Was der Familie JANSSEN, soweit sie noch besteht, in Deutschland nicht gelingt, ist in den USA einfacher durchzusetzen. Dort geht jeder, der durch den Arbeitsplatz geschädigt wurde, direkt gegen den Schädiger vor - gerichtlich. Ein System, wie das der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung hierzulande, das als soziales Abwehrsystem, als "Schutzschild für die Industrie" wirkt, wie Hans-Joachim WOITOWITZ sagt, gibt es dort nicht.
1994 sieht sich W.R. Grace & Co. mit einer Strafe durch die EPA (Environmental Protection Agency) konfrontiert - wegen Verletzung von Asbestschutzvorschriften. 1999 wird das "volkswirtschaftlich förderungswürdige" Unternehmen dazu verdonnert, die Mine in Libby zu sanieren; Kostenpunkt 5 Millionen Dollar. Gleichzeitig klagen mehrere ehemalige Beschäftigte aus Cook County/Illinois, die in den 60er und 70er Jahren mit Asbest in Berührung gekommen waren. Kostenpunkt für Grace: rund 200 Millionen Dollar.
Grace kann sich aufgrund seiner breiten Produktpalette wirtschaftlich noch immer halten - im Gegensatz zu anderen großen, aber ausschließlich auf Asbestabbau und Asbestverarbeitung fokussierte Unternehmen. Für die Asbestbranche und vielfach auch weiterverarbeitende Betriebe werden die nächsten Jahre zum finanziellen Desaster.
Sie sehen sich - allein bis zum Jahr 2002 - über 700.000 Schadensersatzklagen ausgesetzt - von etwa 2,5 Millionenen Arbeitnehmern. Das wird 73 Unternehmen in die Pleite reißen. Manche können sich nach Jahren davon wieder erholen. So z.B. auch die Grace & Co, die 2001 in die Knie geht, aber im Rahmen eines regulierten Insolvenzverfahrens ("Gläubigerschutz nach Paragraph 11") durch Verkauf mehrerer Geschäftssparten 2014 wieder selbstständig auf den Beinen stehen kann. Dabei werden rund 250.000 Schadensersatzprozesse abgearbeitet, die zum allergrößten Teil positiv für die Kläger ausgehen.
Das hängt v.a. mit zwei Dingen zusammen:
- In den USA sind bei prozessualen Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber die regulären Gerichte zuständig. Und wenn Gutachter auftreten, werden sie entweder von den Richtern oder den Anwälten gefragt, ob sie bei irgendwelchen Unternehmen oder Institutionen auf der "Pay-roll" stehen und deswegen eine bestimmte Sicht der Dinge propagieren (müssen). Und was sie dafür an finanziellen Gegenleistungen erhalten. Deswegen kommen regelmäßig Abhängigkeiten ans Tageslicht. Und die sagen natürlich einiges über die Glaubwürdigkeit solcher Gutachter und deren Einschätzungen aus. Und das berücksichtigen die Richter bei ihrer Entscheidungsfindung.
- In Deutschland muss man gegen ein (über)mächtiges System klagen, das seinen Einfluss auf allen entscheidungsrelevanten Ebenen manifestiert hat - bis hin zur Justiz, den Sozialgerichten.
Die deutsche Gesetzliche Unfallversicherung wurde zwar vor rund 120 Jahren deswegen von Otto von BISMARCK installiert, um verletzte Arbeiter zu entschädigen. Aber das war nur der indirekte Effekt. Vorrangiges Ziel war, den um sich greifenden Einfluss der sozialdemokratischen Bewegung in Schach halten bzw. eindämmen zu können - nicht die wirkliche Sorge um das Lebens- oder Arbeitswohl der arbeitenden Bevölkerung.
Und so hat sich das gesamte System bis heute tradiert, nur mit anderem Akzent: jetzt als "Schutzschild" für Unternehmen, die zu wenig in die Prävention, konkret in den Arbeits- und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz investieren. Das GUV-System, in dem - nach heutiger Praxis - nur wenige entschädigt werden müssen, ist weitaus billiger. Für die Unternehmen.
