nie etwas falsch gemacht hat. Also wenn Sie das mal richtig lesen ist das nicht nur so, dass er sagt „Sorry“, sondern er beginnt ja noch Schlachten im Fall KURNAZ, die ja völlig absurd sind.
Beispielsweise wenn er darüber redet, ob KURNAZ einen Feldstecher dabei hatte oder warum er eine Outdoorhose bzw. einen Rucksack trug. Also das ist eigentlich außerhalb dessen, was man ernst nehmen kann.
Im Fall STEINMEIER ist es so, dass man ihn hier als Bürokraten kennen gelernt hat, als totalen Rechthaber. Ich meine die Aussage zu treffen, dass man 2002 im Fall KURNAZ die Sicherheitslage so gesehen hat. […] und dass mit dem Blick den man heute hat dies nun ganz anders sieht und er sich im Nachhinein nicht entschuldigt, dafür wird ihm zwar kein Zacken aus der Krone fallen, aber das kann er offenkundig nicht und das ist eine große Schwäche.

ansTageslicht.de:
Was glauben Sie, inwieweit die Öffentlichkeit, was Geheimdienstaktivitäten angeht, in Sachen Kampf gegen den Terrorismus aufgeklärt ist?

HL: Ich glaube, dass die Leute das nicht interessiert. Ich glaube, dass das nur insoweit interessiert, als dass das den Antiimperialismus bei den Linken und ansonsten den Antiamerikanismus bei den anderen ein Stück weit mitbeflügelt. Aber sobald Sie dann genauer hinschauen, und das kann man am Fall KURNAZ ganz gut erkennen, sagen ja die „Antiimpis“: „Ja ist ja unglaublich – Guantanamo – aber was haben wir eigentlich damit zu tun? Und wieso ist dieser Zottel da überhaupt nach Pakistan gegangen?“ Ich glaube, es ist schwierig, im Journalismus Leute zu finden, die was Neues zu sagen haben, und es ist noch schwieriger Leute zu finden, die was Neues hören wollen.

ansTageslicht.de:
Aber ist es denn nicht so, dass die Leute nur deswegen so ruhig geblieben sind, weil es in beiden Fällen nicht wirkliche „Deutsche“ waren?

HL: Keiner von denen ist Frau KAMPUSCH, das muss man sagen. Gäbe es eine männliche Frau Kampusch und gäbe es eine Möglichkeit, sich mit der Person zu identifizieren, wäre die Reaktion weniger desinteressiert gewesen.
Also diejenigen, die in der CDU in dem Zusammenhang kritische Fragen stellten, haben an der Basis richtig Prügel bekommen. „Was habt ihr mit dem MASRI? Was habt ihr mit dem KURNAZ? Guckt sie euch doch mal an! Was arbeitet der MASRI eigentlich? Kriegt der nicht Sozialhilfe? Wie viele Kinder hat der? Ist doch komisch, dass seine Frau nach Beirut gegangen ist.“ Das sind die Fragen, die die Leute haben.

ansTageslicht.de:
Vielen Dank für das Gespräch!