Asbest - Wunderfaser und Killerstaub. Noch heute

Dass Asbest "gefährlich" ist, hat sich herumgesprochen. Vor dreißig Jahren war das noch anders. Da tobte der Kampf um die Deutungshoheit zwischen drei Fronten:

  • Auf der einen Seite 3 Gruppen: Die Industrie, die mit dem Mineral der "1000 Möglichkeiten" arbeitete, sowie ihre Berufsgenossenschaften, die - eigentlich - für die Haftung  bzw. Entschädigung der Gesundheitsschäden von Beschäftigten zuständig sind. Mit in ihrem Board: Mediziner und Wissenschaftler, die für die Berufsgenossenschaften - und damit indirekt für die Industrie - tätig waren.
  • Auf einer ähnlichen Seite, jedenfalls lange Jahre: die Gewerkschaften, denen Arbeitsplätze wichtiger waren als die meist tödlichen Gesundheitsschäden ihrer Mitglieder. (Asbest)Tote zahlen keine Beiträge.
  • Und diametral auf der anderen Seite: einige wenige Wissenschaftler, die sich nicht - direkt oder indirekt - kaufen ließen. Und einen mühevollen Kampf fochten.  

Inzwischen ist Asbest verboten. Wer gewonnen hat, scheint klar. Aber der Schein trügt.

Schaut man sich an, wer heute für einen Asbestschaden "entschädigt" wird (soweit das überhaupt möglich ist), muss kämpfen: gegen das System der Gesetzlichen Unfallversicherung (GUV). Konkret gegen die Berufsgenossenschaften und ihr zentrales Dach, die "Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung" (DGUV), ein eingetragener privatwirtschaftlicher Verein. Die Quote derer, die einen berufsbedingten Gesundheitsschaden anerkannt bekommen, ist nicht eben hoch:

  • Bei der "Asbestose" sind das 56%, aber nur 15% bekommen überhaupt eine Rente als Entschädigung dafür, dass sie nicht mehr arbeiten (und nicht mehr lange leben) können.
  • Beim Lungenkrebs ("Bronchialkarzinom") werden nur 16% anerkannt und 14% werden finanziell entschädigt.
  • Der aggressivste Asbestkrebs, das "Mesotheliom", das nur durch Asbest entsteht und bei dem der Nachweis einer berufsbedingten Schädigung am einfachsten ist, sind es (immerhin) 75%. Da ist der Anteil der vorzeitigen Rentenbezieher am größten. Dafür ist aber auch der Tod am schnellsten. Wird ein Mesotheliom diagnostiziert, das sich urplötzlich gebildet hat, ist nach einem Jahr alles vorbei.

Offiziell sterben jedes Jahr mehr als 1.600 Menschen an einem vorzeitigen asbestbedingten Tod. Unter großen Qualen. In Deutschland. Aber das sind auch nur die offiziellen Zahlen, zu denen wir später mehr schreiben werden. Weltweit sind es übrigens jährlich 200.000 Tote. 

So verlaufen die Frontlinien heute vor allem zwischen

  • einzelnen Menschen, die geschädigt sind und die mühevoll um ihr Recht kämpfen müssen,
  • und dem gigantischen System der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung mit all ihren Institutionen sowie ihren beauftragten Arbeitsmedizinern und Wissenschaftlern:

viele kleine Davids gegen einen übermächtigen Apparat, den Goliath.

Die Auseinandersetzung läuft aber auch hinter den Kulissen: auf der Ebene der medizinischen Wissenschaft. Die wird regelmäßig eingespannt, um Ansprüche auf ihre Kausalität hin zu begutachten, was schon nach den eben genannten Zahlen auf ein Abwehren hinausläuft. Wer vor Gericht klagt, hat noch weniger Chancen. Dort geht es nur in 10% aller Fälle positiv für die Betroffenen aus. 

Die Wissenschaft namens "Arbeitsmedizin" versteht sich zwar als unabhängige Wissenschaftsdisziplin, de facto steht sie aber in Diensten der Gesetzlichen Unfallversicherung. Dies haben wir vor einiger Zeit in einem etwas anderen Zusammenhang dokumentiert und dabei Roß & Reiter genannt: unter www.ansTageslicht.de/DGUV.