Weil hierzulande vor den Sozialgerichten auch die sogenannten Streitwerte sehr gering sind, ist für Rechtsanwälte die Übernahme eines Klageverfahrens gegen das übermächtige System ein Zuschussgeschäft. Kein Anwalt kann da viel Zeit investieren, um die Arbeit derer zu machen, die sie eigentlich machen müssten: die Sozialrichter. Die haben - eigentlich - eine "amtliche Ermittlungspflicht". Aber Anwälte beider Seiten aufeinander loszulassen und zu sehen, was daraus wird, macht weniger Arbeit.
In den USA ist der Justizapparat finanziell anders aufgestellt - Anwälte, die in Vorleistung gehen müssen, liquidieren im Erfolgsfall sehr hohe Honorare - für eingeschaltete Gutachter und Experten, ihre eigene Kanzlei usw. Und so sind im Auftrag der angeklagten Asbestunternehmen und ihrer Rechtsvertreter eine ganze Reihe von Sachverständigen unterwegs, die im Interesse ihrer Auftraggeber gutachten sollen. Und dies auch machen.
(Nur) zwei Namen:
- David M. BERNSTEIN, Ph.D., der als 'unabhängiger' Toxikologe Untersuchungen durchführt, nachdem er Gleiches zuvor jahrelang für die Tabakindustrie gemacht hat. Um zu den passenden Ergebnissen zu kommen, dass Chrysotil längst nicht so toxisch wirkt wie die anderen Asbestsorten Blauasbest (Krokydolith), Braunasbest (Amosit) und natürlich Tremolit der Firma Grace & Co, arbeitet er in seinem Labor mit "pre-treatments" seiner zu untersuchenden Asbestfasern. Für eine seiner gutachterlichen Tätigkeiten dieser Art erhält er 80.000 $. Sein Auftraggeber hat mit Asbest Umsatz generiert: mit Chrysotil.
BERNSTEIN's Ergebnisse werden zehn Jahre später auch für die Begutachtungspraxis beim Deutschen Mesotheliomtegister eine Rolle spielen. - Prof. Dr. Victor R. ROGGLI, Pathologie an der privaten Duke-University in Durham/North Carolina, der bereits 1982 die These von Prof. OTTO übernommen hatte, dass nur 1.000-Asbestfasern eine Minimalasbestose begründen könnten. Findet man nicht so viele, leidet der Erkrankte auch nicht an einer leichten Asbestose. Dies verkündet er landein, landauf und praktiziert es auch - soweit es funktioniert. Dass die Chrysotilfasern eine nur sehr kurze Halbwertzeit haben und man deshalb Jahre später auch keine finden kann, ficht ROGGLI nicht an.
ROGGLI war vorher Regierungsangestellter bei der EPA. Und hatte dabei - sozusagen im 'Nebenberuf' - einen Hersteller von asbesthaltigen Bremsen beraten. Jetzt ist er für jeden, der ihn als "Professor" buchen mag, auf der Basis von 700 $ die Stunde als Zeuge bzw. Sachverständiger / Gutachter unterwegs. - Was er in einem der Gerichtsverhandlungen auf Grund konkreter Fragen bestätigen muss: Mit seinen bisher mehr als 13.000 Auftritten hat er - im Nebenjob sozusagen - annähernd 7 Millionen Dollar eingenommen - so das Gerichtsprotokoll des Superior Court of New Jersey vom 8. August 2018.
Aber Geldverdienen ist nicht strafbar, und in den USA schon garnicht. Allerdings: Bei der Frage nach Ursache und Wirkung pflegen US-Richter in solchen Schadensersatzklagen schon etwas genauer hinzuschauen, wenn Sachverständige gegen sattes Honorar ihre Theorien, Thesen und Einschätzungen kommunizieren. Die Unternehmen lassen sich so etwas kosten - sie können derlei Ausgaben von der Steuer absetzen.
Insgesamt kostet das Asbest-Desaster die amerikanischen Unternehmen rund 70 Milliarden $. 40 davon gehen für die Durchführung der Gerichtsverfahren und die Honorare der "law firms", den Rechtsanwaltskanzleien, und ihren Gutachtern drauf. 30 Mrd. $ landen bei den Geschädigten. Mehr, auch zu solchen 'Handlungsreisenden', unter Asbest in den USA: Fake Sciene und ein Whistleblower