Prof. Dr. L: 1 Gutachter mit 2 Meinungen. Je nachdem, was gewünscht wird?

Dass 90% aller streitigen Verfahren auf Anerkennung einer Berufskrankheit zu Lasten der betroffenen Kläger ausgehen, führt die Bundesregierung auf die „Qualität der eingesetzten Gutachter“ zurück. So in der BT-Drucksache 19/4093, dort auf S. 5 ganz unten.

Hier ein Beispiel für die „Qualität der eingesetzten Gutachter“: Es handelt sich um Prof. Dr. L., Arbeitsmediziner an der Uni Mainz und Vizepräsident der Dt. Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin (DGAUM).

W.E. war das, was man einen bodenständigen Handwerker nennt: beendet mit 15 Jahren sein Lehre, macht seine Prüfungen und sich mit 26 Jahren als Bodenleger selbstständig, verkörpert das Rückgrat der bundes-deutschen Wirtschaft, stattet für die Wohnungsbaugesellschaft GBG in Mannheim ganze Wohnblöcke aus. Er verlegt textile Rollenware, später auch aus Kunststoff, ebenso Flexplatten, muss dazu grundieren, spachteln und kleben und benutzt die handelsüblichen Produkte, die z.B. aus Spezialbenzin, Essigsäureethylester, Trichlorethylen (Trichlorethen), Benzol und Toluol (Methylbenzol) und vielen anderen Chemikalien bestehen. Benzol beispielsweise ist inzwischen verboten.

„Selbstständig“ zu sein heißt: Man arbeitet immer, zahlt seine Beiträge an die Berufsgenossenschaft, macht wenig Urlaub, wird so gut wie nie krank, arbeitet auch noch im Alter von 66. Ein kleineres Leberproblem, das nicht alkoholbedingt, sondern vererbt ist, schleppt er mit sich die ganze Zeit herum, bis er von heute auf morgen ins Krankenhaus eingeliefert werden muss: „hepatozelluläres Leberkarzinom“ – Krebs im Endstadium. W.E. stirbt nach 40 Jahren Selbstständigkeit.

Die Witwe beantragt bei der BG Bau eine Hinterbliebenenrente, sie muss von irgendetwas leben. Die BG lehnt ab. Die Witwe klagt, die BG macht – wie oft und gerne  – „Alkoholabusus“ geltend, was allerdings schnell widerlegt werden kann, und streitet ansonsten wider besseres Wissen jeglichen kausalen Zusammenhang ab.

Die Richter am Sozialgericht (SG) folgen dieser Argumentation. Die Witwe zieht vors Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, auch die lehnen ab: Der beauftragte Gutachter, Prof. L., ein renommierter Arbeitsmediziner von der Universität Mainz, erkennt zwar die „kanzerogene Potenz“ der Stoffe an, aber die Leber sei kein „Zielorgan“.

Weil der Anwalt wegen eines verweigerten Zeugen im Rahmen seiner Nichtzulassungsbeschwerde Glück hat und eine „unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung“ vorm Bundessozialgericht (BSG) geltend machen kann, die die Richter anerkennen (müssen), geht das Verfahren zurück ans LSG: an dieselbe Kammer, an dieselben Richter. Versehen mit einem ‚Wink mit dem Zaunpfahl‘, sich diesen Fall nochmals genauer anzuschauen.

Keine besonders angenehme Situation für die Richter am LSG: Sie sollen jetzt – nach Anhörung des verweigerten Zeugen – erneut entscheiden, aber diesesmal anders.

Offenbar kein Problem. Sie brauchen dazu nur wieder einen Gutachter und beauftragen erneut Prof. L.

Der weiß, woher der Wind weht, und erstellt ein neues Gutachten. Auch für ihn offenbar kein Problem, denn jetzt heißt es in der neuen Beurteilung auf S. 10: „Zusammenfassend ist aufgrund der vorliegenden Akte (die auch damals schon vorgelegen hatte, Anm. d.R.) eine über 37-jährige Exposition des Herrn E. gegenüber organischen Lösemitteln mit dem Zielorgan Leber zu unterstellen.“ 

Was uns Prof. L. unter Hinweis auf diesen Widerspruch geantwortet hat, erfahren Sie unter www.ansTageslicht.de/Letzel

(JL)

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