Gerade bei Asbest stellt sich die Mehrzahl der Arbeitsmediziner noch heute, wenn sie als "Gutachter" auftreten, gegen die Ansprüche der Betroffenen. Wer regelmäßig derlei gut dotierte Jobs übernehmen möchte, tut gut daran, nicht aus der Reihe zu tanzen. Und nur wenigen liegt die Gesundheit der arbeitenden Menschen, in diesem Fall die finanziellen Entschädigungen derer, die ihre Gesundheit am Arbeitplatz geopfert haben, mehr am Herzen als Kosten- und Renditekalkulationen.

Das sehen die natürlich anders. Aber die so Kritisierten vermögen nicht einzusehen, dass sie sich in einer "kognitiven Falle" stecken, wie das die Soziologen nennen: Sie befinden sich in einem Interessenskonflikt. Einen, den sie nicht erkennen können (oder wollen). Und ohne dies zugeben zu können (oder zu wollen).

Wie sich diese wissenschaftliche Auseinandersetzung entwickelt hat, wie sie heute geführt wird und was alles passieren musste, bis die Politik doch noch Konsequenzen gezogen und ein Asbestverbot durchgesetzt hat, ist rekonstruiert unter Warum es so lange gedauert hat, bis Asbest verboten wurde: die darauffolgenden 50 Jahre - Asbestchronologie Teil II.

Dass es länger gedauert hat, bis man - spätestens seit der Jahrhundertwende um 1900 - um die Gefahren wusste, hängt mit der "Latenzzeit" zusammen. Das ist die Spanne zwischen der Asbestbelastung ("Exposition") und dem Zeitpunkt, wenn sich der Gesundheitsschaden auswirkt. Bei Asbest beträgt diese "Latenzzeit" zwischen 20 und 40 Jahren. Dies ist auf der Grafik des Arbeitsmediziners Prof. Dr. med. Xaver BAUR dargestellt: im Zeitraum 1965 bis 2025 nimmt der Asbestverbrauch ab und zeitlich verzögert kumulieren sich die Krankheitsfälle.

Genau so war es auch beim ersten Mal:

Als ab 1870 im Zuge der Hochindustrialisierung Asbest immer öfters eingesetzt wurde und immer mehr Menschen damit in Berührung kamen, dauerte es eben bis etwa 1900, bis die ersten Schäden sichtbar wurden. Aber seither weiß man darum. Aus heutiger Sicht ist das rund 120 Jahre her.

In den USA wurde das Problem offiziell kleingeredet, indem die großen Versicherungsgesellschaften, die für Schadensklagen ihrer Unternehmen einstehen musten, hinter den Kulissen Wissenschaftler gekauft hatten: Um die öffentliche Meinung und die politischen Entscheidungsträger zu beeinflussen. Konkret: um Zweifel zu säen, ob Asbest wirklich schädlich ist. Das ist dokumentiert unter Asbest in den USA: Fake Science und ein Whistleblower.

In Deutschland hatte man die Asbestproblematik offensiv erforscht. Und aktiv bekämpft. Bis 1945 war das Deutsche Reich in dieser Sache weltweit führend. Nach dem totalen Zusammenbruch wollte im Ausland niemand mehr etwas davon wissen - was aus Deutschland kam, war verpönt. Auch die deutsche Wirtschaft und die Politik hatten sich mit dem beginnenden Wirtschaftswunder nicht mehr daran erinnern wollen.

All dies ist rekonstruiert unter Warum es so lange gedauert hat, bis Asbest verboten wurde: die ersten 70 Jahre - Asbestchronologie Teil I.

Im zweiten Teil der Rekonstruktion „Warum es so lange gedauert hat, bis Asbest verboten wurde: die darauffolgenden 50 Jahre“ sind aber nicht nur die Entwicklungen seit 1945 beschrieben. Wir zeigen auch, weshalb einer der für die Berufsgenossenschaften wichtigsten Arbeitsmediziner, seinen kritischen Widersacher, als "Totengräber" bezeichnet hatte. Nicht als "Totengräber" wegen der vielen Asbesttoten. Sondern als "Totengräber der Arbeitsmedizin". 

