Die vielen Berichte der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ) 2005 bis 2007, 24.11.2005

von Ulrich Wangemann

Die Marinade deckt alles zu

Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ) , 24.11.2005

BRANDENBURG Zufriedene Gesichter machten die sechs Zollfahnder, als sie am 13. April ihre Betriebsprüfung in der Brandenburger Fleischfabrik beendeten. Nicht weil sie bei der Disselhoff-Sachsenkrone GmbH einen heißen Fang gemacht hatten, sondern weil sie vielversprechend schwere Kartons in ihren Dienstautos mit den Kennzeichen P-1847, P-1704 und P-1842 verstauten: Zwei Pakete Nackenfleisch, ein Paket Bauchfleisch pro Gebinde, vier Kilo pro Mann. Geschenke der Geschäftsleitung für die fleißigen Ermittler. Nur eine Beamtin lehnte ab mit der Begründung, sie möge kein Grillfleisch. Die sechs Fleischliebhaber wurden mittlerweile in den Innendienst versetzt.

Ob die Zöllner ihr Präsent genießen konnten, ist ohnehin fraglich. Das Landeskriminalamt ermittelt inzwischen gegen die Betriebsleitung von Sachsenkrone. Der Vorwurf: Sie soll verdorbenes Fleisch bewusst in den Handel gebracht haben. Der Ekel-Skandal hat Brandenburg erreicht – mit all seinen Brechreiz erzeugenden Details.

Ausgepackt hat einer, der Ecken der Betriebshalle im Ortsteil Schmerzke kennt, die Besucher eher nicht zu Gesicht bekommen. Klaus Gra-bitz, 54 Jahre alt und gebürtiger Brandenburger, reinigte vier Jahre lang die Maschinen bei Sachsenkrone – bis ihn der Betrieb vor einem Jahr hinaus schmiss. Der gelernte Schlosser hatte beim Reinigen des Kühlhausbüros beobachtet, wie ein Mitglied der Betriebsleitung die Präsentkartons für die Zöllner herbeischaffte. Er machte seiner Missbilligung bei seinem Vorgesetzten Luft. Das böse Wort Bestechung soll gefallen sein – Grabitz landete auf der Straße. Und er erstattete Anzeige. Die sechs Seiten sind ein Dokument des Gruselns, eine Anleitung zum Vegetarier-Werden.

Man nehme die „feine Pfanne“, Produktionsstart Herbst 2003. Kunden beanstandeten bald die zu kurze Haltbarkeit und ließen das Produkt zurückgehen. Einen Teil der Ware vernichtete der Betrieb. Ein anderer wurde, so Grabitz, wieder eingefroren und bekam neue Haltbarkeitsdaten: 12/2003 war eben schon ein halbes Jahr vorbei. Abnehmer war die Gelsenkirchener Firma Domenz, bei der die Behörden kürzlich verdorbenes Fleisch konfiszierten.

Nicht sehr lecker waren auch die 700 Kilo marinierte Rippchen, die im April 2004 in Schmerzke verarbeitet wurden. Trotz Hinweisen, die Ware sei mit Knochensägemehl verunreinigt, bestand die Geschäftsführung darauf, die Maschinen weiter laufen zu lassen, sagt Grabitz. Die Regel sei eben: „Marinade deckt alles ab.“ Manche Mitarbeiter hätten sich sogar geweigert, „stinkende Schweinefilets zu verpacken“.

Was mit dem „unansehnlichen, grau gewordenen“ Roastbeef geschah, das eine Supermarktkette für eine Sonderaktion geordert hatte, macht auch nicht gerade Appetit. Es wanderte zurück in die Gefrierhallen von Sachsenkrone – und verließ diese, so sagt Grabitz, ein paar Monate später mit neuem Haltbarkeitsdatum – und mariniert – als Rumpsteaks Richtung England. „Vieles von dem Fleisch, das die Fabrik verlässt, erlebt zwei oder drei Geburten“, sagt Grabitz.

Wenig Geduld soll die Führungsetage auch mit brasilianischen Putenfilets gehabt haben. Statt sie behutsam bei 3,5 bis 4 Grad aufzutauen, machte man dem Geflügel ordentlich Dampf – „das begünstigt die Kontaminierung mit Salmonellen“, sagt Grabitz. Selbst Fleischberge, die positiv auf Salmonellen getestet wurden, seien verarbeitet worden.

Martin Bauer (Name geändert, die Red.), leitender Mitarbeiter in der Produktion, bestätigt die Beobachtungen seines ehemaligen Kollegen. In der Grillsaison zumindest habe der laxe Umgang mit Vorschriften System, sagt er. „Ich habe es erlebt, dass die Puten oben auf der Palette 24 Grad warm waren, während die unteren noch gefroren waren.“

Bauer will seinen Arbeitsplatz nicht verlieren, das will niemand in einer Gegend, wo 20 Prozent der Menschen arbeitslos sind. „Aber ich habe auch eine Oma und Kinder, die sich Salmonellen einfangen könnten.“

An einem Abend, als man in Schmerzke wieder einem Stoß Puten einheizte, rief Bauer das Brandenburger Veterinäramt an. Der Amtsleiter und eine Kollegin sahen sich auf dem Gelände um. Der Angestellte gab einen detaillierten Bericht, eine präzise Fährte.

Doch passiert ist seit dem Sommer nicht viel. Der städtische Beigeordnete in Brandenburg, Michael Brandt (CDU) teilte auf MAZ-Anfrage gestern mit, er lasse die Angelegenheit „jetzt im Moment aufarbeiten“ – als hätte er den Fall gerade erst auf den Tisch bekommen. Er sehe keinen Anlass „zur Abwendung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einzuschreiten“.

Keinen derartigen Anlass sieht man auch in der Chefetage der Fleischfabrik. „Das kommt von unwissenden Leuten, die keine Ahnung haben“, sagt Betriebsleiter Frank Wolf. „Wir halten uns an die Gesetze – wir sind doch kein Verbrecherladen.“ So gehörten in der fleischverarbeitenden Industrie „Salmonellen zum Tagesgeschäft – die gibt es bei jedem Metzger“. Und fügt beunruhigenderweise hinzu: „Kein Schweinenacken ist salmonellenfrei.“

Um mit den Risiken umzugehen, gebe die Firma, die zum Höhepunkt der Grillsaison mehr als 200 Menschen beschäftigt, jedes Jahr rund eine Viertelmillion Euro für Qualitätskontrollen aus. Die Vertreter von Handelsketten würden, so Wolf, den Produktionsprozess vor Ort mit überwachen. Tricksereien könne man sich bei den Brandenburger Behörden ohnehin nicht leisten. „Die schlafen mit dem Gesetzbuch unterm Kopfkissen – das sind wir von Nordrhein-Westfalen nicht gewohnt“, so Wolf.

Die Zollbeamten mit den Wurstpaketen wird Wolf nicht gemeint haben. Vielleicht aber die Staatsanwälte, die gegen Disselhoff Sachsenkrone ermitteln. Die sind aber selbst nicht besonders zuversichtlich, was die Verfolgung von Vergehen wider das Fleisch angeht. Es sei wie in der Erzählung „Lammkeule“ von Roal Dahl, sagt ein Staatsanwalt: „Das Beweismittel ist in den meisten Fällen schon längst aufgegessen.“