Und wir haben aber auch die aktuelle Situation dokumentiert. Wir zeigen an 2 Beispielen die Absurdidäten des Systems in seiner heutigen Form:

Beispiel 1:

36 Jahre: 11 Gutachter, 30 Gutachten und kein Ende. So lange kann es dauern, bis man weiß, dass man nicht entschädigt wird. Die DGUV kommuniziert allerdings regelmäßig, dass eine Anerkennung nur "wenige Monate" dauern würde.

Das ‚Wording‘ scheint korrekt: Sie lässt die strittigen Fälle, die lange dauern, offenbar einfach weg.

Aber das war jetzt auch nur die 1. Instanz vor Gericht.

Beispiel 2:

Hier hat es nur 7 Jahre gedauert statt „wenige Monate“. Aber das Anerkennungsverfahren war von vielen Fehlern auf Seiten des Systems geprägt, die nur deswegen ‚geheilt‘ werden konnten, weil Experten der Klägerin zur Seite standen, die nicht auf der Payroll der Berufsgenossenschaften geführt wurden.
Die Klägerin, Witwe des Asbesttoten, sprach gar von „organisierter Leistungsverweigerung“. Und sie hatte zum Schluss die ‚hohe Politik‘ eingeschaltet. Das zuständige Ministerium gab zu: "Dem Ministerium stehen gegenüber den Berufsgenossenschaften fachlich wie dienstrechtlich keine Weisungs- oder Aufsichtsrechte zu"

Der zuständige Ministerialbeamte sprach damit aus, ohne zu merken, was es damit eingestand: Dass das System der (Deutschen) Gesetzlichen Unfallversicherung längst der politischen Kontrolle entglitten ist.

So ist denn jeder, den es betrifft, auf sich alleine gestellt. Wir geben erste Hinweise und Tipps, was man in solchen Fällen machen kann: unter Was kann man tun bei Asbest?

Wie die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung rein formal, sprich offiziell funktioniert, ist erklärt unter Das System der (Deutschen) Gesetzlichen Unfallversicherung. Wie es gedacht war. Und was daraus geworden ist. Und warum.

Wie es tatsächlich funktioniert mit den unterschiedlichen Einflussnahmen auf die relevanten Entscheidungsgremien und wie der Mainstream der deutschen Arbeitsmediziner darin eingebunden ist, haben wir in einem ähnlichen Kontext herausgearbeitet: Das Schattenreich.

Alle anderen Informationen sind immer auf der rechten Navigationsleiste angezeigt. Unter anderem haben wir die 4 typischen und tödlichen Schadensbilder beim Menschen in Kurzform beschrieben

Dieses Thema geht unter ansTageslicht.de/Asbestkrimi zeitgleich am 16. März 2019 mit einer entsprechenden (sehr viel kürzeren) Veröffentlichung in der Süddeutschen Zeitung online und ist in Kooperation entstanden. Unter diesem permanenten Link können Sie alles aufrufen und selbst verlinken.

Das Problem Asbest steht auch in Zusammenhang mit zwei anderen thematischen Schwerpunkten:

  • Zum einen mit dem Problem der Anerkennung von Berufskrankheiten ganz allgemein und die Rolle der Arbeitsmedizin dabei: www.ansTageslicht.de/krankdurcharbeit
  • Zum anderen haben wir dieses Thema fokussiert auf die Problematik sogenannter Fume Events: Wenn die Kabinenluft in Flugzeugen durch toxische Stoffe kontaminiert wird und das Flugpersonal handlungsunfähig wird: www.ansTageslicht.de/Kabinenluft

Wer uns relevante Informationen zukommen lassen möchte, und dies anonym oder via gesicherter Kommunikation, sollte sich vorher durchlesen Wie Sie sicher mit uns kommunizieren können.


Anmerkung: Während in den meisten Ländern der westlichen Welt Asbest nicht nur geächtet, sondern dessen Verwendung auch verboten ist, ändert sich dies gerade in den USA. Nachdem Donald TRUMP das Spitzenpersonal ausgetauscht hat, lässt die Umweltschutzbehörde EPA Asbest wieder für spezielle Verwendungszwecke zu. Da der Abbau in den USA verboten ist, kommt der Chrysotilasbest jetzt aus Russland. Dort freut man sich über die unerhoffte Zusammenarbeit.

(JL)